Doch wollen wir mit unseren Gebeten zu erlangen suchen, was die
Predigt hätte bewirken sollen.“
„0 Herr, ich empfehle dir die Guten und Rechtschaffenen und bitte
dich, nicht auf ihre Nachlässigkeit zu achten, denn die menschliche
Gebrechlichkeit ist groß. Laß sie dir alle empfohlen sein, gewähre
ihnen deinen Segen und säume nicht länger mit deinen Verheißungen !
Vater unser, der du bist in den Himmeln, geheiliget werde dein Name,
zu uns komme dein Reich, dein Wille geschehe wie im Himmel also
auch auf Erden ! Gib uns heute unser tägliches Brot, und vergib uns
unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigem! O Herr,
verzeihe uns unsere Sünden und verzeihe ebenso, wir flehen dich an,
allen unseren Widersachern, wir verzeihen ihnen alle Beschimpsun-
gen. 0 Volk, verzeihst du deinen Widersachern nicht ? Verzeihe ihnen
doch, und du, o Herr, verzeihe ihnen auch du! Herr, erlöse uns von
allem Übel! Ich empfehle dir die Seelen aller unserer Gegner, er-
leuchte sie, daß sie nicht in die Hölle wandern ! Ebenso empfehle ich
dir dieses ganze Volk, daß es von dir gesegnet sei. Spende ihm, o Herr,
deinen Segen, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes!
Amen.“
XXII. AUS DER SCHRIFT „VON DER EINFALT DES
CHRISTLICHEN LEBENS“1
In der Einleitung wird die Gotteserkenntnis unter Berufung auf das Schrift-
wort: „Denket von Gott in Güte und suchet ihn in der Einfalt des Herzens“
(Weish. i, i), als Grundlage des Heils bezeichnet, zu welcher sich aber der
sündhafte Mensch mit seinem sinnlichen Begehren so wenig zu erschwingen
vermag, wie die Zunge eines Fieberkranken zu einem Urteile über die Be-
schaffenheit des Weines fähig ist. Überhaupt erkennt man Gott nicht so fast
mit dem Verstände, wie mit dem Herzen, mit dem Gemüte; man muß ihn
spüren, man muß ihn kosten, was uns um so mehr gelingen wird, je mehr wir
uns bemühen, ihm nachzuschlagen und nach seinem Vorbilde gut zu werden.
1 „De Simplicitate vitae christianae.“ Die Schrift gliedert sich in fünf Bücher,
von welchen jedes wieder in mehrere Schlußfolgerungen oder Leitsätze, con-
clusiones, zerfällt. Sie erschien im August 1496 im Drucke, der Verfasser ar-
beitete jedoch, wie aus L. III conclus. 7 ersichtlich, schon im November 1495
an ihr; im Januar 1496 schickte er sie unvollendet an den Herzog von Fer-
rara. Ursprünglich lateinisch abgefaßt und veröffentlicht, erschien sie Ende
Oktober 1496 auch in italienischer Sprache. Die ältesten Ausgaben verzeich-
net Audin de Rians, Bibliografia Nr. 52—54. Vgl. Schnitzer I, 237t.; II, 1039
A. 30. Deutsche Übersetzung von Gg. Rapp, Die erwecklichen Schriften des
Märtyrers Hier. Sav., Stuttgart 1839.
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Predigt hätte bewirken sollen.“
„0 Herr, ich empfehle dir die Guten und Rechtschaffenen und bitte
dich, nicht auf ihre Nachlässigkeit zu achten, denn die menschliche
Gebrechlichkeit ist groß. Laß sie dir alle empfohlen sein, gewähre
ihnen deinen Segen und säume nicht länger mit deinen Verheißungen !
Vater unser, der du bist in den Himmeln, geheiliget werde dein Name,
zu uns komme dein Reich, dein Wille geschehe wie im Himmel also
auch auf Erden ! Gib uns heute unser tägliches Brot, und vergib uns
unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigem! O Herr,
verzeihe uns unsere Sünden und verzeihe ebenso, wir flehen dich an,
allen unseren Widersachern, wir verzeihen ihnen alle Beschimpsun-
gen. 0 Volk, verzeihst du deinen Widersachern nicht ? Verzeihe ihnen
doch, und du, o Herr, verzeihe ihnen auch du! Herr, erlöse uns von
allem Übel! Ich empfehle dir die Seelen aller unserer Gegner, er-
leuchte sie, daß sie nicht in die Hölle wandern ! Ebenso empfehle ich
dir dieses ganze Volk, daß es von dir gesegnet sei. Spende ihm, o Herr,
deinen Segen, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes!
Amen.“
XXII. AUS DER SCHRIFT „VON DER EINFALT DES
CHRISTLICHEN LEBENS“1
In der Einleitung wird die Gotteserkenntnis unter Berufung auf das Schrift-
wort: „Denket von Gott in Güte und suchet ihn in der Einfalt des Herzens“
(Weish. i, i), als Grundlage des Heils bezeichnet, zu welcher sich aber der
sündhafte Mensch mit seinem sinnlichen Begehren so wenig zu erschwingen
vermag, wie die Zunge eines Fieberkranken zu einem Urteile über die Be-
schaffenheit des Weines fähig ist. Überhaupt erkennt man Gott nicht so fast
mit dem Verstände, wie mit dem Herzen, mit dem Gemüte; man muß ihn
spüren, man muß ihn kosten, was uns um so mehr gelingen wird, je mehr wir
uns bemühen, ihm nachzuschlagen und nach seinem Vorbilde gut zu werden.
1 „De Simplicitate vitae christianae.“ Die Schrift gliedert sich in fünf Bücher,
von welchen jedes wieder in mehrere Schlußfolgerungen oder Leitsätze, con-
clusiones, zerfällt. Sie erschien im August 1496 im Drucke, der Verfasser ar-
beitete jedoch, wie aus L. III conclus. 7 ersichtlich, schon im November 1495
an ihr; im Januar 1496 schickte er sie unvollendet an den Herzog von Fer-
rara. Ursprünglich lateinisch abgefaßt und veröffentlicht, erschien sie Ende
Oktober 1496 auch in italienischer Sprache. Die ältesten Ausgaben verzeich-
net Audin de Rians, Bibliografia Nr. 52—54. Vgl. Schnitzer I, 237t.; II, 1039
A. 30. Deutsche Übersetzung von Gg. Rapp, Die erwecklichen Schriften des
Märtyrers Hier. Sav., Stuttgart 1839.
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