Jahrg. VII, Nr. 1 vom 1. Januar 1933
DIE WELTKUNST
3
Römische und
mittelalterliche
Kunst in Budapest
Von Dr. E. M. Hajos
Das Museum von Aquincum enthält die
Denkmäler aus der Römerzeit, das haupt-
städtische Museum dasjenige Material, das
sich auf die neuere Stadtgeschichte bezieht.
Eine systematische Anordnung des, wenn
auch nicht sehr zahlreichen, aber um so wich-
tigeren, mittelalterlichen Denkmälerbestandes
fehlte bisher. Die Gegenstände waren teils
im Depot, teils provisorisch in den Räumen
des Städtischen Museums untergebracht. Das
neueröffnete Lapidarium in der
Grabmal
des kgl. Oberstkämmerers Johann Stibor
Um 1430—40. Roter Marmor
Budapest, Lapidarium
Fischerbastei, das von Prof. D r.
Heinrich Horvath, dem verdienstvollen
Forscher der Kunstgeschichte des alten Buda-
pest, sachkundig und init-gi’srßef Sw^falt ein
gerichtet wurde, füllt nun diese Lücke aus.
Das Material setzt sich hauptsächlich aus
drei größeren Fundgruppen zusammen: den
bei der Restaurierung der Ofener Krönungs-
kirche ausgewechselten gotischen Werk-
stücken, den Fragmenten der Königsburg und
einer Sammlung von Grabdenkmälern, die zum
größten Teil bei der Aufdeckung des Chores
der alten Dominikanerkirche gefunden wurden.
Die übrigen Bestände stammen teils aus zu-
fälligen, teils aus systematischen Grabungen
und schließen sich den drei Gruppen er-
gänzend an. Die Vorhalle des Museums, —
das im nördlichen Turm der malerisch ge-
legenen Fischerbastei untergebracht wurde, —
enthält Beispiele der drei architektonischen
Kraftzentren, der anschließende Raum Archi-
tekturstücke und Plastiken aus der romanischen
Epoche und fünf, um die Mittelhalle ge-
lagerte, absidenartige Räume enthalten Grab-
steine aus dem XIV. und XV. Jahrhundert, Ar-
beiten der bekannten Bildhauer-Werkstatt der
Ofener Dominikaner. Die beiden künstlerisch
bedeutsamsten Stücke der Sammlung dürften
wohl, infolge verschiedener stilistischer Ge-
meinsamkeiten, einem Meister zugeschrieben
werden. Es handelt sich um die Grabplatten
eines 1433 verschiedenen Ritters, dessen Wap-
penschild auf französischen Ursprung deutet,
und um die des Oberstkämmerers Johann Stibor
(siehe Abbildung), die ebenfalls zur
selben Zeit entstanden sein mag. Die voll-
ständig erhaltene, aus rotem Marmor gefertigte
Grabplatte gehört zu den eindrucksvollsten
Ritter-Bildnissen des späten Mittelalters.
Außer ihrer kunsthistorischen Bedeutung «als
Dokumente der Ofener Werkstatt, haben die
Grabdenkmäler auch noch einen unschätzbaren
kulturhistorischen Wert. Durch die Inschriften
und die Namen der Verstorbenen ■—■ Ritter,
Juristen, Humanisten aus Deutschland, Frank-
reich und Italien — beleuchten sie jene hoch-
kultivierte, politisch und künstlerisch in
gleichem Maße glanzvolle Epoche der un-
garischen Geschichte, die den späteren Ver-
nichtungen und Verwüstungen der Türkeninva-
sion unmittelbar voranging. In dem oberen
Stockwerk befinden sich Bruchstücke der
Figuralplastik, u. a. eine Reihe von Werken
aus der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts,
die starke französische Einwirkung zeigen, und
viele Reste der Ofener Königsburg, dem
gotischen „Frischen Palast“ Sigismunds und
dem Renaissance-Bau von Matthias Corvinus.
Zufällige Grabungen förderten im letzten
Sommer archäologisch und kunsthistorisch in-
teressantes Material zutage. Nach Abbruch
des alten Piaristen-Ordenshauses in der Innen-
stadt wurden Mauerreste freigelegt, die nach
dem Urteil der Fachgelehrten Teile einer
römischen Festung darstellen. Das Über-
raschende dabei ist, daß es sich hier um die
ersten römischen Funde auf Fester Boden
handelt. Alle früheren wurden in Ofen (Buda),
also auf der rechten Donauseite entdeckt, das
an der Stelle der römischen Niederlassung
Aquincum erbaut worden ist. Die bisher herr-
schende Annahme, Aquincum hätte sich blos
auf die eine Donauseite erstreckt, müßte nun
einer Revision unterzogen werden. Wohl ent-
hält der Bericht des Idatus auch Angaben dar-
über, daß Kaiser Diocletian im Jahre 294 n. Chr.
auf dem linken Flußufer, gegenüber Aquincum,
die Festung Transaquincum errichten ließ, doch
fehlte bisher jede Bestätigung dafür.
Ausgrabungen im Kühlen Thal förderten
ein zweifellos wichtiges Denkmal aus späterer
Zeit zutage. Die Reste eines aus rotem Marmor
erbauten, mit Renaissance-Ornamentik ge-
schmückten Schlosses und einer Kapelle lassen
die Vermutung zu, daß es sich hier um das ver-
schollene Jagdschloß des KönigsMatthias
Corvinus handelt. Die Mitteilungen Bon-
finis, des italienischen Geschichtsschreibers von
Matthias, über die Lage des königlichen Jagd-
schlosses, und eine alte mündliche Über-
lieferung, nebst einer Reihe künstlerischer,
Das Referat der „Vossischen Zeitung“
vom 20. Dezember 1932 (Abendnummer) über
„Die große Impressionistenauktion Jules
Strauss“, die am 15. d. M. in Paris stattfand,
und von deren außerordentlich erfolgreichem
Verlauf an anderer Stelle dieser Nummer ein-
gehend gehandelt wird, bringt eine solche
Fülle fehlerhafter Angaben, die zahlenmäßig
richtigen Daten sind dem Zusammenhang so
mißverständlich eingeordnet, endlich und vor
allem fehlt so Wesentliches, daß es einem
Augenzeugen erlaubt sei, berichtigend Stel-
lung zu nehmen.
Zur Sache: der Referent bemerkt: „Das
prachtvolle Pastell der das Bad verlassenden
Frau von Degas brachte 37 000 Frcs.“ Be-
richtigung: Es handelte sich laut Katalog um
ein überarbeitetes Monotyp. •— „Ein wichti-
ges Gemälde wie die Semiramis von Degas
konnte 35 000 Francs nicht übersteigen“, Be-
richtigung: Das „wichtige“ Semiramis-Bild
hängt im Louvre und wäre in seinen Aus-
maßen von 1,48 : 2,55 m mit dem genannten
Preis in der Tat nicht zu teuer bezahlt ge-
wesen; das Strauss’sche, sehr artistische,
etwas abseitige Werkchen, 25 : 39 cm messend,
ist eine der Vorstudien dazu. — „Die Schlä-
ferin von Courbet vermochte das Limit nicht
zu erreichen.“ Berichtigung: Das Bild wurde
vor der Vente vom Verkauf zurückgezogen.
In Paranthese: was versteht der Referent
unter nicht erreichtem Limit? Er kann
deutsche Terminologie nicht einfach auf fran-
zösische Verhältnisse anwenden. Zu seiner
Orientierung: in Frankreich unterscheidet
man zwischen dem „prix de marchand“, dem
sogenannten Händlerpreis, der identisch ist
mit dem Ausrufpreis, und dem „prix de de-
mande“, der etwa unserem Schätzungspreis
entspricht, und der vom Expert dem Saal
öffentlich bekanntgegeben wird, bevor die
Gebote einsetzen. Ein nanfit iffl- UeutSChen-
Sinne ist in Frankreich nicht bekannt oder
jedenfalls nicht aus dem Gange der Auktion
erkennbar. — „Die Monets vermochten
durchweg nicht die Limite zu erreichen.“ Be-
richtigung: Von den Monets brachte der erste
111000 Francs (prix de demande 100 000),
der zweite 205 000 (prix de demande 75 000!!)
— eine ganz überraschende, unvorhergesehene
Steigerung, die zu einer Revision der Monet-
bewertung des gesamten Pariser Marktes ge-
führt hat. —■ „. . . ebenso erging es den
schönen Werken von Delacroix.“ Berichti-
gung: Sowohl der Akt (116 000 Francs) wie
der Christus am Kreuz (140 000 Frcs.) kamen
unmittelbar in französischen Privatbesitz. —
„Die Preise dürften in der Mehrzahl die
Einkaufspreise nicht erreicht haben.“ Nach
Mitteilung des Besitzers, einer der erfahren-
sten Sammler- und Kennerpersönlichkeiten
des Pariser Marktes, hat er — bei 85 Kata-
stilistischer Merkmale, dürften diese Annahme
auch bestätigen.
Auch der „T a b ä n“, der älteste Stadtteil
Ofens, der sich hügelig und winkelig über weite
Flächen erstreckt, hatte seine künstlerische
Sensation. In einem Raum eines alten, ver-
fallenden Hauses fand man mehrere Wand-
bilder, die, künstlerisch zwar nur von geringer
Bedeutung, aber durch ihren Inhalt und städte-
geschichtlich um so interessanter erscheinen.
Die Darstellungen, vielfigurige Szenen mit
türkischem Militär, einer Hochzeit usw. vor
landschaftlichen und architektonischen Hinter-
gründen, sind durchwegs dem Leben und
Treiben der Türkenbelagerung entnommen. Die
gemalten, ornamentalen Rahmen ermöglichen
ihre Datierung ins XVIII. Jahrhundert, also be-
reits in die Zeit nach den Türkenkriegen, in der
aber die Erinnerung an die Geschehnisse offen-
bar noch sehr lebendig war.
lognummern — an zwei Stücken gegenüber
seinen Einkaufspreisen verloren, an allen an-
deren einen, z. T. erheblichen, Nutzen gehabt,
auch wenn in Rechnung gezogen wird, daß er
seine Sammlung zum großen Teil vor der In-
flation des Franken zusammengestellt hat.
Ich nenne aus der Fülle der Beispiele: Re-
noir, Kinderbildnisse, 78 000 Frcs., erworben
auf der Vente Choquet (1899) für 3100 Frcs.,
Monet, les filets, 122 000 Frcs., erworben auf
der Vente Aubry (1897) für 7200 Frcs., Degas,
le ballet, 105 000 Frcs., erworben auf der Vente
Degas (1918) für 12 500 Frcs., Degas, danseuse
se coiffant, 50 000 Frcs., erworben für 1650 Frcs.
auf der Vente König Milan von Serbien (1906).
Ich komme zu dem, was fehlt. Allerdings
erwähnt ein einleitender Nebensatz, daß
„einige besonders klassische Stücke“ 40- bis
50 000 Mark gebracht hätten, die detaillierte
Aufzählung kennt jedoch nur Preise, die un-
terhalb der Grenze von 100 000 Frcs. liegen;
die elf Nummern, die über 100 000 Frcs. er-
brachten — darunter die Berthe Morisot von
Manet mit 360 000 Frcs. (inkl. Aufgeld etwa
70 000 Mark) und der Richard Wagner von
Renoir, für deutsche Leser ohnehin das wich-
tigste Stück der Sammlung, — werden ge-
flissentlich fortgelassen. Zur Erläuterung der
außerordentlichen Höhe der Preise, die bei
Strauss erzielt werden konnten, sei nebenbei
angemerkt: die Sammlung Strauss, die sehr
reizvolle Schöpfung eines feinsinnigen Pri-
vatmannes, enthielt kaum eigentlich große
klassierte („klassische“?) „Ware“ im Sinne
des Handels, vielmehr im wesentlichen markt-
mäßig nicht ganz leicht zu bewertende reine
„Amateur“-stücke, bei denen schon format-
mäßig das mittlere bis zum miniaturhaft
kleinen Objekt vorherrschte. Man mag etwa
daran denken, daß das höchstbezahlte Stück
der Kollektion, die charmante Bildnisstudie
rem äifaiietT-jrttf—der Nachlaß desr Kiiuet-
iers vom Jahre 1884 mit 170 Frcs. zugeschla-
gen wurde, während bei gleicher Gelegenheit
die Hauptwerke Manets schon Summen bis
zu 10 000 Frcs. erreichten, um einen ge-
rechten Maßstab zu gewinnen.
Die Gesamttendenz der „V. Z.“-Bericht-
erstattung — und sie ist es vor allem, gegen
die wir uns wenden — ist in dem Vorabsatz
deutlich genug ausgesprochen: entgegen den
Telegrammen, die aus Paris selbst von einem
„Riesenerfolg“ berichteten, wird nicht ohne
schmunzelnde Genugtuung festgestellt, daß
„die Preise doch erheblich niedriger lagen
als in den letzten Jahren“, daß im allgemei-
nen ein „Niedergang“ verzeichnet werden
muß. Was, so fragen wir uns und das kunst-
interessierte Publikum, soll mit dieser Ten-
denz bezweckt werden? Soll der Privatmann,
dessen Kunstbesitz ihm heute einen wichti-
gen Vermögensteil bedeutet, durchaus ver-
anlaßt werden, diesen Besitz unter dem wirk-
lichen augenblicklichen Marktpreis abzu-
geben ? Sollen die wenigen Sammler, die sich
bei der langsamen Konsolidierung der Ver-
hältnisse eben wieder entschließen, ihr Ver-
trauen auf den bleibenden Wert des Kunst-
werks zu setzen, von vornherein abgeschreckt
werden? Oder ist nur der Händler pädago-
gisch zu belehren, seine Ware weiter herab-
zuschreiben, eine Tätigkeit, die er in den
letzten beiden Jahren ohnedies als hauptsäch-
liche betrieben hat? Man mag hier einwen-
den, daß die Auktion und ihre Berichterstat-
tung überhaupt im Augenblick nicht im Zen-
trum des Allgemeingeschehens liegt. Zugege-
ben, aber solange die Rubrik beibehalten
wird, muß sie unseres Erachtens korrekt und
sachgemäß ausgefüllt werden. Die deutlich
einsetzende Besserung der internationalen
Kunstmarktlage, für die die Vente Strauss
und die vorhergehende Vente Pacquement in
Paris sinnfällig zeugen, ist in diesem Zusam-
menhang wichtig genug, um auch dem deut-
schen Publikum bekannt zu werden und in
seinen Auswirkungen vor allem auch dem
deutschen Markt, der schwer genug um seine
Existenz kämpft, zugute zu kommen. In der
vorliegenden, so mißverstandenen wie miß-
verständlichen Form, erscheint uns die Kunst-
berichterstattung nur geeignet, den kunst-
liebenden Leser irrezuführen und das
deutsche Sammler- wie Händlertum in seinen
Interessen auf das Empfindlichste zu ge-
fährden.
Ausstellungen
Neuere
spanische Kunst
Galerie Flechtheim, Berlin
Die von der Sociedad de Artistas Ibericos
veranstaltete Ausstellung ist — wie jeder Über-
blick — ungleichwertig, hat aber durchaus Ni-
veau. Die Pyrenäenhalbinsel marschiert (in der
Literatur schon lange) und ist ein Faktor im
europäischen Kunstleben geworden. Oft ko-
piert und nie erreicht: Picasso, der Meister,
Spaniens Leihgabe an die Pariser Schule, hier
mit wichtigen Bildern und einigen seiner tüch-
tigen Bronzen vertreten. Dicht hinter ihm
folgt der allzu früh verstorbene Juan G r i s,
der uns ein klares, reifes Werk hinterlassen
hat. Der kultivierte Jose de Togores hand-
habt die Form souverän; seine Sicherheit und
Grazie sind bisweilen eine Gefahr für ihn. La
Sema bleibt im Dekorativen stecken. Pi-
cassos blaue Periode findet in J u n y e r einen
empfindsamen, gewichtlosen Fortsetzer, in
P r u n a einen gefälligen Vulgarisator. Der
literarische Perez R u b i o will zu Redon und
gelangt zur derben Allegorie, der witzige Leon
malt ironisierende Spielereien, der manierierte
Lahuerta hascht nach Effekten. V i n e s
und Boris .. der mitunter atj Kirchner nfc
innert, verfolgen einen revidierten, kräftigen
Nachimpressionismus, der überzeugt. Der Sur-
realismus, ein weiter Mantel, der Gerechte und
Ungerechte deckt, hat in Spanien eine beträcht-
liche Gefolgschaft: den ernsthaften Miro,
Mallo, Climent, Luna, den spieleri-
schen Palencia, die maritimen Zauberer
Dali und Alberto, den Mitläufer Santa
Cruz. Die sogenannte iberische Gruppe, ver-
treten durch Solana, Souta und Ange-
les, rundet den Überblick nach der negativen
Seite hin. D i a z , der ihr gleichfalls zugehört,
ein ehrlicher, formklarer, etwas akademischer
Maler, wird zum Ehrenretter der Gruppe, die
sich als Fortsetzer einer Tradition gebärdet,
welche in Wirklichkeit von Picasso und Gris
weitergeführt wird. Ein Knabentorso von
G ar g al 1 o und zahlreiche Arbeiten M a n o -
1 o s repräsentieren die Plastik.
Kusenberg
Berichterstattung ?
BERLINER KÜNSTLER ZU HAUSE
H."> Erich Hecke!
Es ist still um Erich Heckel geworden, wie
um den Kreis von Künstlern, die vor nun bald
dreißig Jahren die Wegbereiter des neuen
Geistes in der deutschen Kunst gewesen sind.
Die nachkommende Generation hat sich vor-
zeitig bei dem zur Ruhe gesetzt, was er, Nolde,
Schmidt-Rottluff und die anderen Kämpfer
dieser großen Jahre sich mühsam eroberten.
Und so ist die Windstille um sie für sie selbst
zu einer Einsamkeit geworden, in der sie sich
hinter ihrem Werk verschanzen. Darin gleicht
Heckel sehr Emil Nolde: Auch in ihm ist
diese Stille des Über-den-Dingen-Stehens, die
wie eine unsichtbare Mauer ihn umgibt, die
man spürt mit der Ehrfurcht vor einem Men-
schen, dessen Werk historische Bedeutung
trägt.
1905 hatte Heckel mit Kirchner und Schmidt-
Rottluff den Freundeskreis der „Brücke“ ge-
schlossen, dem dann später Pechstein, Nolde,
Amiet und Otto Mueller hinzutraten. Gemein-
sam fanden sie den Ausdruck „Die Brücke“,
der das Synonym war für den Drang nach
einer menschlichen und künstlerischen Be-
freiung aus den Fesseln der Konventionen.
Doch schon in diesen Jahren der Brücke-Zeit
war die künstlerische Entwicklung Heckels
von einem anderen Rhythmus getragen als die
seiner Freunde und Kampfgenossen. Ging bei
Kirchner, Schmidt-Rottluff oder Pechstein der
Vorstoß zur elementaren Farbe nach außen,
wirkte bei ihnen die künstlerische Konzeption
in ihrer vitalen Wucht wie eine persönliche
Befreiung aus den Nöten, die neuen Erkennt-
*) I. Joachim Ringelnatz, in Nr. 45 (Jg. VI)
der „Weltkunst“.
nisse in sich zu verarbeiten, so waren Heckels
Bilder schon damals bei aller expressiven
Kraft von Form und Farbe um einige Grade
stiller als die der anderen, der geistige Raum
hinter seinen Menschen und Landschaften
wölbte sich tiefer, ihr Da-Sein war zarter und
mehr nach innen gekehrt. Es ist diese Ge-
meinsamkeit eines stets nach innen horchenden
Lebensgefühls, die Heckels Frühwerk mit dem
Otto Muellers verbindet und es von den Bildern
der anderen Brücke-Maler absetzt.
Heckels Weg nach diesen frühen Jahren
einer erregten künstlerischen Auseinander-
setzung mit der Umwelt führte zu einer Tek-
tonik der Formen, die in ihrer scheinbar
realistischen Näherung zum Gegenständlichen
Symptom für ein Flüchten hinter die Dinge
sind, für eine immer stärkere Verschließung
des eigenen Ichs. In der Landschaft wie in
den Menschendarstellungen werden die Er-
scheinungen nicht mehr in dem Maße wie
früher auf das eigene Selbst bezogen, das mit
den Dingen verschmilzt und ihnen symbol-
haften Wert verleiht, sondern die Arbeiten der
letzten Jahre stehen im Zeichen einer Selbst-
losigkeit im tiefsten Sinne des Wortes. Sie
suchen — in einem weit tieferen Sinne als
etwa bei Dix oder Lenk ■— hinter den Er-
scheinungen ihr Wesentliches zu fassen, die
Landschaft wird von ihrem eigensten Rhyth-
mus getragen, die Menschen füllen den Bild-
raum ganz mit dem Wesen ihres Seins.
Man scheut sich, über den Menschen Heckel
zu reden, da man glaubt, einen Griff in die
Stille einer Sphäre zu tun, die Anmaßung sein
könnte. Und doch möchte ich von dem Er-
lebnis der Stunde sprechen, da mir Heckel in
seinem Atelier Landschaften zeigte, die im
letzten Jahr nach einer Italienreise entstanden.
Wie ich aus der Unterhaltung mit ihm die
innere Größe und Makellosigkeit einer Per-
sönlichkeit spürte, die zu sich selbst fand aus
der unablässigen Arbeit an sich und seinem
Werk, so spiegelte die reine Klarheit der Luft
und des Raumes, die die Landschaften er-
füllte, den Menschen Heckel. Wie er selbst
vor den Landschaften stand und sie deutete,
entstand die Unmittelbarkeit des Empfindens
einer menschlichen Sphäre und ihrer Form-
werdung.
Peter Dollinger
DIE WELTKUNST
3
Römische und
mittelalterliche
Kunst in Budapest
Von Dr. E. M. Hajos
Das Museum von Aquincum enthält die
Denkmäler aus der Römerzeit, das haupt-
städtische Museum dasjenige Material, das
sich auf die neuere Stadtgeschichte bezieht.
Eine systematische Anordnung des, wenn
auch nicht sehr zahlreichen, aber um so wich-
tigeren, mittelalterlichen Denkmälerbestandes
fehlte bisher. Die Gegenstände waren teils
im Depot, teils provisorisch in den Räumen
des Städtischen Museums untergebracht. Das
neueröffnete Lapidarium in der
Grabmal
des kgl. Oberstkämmerers Johann Stibor
Um 1430—40. Roter Marmor
Budapest, Lapidarium
Fischerbastei, das von Prof. D r.
Heinrich Horvath, dem verdienstvollen
Forscher der Kunstgeschichte des alten Buda-
pest, sachkundig und init-gi’srßef Sw^falt ein
gerichtet wurde, füllt nun diese Lücke aus.
Das Material setzt sich hauptsächlich aus
drei größeren Fundgruppen zusammen: den
bei der Restaurierung der Ofener Krönungs-
kirche ausgewechselten gotischen Werk-
stücken, den Fragmenten der Königsburg und
einer Sammlung von Grabdenkmälern, die zum
größten Teil bei der Aufdeckung des Chores
der alten Dominikanerkirche gefunden wurden.
Die übrigen Bestände stammen teils aus zu-
fälligen, teils aus systematischen Grabungen
und schließen sich den drei Gruppen er-
gänzend an. Die Vorhalle des Museums, —
das im nördlichen Turm der malerisch ge-
legenen Fischerbastei untergebracht wurde, —
enthält Beispiele der drei architektonischen
Kraftzentren, der anschließende Raum Archi-
tekturstücke und Plastiken aus der romanischen
Epoche und fünf, um die Mittelhalle ge-
lagerte, absidenartige Räume enthalten Grab-
steine aus dem XIV. und XV. Jahrhundert, Ar-
beiten der bekannten Bildhauer-Werkstatt der
Ofener Dominikaner. Die beiden künstlerisch
bedeutsamsten Stücke der Sammlung dürften
wohl, infolge verschiedener stilistischer Ge-
meinsamkeiten, einem Meister zugeschrieben
werden. Es handelt sich um die Grabplatten
eines 1433 verschiedenen Ritters, dessen Wap-
penschild auf französischen Ursprung deutet,
und um die des Oberstkämmerers Johann Stibor
(siehe Abbildung), die ebenfalls zur
selben Zeit entstanden sein mag. Die voll-
ständig erhaltene, aus rotem Marmor gefertigte
Grabplatte gehört zu den eindrucksvollsten
Ritter-Bildnissen des späten Mittelalters.
Außer ihrer kunsthistorischen Bedeutung «als
Dokumente der Ofener Werkstatt, haben die
Grabdenkmäler auch noch einen unschätzbaren
kulturhistorischen Wert. Durch die Inschriften
und die Namen der Verstorbenen ■—■ Ritter,
Juristen, Humanisten aus Deutschland, Frank-
reich und Italien — beleuchten sie jene hoch-
kultivierte, politisch und künstlerisch in
gleichem Maße glanzvolle Epoche der un-
garischen Geschichte, die den späteren Ver-
nichtungen und Verwüstungen der Türkeninva-
sion unmittelbar voranging. In dem oberen
Stockwerk befinden sich Bruchstücke der
Figuralplastik, u. a. eine Reihe von Werken
aus der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts,
die starke französische Einwirkung zeigen, und
viele Reste der Ofener Königsburg, dem
gotischen „Frischen Palast“ Sigismunds und
dem Renaissance-Bau von Matthias Corvinus.
Zufällige Grabungen förderten im letzten
Sommer archäologisch und kunsthistorisch in-
teressantes Material zutage. Nach Abbruch
des alten Piaristen-Ordenshauses in der Innen-
stadt wurden Mauerreste freigelegt, die nach
dem Urteil der Fachgelehrten Teile einer
römischen Festung darstellen. Das Über-
raschende dabei ist, daß es sich hier um die
ersten römischen Funde auf Fester Boden
handelt. Alle früheren wurden in Ofen (Buda),
also auf der rechten Donauseite entdeckt, das
an der Stelle der römischen Niederlassung
Aquincum erbaut worden ist. Die bisher herr-
schende Annahme, Aquincum hätte sich blos
auf die eine Donauseite erstreckt, müßte nun
einer Revision unterzogen werden. Wohl ent-
hält der Bericht des Idatus auch Angaben dar-
über, daß Kaiser Diocletian im Jahre 294 n. Chr.
auf dem linken Flußufer, gegenüber Aquincum,
die Festung Transaquincum errichten ließ, doch
fehlte bisher jede Bestätigung dafür.
Ausgrabungen im Kühlen Thal förderten
ein zweifellos wichtiges Denkmal aus späterer
Zeit zutage. Die Reste eines aus rotem Marmor
erbauten, mit Renaissance-Ornamentik ge-
schmückten Schlosses und einer Kapelle lassen
die Vermutung zu, daß es sich hier um das ver-
schollene Jagdschloß des KönigsMatthias
Corvinus handelt. Die Mitteilungen Bon-
finis, des italienischen Geschichtsschreibers von
Matthias, über die Lage des königlichen Jagd-
schlosses, und eine alte mündliche Über-
lieferung, nebst einer Reihe künstlerischer,
Das Referat der „Vossischen Zeitung“
vom 20. Dezember 1932 (Abendnummer) über
„Die große Impressionistenauktion Jules
Strauss“, die am 15. d. M. in Paris stattfand,
und von deren außerordentlich erfolgreichem
Verlauf an anderer Stelle dieser Nummer ein-
gehend gehandelt wird, bringt eine solche
Fülle fehlerhafter Angaben, die zahlenmäßig
richtigen Daten sind dem Zusammenhang so
mißverständlich eingeordnet, endlich und vor
allem fehlt so Wesentliches, daß es einem
Augenzeugen erlaubt sei, berichtigend Stel-
lung zu nehmen.
Zur Sache: der Referent bemerkt: „Das
prachtvolle Pastell der das Bad verlassenden
Frau von Degas brachte 37 000 Frcs.“ Be-
richtigung: Es handelte sich laut Katalog um
ein überarbeitetes Monotyp. •— „Ein wichti-
ges Gemälde wie die Semiramis von Degas
konnte 35 000 Francs nicht übersteigen“, Be-
richtigung: Das „wichtige“ Semiramis-Bild
hängt im Louvre und wäre in seinen Aus-
maßen von 1,48 : 2,55 m mit dem genannten
Preis in der Tat nicht zu teuer bezahlt ge-
wesen; das Strauss’sche, sehr artistische,
etwas abseitige Werkchen, 25 : 39 cm messend,
ist eine der Vorstudien dazu. — „Die Schlä-
ferin von Courbet vermochte das Limit nicht
zu erreichen.“ Berichtigung: Das Bild wurde
vor der Vente vom Verkauf zurückgezogen.
In Paranthese: was versteht der Referent
unter nicht erreichtem Limit? Er kann
deutsche Terminologie nicht einfach auf fran-
zösische Verhältnisse anwenden. Zu seiner
Orientierung: in Frankreich unterscheidet
man zwischen dem „prix de marchand“, dem
sogenannten Händlerpreis, der identisch ist
mit dem Ausrufpreis, und dem „prix de de-
mande“, der etwa unserem Schätzungspreis
entspricht, und der vom Expert dem Saal
öffentlich bekanntgegeben wird, bevor die
Gebote einsetzen. Ein nanfit iffl- UeutSChen-
Sinne ist in Frankreich nicht bekannt oder
jedenfalls nicht aus dem Gange der Auktion
erkennbar. — „Die Monets vermochten
durchweg nicht die Limite zu erreichen.“ Be-
richtigung: Von den Monets brachte der erste
111000 Francs (prix de demande 100 000),
der zweite 205 000 (prix de demande 75 000!!)
— eine ganz überraschende, unvorhergesehene
Steigerung, die zu einer Revision der Monet-
bewertung des gesamten Pariser Marktes ge-
führt hat. —■ „. . . ebenso erging es den
schönen Werken von Delacroix.“ Berichti-
gung: Sowohl der Akt (116 000 Francs) wie
der Christus am Kreuz (140 000 Frcs.) kamen
unmittelbar in französischen Privatbesitz. —
„Die Preise dürften in der Mehrzahl die
Einkaufspreise nicht erreicht haben.“ Nach
Mitteilung des Besitzers, einer der erfahren-
sten Sammler- und Kennerpersönlichkeiten
des Pariser Marktes, hat er — bei 85 Kata-
stilistischer Merkmale, dürften diese Annahme
auch bestätigen.
Auch der „T a b ä n“, der älteste Stadtteil
Ofens, der sich hügelig und winkelig über weite
Flächen erstreckt, hatte seine künstlerische
Sensation. In einem Raum eines alten, ver-
fallenden Hauses fand man mehrere Wand-
bilder, die, künstlerisch zwar nur von geringer
Bedeutung, aber durch ihren Inhalt und städte-
geschichtlich um so interessanter erscheinen.
Die Darstellungen, vielfigurige Szenen mit
türkischem Militär, einer Hochzeit usw. vor
landschaftlichen und architektonischen Hinter-
gründen, sind durchwegs dem Leben und
Treiben der Türkenbelagerung entnommen. Die
gemalten, ornamentalen Rahmen ermöglichen
ihre Datierung ins XVIII. Jahrhundert, also be-
reits in die Zeit nach den Türkenkriegen, in der
aber die Erinnerung an die Geschehnisse offen-
bar noch sehr lebendig war.
lognummern — an zwei Stücken gegenüber
seinen Einkaufspreisen verloren, an allen an-
deren einen, z. T. erheblichen, Nutzen gehabt,
auch wenn in Rechnung gezogen wird, daß er
seine Sammlung zum großen Teil vor der In-
flation des Franken zusammengestellt hat.
Ich nenne aus der Fülle der Beispiele: Re-
noir, Kinderbildnisse, 78 000 Frcs., erworben
auf der Vente Choquet (1899) für 3100 Frcs.,
Monet, les filets, 122 000 Frcs., erworben auf
der Vente Aubry (1897) für 7200 Frcs., Degas,
le ballet, 105 000 Frcs., erworben auf der Vente
Degas (1918) für 12 500 Frcs., Degas, danseuse
se coiffant, 50 000 Frcs., erworben für 1650 Frcs.
auf der Vente König Milan von Serbien (1906).
Ich komme zu dem, was fehlt. Allerdings
erwähnt ein einleitender Nebensatz, daß
„einige besonders klassische Stücke“ 40- bis
50 000 Mark gebracht hätten, die detaillierte
Aufzählung kennt jedoch nur Preise, die un-
terhalb der Grenze von 100 000 Frcs. liegen;
die elf Nummern, die über 100 000 Frcs. er-
brachten — darunter die Berthe Morisot von
Manet mit 360 000 Frcs. (inkl. Aufgeld etwa
70 000 Mark) und der Richard Wagner von
Renoir, für deutsche Leser ohnehin das wich-
tigste Stück der Sammlung, — werden ge-
flissentlich fortgelassen. Zur Erläuterung der
außerordentlichen Höhe der Preise, die bei
Strauss erzielt werden konnten, sei nebenbei
angemerkt: die Sammlung Strauss, die sehr
reizvolle Schöpfung eines feinsinnigen Pri-
vatmannes, enthielt kaum eigentlich große
klassierte („klassische“?) „Ware“ im Sinne
des Handels, vielmehr im wesentlichen markt-
mäßig nicht ganz leicht zu bewertende reine
„Amateur“-stücke, bei denen schon format-
mäßig das mittlere bis zum miniaturhaft
kleinen Objekt vorherrschte. Man mag etwa
daran denken, daß das höchstbezahlte Stück
der Kollektion, die charmante Bildnisstudie
rem äifaiietT-jrttf—der Nachlaß desr Kiiuet-
iers vom Jahre 1884 mit 170 Frcs. zugeschla-
gen wurde, während bei gleicher Gelegenheit
die Hauptwerke Manets schon Summen bis
zu 10 000 Frcs. erreichten, um einen ge-
rechten Maßstab zu gewinnen.
Die Gesamttendenz der „V. Z.“-Bericht-
erstattung — und sie ist es vor allem, gegen
die wir uns wenden — ist in dem Vorabsatz
deutlich genug ausgesprochen: entgegen den
Telegrammen, die aus Paris selbst von einem
„Riesenerfolg“ berichteten, wird nicht ohne
schmunzelnde Genugtuung festgestellt, daß
„die Preise doch erheblich niedriger lagen
als in den letzten Jahren“, daß im allgemei-
nen ein „Niedergang“ verzeichnet werden
muß. Was, so fragen wir uns und das kunst-
interessierte Publikum, soll mit dieser Ten-
denz bezweckt werden? Soll der Privatmann,
dessen Kunstbesitz ihm heute einen wichti-
gen Vermögensteil bedeutet, durchaus ver-
anlaßt werden, diesen Besitz unter dem wirk-
lichen augenblicklichen Marktpreis abzu-
geben ? Sollen die wenigen Sammler, die sich
bei der langsamen Konsolidierung der Ver-
hältnisse eben wieder entschließen, ihr Ver-
trauen auf den bleibenden Wert des Kunst-
werks zu setzen, von vornherein abgeschreckt
werden? Oder ist nur der Händler pädago-
gisch zu belehren, seine Ware weiter herab-
zuschreiben, eine Tätigkeit, die er in den
letzten beiden Jahren ohnedies als hauptsäch-
liche betrieben hat? Man mag hier einwen-
den, daß die Auktion und ihre Berichterstat-
tung überhaupt im Augenblick nicht im Zen-
trum des Allgemeingeschehens liegt. Zugege-
ben, aber solange die Rubrik beibehalten
wird, muß sie unseres Erachtens korrekt und
sachgemäß ausgefüllt werden. Die deutlich
einsetzende Besserung der internationalen
Kunstmarktlage, für die die Vente Strauss
und die vorhergehende Vente Pacquement in
Paris sinnfällig zeugen, ist in diesem Zusam-
menhang wichtig genug, um auch dem deut-
schen Publikum bekannt zu werden und in
seinen Auswirkungen vor allem auch dem
deutschen Markt, der schwer genug um seine
Existenz kämpft, zugute zu kommen. In der
vorliegenden, so mißverstandenen wie miß-
verständlichen Form, erscheint uns die Kunst-
berichterstattung nur geeignet, den kunst-
liebenden Leser irrezuführen und das
deutsche Sammler- wie Händlertum in seinen
Interessen auf das Empfindlichste zu ge-
fährden.
Ausstellungen
Neuere
spanische Kunst
Galerie Flechtheim, Berlin
Die von der Sociedad de Artistas Ibericos
veranstaltete Ausstellung ist — wie jeder Über-
blick — ungleichwertig, hat aber durchaus Ni-
veau. Die Pyrenäenhalbinsel marschiert (in der
Literatur schon lange) und ist ein Faktor im
europäischen Kunstleben geworden. Oft ko-
piert und nie erreicht: Picasso, der Meister,
Spaniens Leihgabe an die Pariser Schule, hier
mit wichtigen Bildern und einigen seiner tüch-
tigen Bronzen vertreten. Dicht hinter ihm
folgt der allzu früh verstorbene Juan G r i s,
der uns ein klares, reifes Werk hinterlassen
hat. Der kultivierte Jose de Togores hand-
habt die Form souverän; seine Sicherheit und
Grazie sind bisweilen eine Gefahr für ihn. La
Sema bleibt im Dekorativen stecken. Pi-
cassos blaue Periode findet in J u n y e r einen
empfindsamen, gewichtlosen Fortsetzer, in
P r u n a einen gefälligen Vulgarisator. Der
literarische Perez R u b i o will zu Redon und
gelangt zur derben Allegorie, der witzige Leon
malt ironisierende Spielereien, der manierierte
Lahuerta hascht nach Effekten. V i n e s
und Boris .. der mitunter atj Kirchner nfc
innert, verfolgen einen revidierten, kräftigen
Nachimpressionismus, der überzeugt. Der Sur-
realismus, ein weiter Mantel, der Gerechte und
Ungerechte deckt, hat in Spanien eine beträcht-
liche Gefolgschaft: den ernsthaften Miro,
Mallo, Climent, Luna, den spieleri-
schen Palencia, die maritimen Zauberer
Dali und Alberto, den Mitläufer Santa
Cruz. Die sogenannte iberische Gruppe, ver-
treten durch Solana, Souta und Ange-
les, rundet den Überblick nach der negativen
Seite hin. D i a z , der ihr gleichfalls zugehört,
ein ehrlicher, formklarer, etwas akademischer
Maler, wird zum Ehrenretter der Gruppe, die
sich als Fortsetzer einer Tradition gebärdet,
welche in Wirklichkeit von Picasso und Gris
weitergeführt wird. Ein Knabentorso von
G ar g al 1 o und zahlreiche Arbeiten M a n o -
1 o s repräsentieren die Plastik.
Kusenberg
Berichterstattung ?
BERLINER KÜNSTLER ZU HAUSE
H."> Erich Hecke!
Es ist still um Erich Heckel geworden, wie
um den Kreis von Künstlern, die vor nun bald
dreißig Jahren die Wegbereiter des neuen
Geistes in der deutschen Kunst gewesen sind.
Die nachkommende Generation hat sich vor-
zeitig bei dem zur Ruhe gesetzt, was er, Nolde,
Schmidt-Rottluff und die anderen Kämpfer
dieser großen Jahre sich mühsam eroberten.
Und so ist die Windstille um sie für sie selbst
zu einer Einsamkeit geworden, in der sie sich
hinter ihrem Werk verschanzen. Darin gleicht
Heckel sehr Emil Nolde: Auch in ihm ist
diese Stille des Über-den-Dingen-Stehens, die
wie eine unsichtbare Mauer ihn umgibt, die
man spürt mit der Ehrfurcht vor einem Men-
schen, dessen Werk historische Bedeutung
trägt.
1905 hatte Heckel mit Kirchner und Schmidt-
Rottluff den Freundeskreis der „Brücke“ ge-
schlossen, dem dann später Pechstein, Nolde,
Amiet und Otto Mueller hinzutraten. Gemein-
sam fanden sie den Ausdruck „Die Brücke“,
der das Synonym war für den Drang nach
einer menschlichen und künstlerischen Be-
freiung aus den Fesseln der Konventionen.
Doch schon in diesen Jahren der Brücke-Zeit
war die künstlerische Entwicklung Heckels
von einem anderen Rhythmus getragen als die
seiner Freunde und Kampfgenossen. Ging bei
Kirchner, Schmidt-Rottluff oder Pechstein der
Vorstoß zur elementaren Farbe nach außen,
wirkte bei ihnen die künstlerische Konzeption
in ihrer vitalen Wucht wie eine persönliche
Befreiung aus den Nöten, die neuen Erkennt-
*) I. Joachim Ringelnatz, in Nr. 45 (Jg. VI)
der „Weltkunst“.
nisse in sich zu verarbeiten, so waren Heckels
Bilder schon damals bei aller expressiven
Kraft von Form und Farbe um einige Grade
stiller als die der anderen, der geistige Raum
hinter seinen Menschen und Landschaften
wölbte sich tiefer, ihr Da-Sein war zarter und
mehr nach innen gekehrt. Es ist diese Ge-
meinsamkeit eines stets nach innen horchenden
Lebensgefühls, die Heckels Frühwerk mit dem
Otto Muellers verbindet und es von den Bildern
der anderen Brücke-Maler absetzt.
Heckels Weg nach diesen frühen Jahren
einer erregten künstlerischen Auseinander-
setzung mit der Umwelt führte zu einer Tek-
tonik der Formen, die in ihrer scheinbar
realistischen Näherung zum Gegenständlichen
Symptom für ein Flüchten hinter die Dinge
sind, für eine immer stärkere Verschließung
des eigenen Ichs. In der Landschaft wie in
den Menschendarstellungen werden die Er-
scheinungen nicht mehr in dem Maße wie
früher auf das eigene Selbst bezogen, das mit
den Dingen verschmilzt und ihnen symbol-
haften Wert verleiht, sondern die Arbeiten der
letzten Jahre stehen im Zeichen einer Selbst-
losigkeit im tiefsten Sinne des Wortes. Sie
suchen — in einem weit tieferen Sinne als
etwa bei Dix oder Lenk ■— hinter den Er-
scheinungen ihr Wesentliches zu fassen, die
Landschaft wird von ihrem eigensten Rhyth-
mus getragen, die Menschen füllen den Bild-
raum ganz mit dem Wesen ihres Seins.
Man scheut sich, über den Menschen Heckel
zu reden, da man glaubt, einen Griff in die
Stille einer Sphäre zu tun, die Anmaßung sein
könnte. Und doch möchte ich von dem Er-
lebnis der Stunde sprechen, da mir Heckel in
seinem Atelier Landschaften zeigte, die im
letzten Jahr nach einer Italienreise entstanden.
Wie ich aus der Unterhaltung mit ihm die
innere Größe und Makellosigkeit einer Per-
sönlichkeit spürte, die zu sich selbst fand aus
der unablässigen Arbeit an sich und seinem
Werk, so spiegelte die reine Klarheit der Luft
und des Raumes, die die Landschaften er-
füllte, den Menschen Heckel. Wie er selbst
vor den Landschaften stand und sie deutete,
entstand die Unmittelbarkeit des Empfindens
einer menschlichen Sphäre und ihrer Form-
werdung.
Peter Dollinger