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Strzygowski, Josef; Strzygowski, Josef [Hrsg.]
Die Baukunst der Armenier und Europa: Ergebnisse einer vom Kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise (Band 1) — Wien: Kunstverl. Schroll, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.47010#0020
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4

EINLEITUNG


Abb. 2. Wien, Postsparkassenamt von Otto Wagner: Krönung der Schauseite.

aber, wie schon aus Abbildung i ge-
schlossenwurde, die Steine aufschichtete,
bevor man die eigentliche Mauer eingoß.
Man kann sich vorstellen, daß der Bau,
dem Abbildung 3 entnommen ist, all-
mählich den Plattenbelag verlieren und
doch wie Abbildung 1 im Ganzen oder
zum guten Teil stehen bleiben konnte.
Für den Ziegel- oder Betonbau der
Gegenwart ist das selbstverständlich, da
der Belag ja nur Schmuck, nicht zugleich
Schalung für den vorzunehmenden Guß ist.
Vor allem muß betont werden, daß
in Armenien nicht nur die Mauern,
sondern auch die Decken und Innen-
stützen in besprochener Art ausgeführt
sind. Abbildung 1 zeigt die Fenster-
trommel ebenso in Gußmauerwerk auf-


gerichtet wie die Halbkugelschale darüber und die umlaufenden Gewölbe unten. Es ist also
der Bau vom Fuß bis zum Scheitel gegossen. Ich gebe in Abbildung 4 noch ein weiteres Beispiel, aber
in anderer Bauform. Man sieht, wie die Platten ringsum unten und ebenso oben von den Dächern
abgefallen sind. Die Füllung besteht hier aus groben Steinen, der Verguß ist durch Wind und Wetter
fast ganz entfernt. Und doch ist er auch im Mauerwerk der eingestürzten Kuppel deutlich festzustellen.
In der aufsteigenden Mauer der Fenstertrommel beobachtet man, wie die Verkleidungsplatten unten
Zapfen nach innen ansetzen, die wesentlich zu ihrer Standfestigkeit beigetragen haben mögen. Man
lenke den Blick auf die saubere Fügung im Innern der Kugelschale. Das Verhältnis von Belag und
Platte ist hier etwas anders als in Abbildung 1. Der Bau könnte ohne Platten nicht stehen bleiben.
Von der einen oder andern Art nun sind sämtliche Bauten, die im vorliegenden Werke vorge-
führt werden. Den Baukünstler der Gegenwart wird die Frage beschäftigen, wie eine solche Werkart
in der Zeit der Entstehung des christlichen Kirchenbaues aufkommen konnte. Er wird vielleicht der
Frage noch mehr Beachtung schenken, wenn er erfährt, daß sich, wie ich zeigen zu können hoffe,
diese Bauart im 4. Jahrhundert in Armenien ausschließlich aus der Grundform der Kuppel über
dem Quadrat entwickelte, die auf eigentümliche Art verstrebt wurde. Man wird sich vorstellen können,
daß mit solchen Tatsachen unsere Anschauungen von der Entwicklung der altchristlichen Kunst auf
völlig neuen und zugleich auf einen Boden
gestellt werden, der unsere Zeit ganz
anders beschäftigen dürfte als die bisher
in geschlossener Entwicklung allein in
Betracht gezogene notdürftige Bauform
der Basilika mit Holzdach.
Es muß auch gleich an dieser Stelle
ausdrücklich gesagt werden, daß die Guß-
werkbauten, von denen ich hier einige
Abbildungen gab, Kirchen sind, nicht
etwa, wie wir vom abendländischen Stand-
punkt aus urteilen würden, Grabbauten
oder Taufhäuser. Es soll meine Aufgabe
sein, zu zeigen, wie solche Bauformen
in frühchristlicher Zeit möglich wurden.
Die Sache ist — auch für die Entwick-
lung der Baukunst im Abendlande — so
wichtig, daß darüber die merkwürdige
Abb. 3. Thalin, Dreipaßdom: Südostecke. Ausstattung dieser Kirchen ganz bei-
 
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