VII. JAHRGANG, Nr. 39
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WERTHEIM - BIBLOGRAPHIKON
Inh. Dr. Hans Wertheim Alte Graphik / Gotik bis Biedermeier Berlin W9, Lennestr. 7. Lützow 4512
Cornelius
als tragische Erscheinung der
deutschen Kunst
Zum 150. Geburtstag des Künstlers am 23. September
Historische Probleme haben auch für eine
von ihren eigenen Sorgen stark erregte Zeit
ein wahres Interesse, wenn man sie auf Ana-
logien mit Lebenden festlegen kann. Ein
solches Problem von analogem Wert bildet für
uns der Klassizismus der Goethezeit. Be-
dauerlich bleibt, daß die Jahrhundertfeier
Goethes in das Jahr vor der nationalen Er-
hebung fiel; so blieb eine fruchtbare Kritik
am Klassizismus entweder ganz aus oder fand
nicht, in ihren wenigen. Fällen, eine lebendige
Resonnanz und den natürlichen Zusammenhang
mit der Gegenwart.
Zum Ersatz bietet sich indessen der Fall
Cornelius dar. Leider ist der große Mann
— der am 23. September 1783 in Düsseldorf
geboren wurde — nicht ohne eigene und die
größere Schuld seiner Zeitumstände in er-
staunlichem Maße unpopulär geworden, ja in
einer undankbaren Finsternis gleichsam ver-
schollen, aus der ihn anscheinend keine An-
strengungen ans Licht zu ziehen vermögen;
weder Alfred Kuhns bedeutende und sehr klar
geschriebene Monographie von 1921, noch
P. F. Schmidts kursorischen Versuche in
einigen Büchern und die entsprechenden
weniger nachdrücklichen Kapitel in den
Werken von Hamann, Scheffler, Landsberger,
Pückler-Limpurg usw., die sich mit jener hoch-
gestiegenen Epoche der Wiedererweckung deut-
schen Geistes beschäftigen, haben für eine
Rehabilitierung von Cornelius .Bedeutung er-
halten. Will man wissen, welch ungewöhn-
liche Wirkung weitgreifendster Art er auf
seine Zeit gehabt hat, so muß man zu dem
leider ebenso und ganz zu Unrecht verscholle-
nen Buche des vortrefflichen Riegel „Ge-
schichte des Wiederauflebens der deutschen
Kunst“ greifen, in dem das ungeheure Erleb-
nis der heroischen Epoche deutscher Kunst
noch 1876 ganz unmittelbar nachzittert. Es
ist kaum erlaubt, über eine so allgemeine und
kritisch erwogene Begeisterung, die mehr als
ein halbes Jahrhundert angehalten und nicht
nur Deutschland, sondern die besten euro-
päischen Geister schlechthin ergriffen hatte,
heute zur Tagesordnung überzugehen. Zu
meinen erstaunlichsten Erinnerungen gehört
sich gerade auf dem Gebiet der bildenden Kunst
in Richtung des Klassizismus bewegen, immer
der einzigartige Genius, dessen Kosmos Licht
und Schatten enthält und als Ganzes über jeder
Tagesmeinung steht (wenn man sich auch nicht
des Rechtes begeben kann, das Negative, so
weit es für unser Volk schädlich ist, hervorzu-
heben). Das Verhältnis zur bildenden Kunst
Gesinnung, die bei Cornelius hoffnungslos ins
undeutsche Fahrwasser geraten war. Hier
findet man den1 Schwerpunkt des klassizisti-
schen, des nazarenischen Problems: mochten
sie immerhin Raffael und die Griechen mit
ihrer statischen Ausgeglichenheit nachempfin-
den, dergleichen hat ja die deutsche Kunst oft
wundervoll befruchtet, von Carstens und
Marees bis zu Schlemmer; daß sie aber im
tiefsten Wollen ihrer Kunst das deutsche Ge-
fühl verleugnen und das ganz und gar fremde
Prinzip eines formalen Optimismus und inhalt-
lichen Schöntuns, eines formalen Schöntuns
und inhaltlichen Optimismus mit Haut und
Haar angenommen und sich dergestalt zu
romanisch Fühlenden gewandelt haben: das ist
das Unverzeihliche und ihre Sünde wider den
heiligen Geist des deutschen Volkstums. Und
Cornelius ist als der Hervorragendste davon
am stärksten betroffen, gerade weil er in
Cornelius, Siegfried von Hagen erschlagen
Zeichnung, 1813
die vor Aufrichtigkeit zitternde Begeisterung
des alten Reber, der bei Eröffnung der herr-
lichen Schwind-Ausstellung in München 1904
von Cornelius in einem Tone von Unvergleich-
barkeit und Verzückung redete; zu unserer
aller unverständigem und damals ganz un-
gläubigem Kopfschütteln.
Die Spannung zwischen solcher Bejahung
und der völligen Vergessenheit, die sich auf
Cornelius seit einem halben Jahrhundert herab-
gesenkt hat, wäre in der Tat unerklärlich,
wenn diese nicht eine tiefere Rechtfertigung im
deutschem Geistesleben fände. Goethe bleibt
auch in seinen bedenklichsten Abirrungen, die
ist aber in jeder Beziehung empfindlicher, dem
Wechsel moralischer und völkischer An-
schauungen stärker ausgesetzt: und darunter
muß nun in erster Linie Cornelius hoffnungs-
los leiden. Runge, Fohr, Friedrich, Blechen
waren vor der Jahrhundertausstellung von
1906 in viel intensiverem Ausmaß vom deut-
schen Volk vergessen gewesen. Der Grund,
warum sie heute so volkstümlich geworden
sind, Cornelius aber nicht (und es auch nie-
mals werden wird), liegt klar und offen; es ist
der Unterschied, nicht einmal so sehr der Form
— die bei Runge und noch mehr bei Schwind
dem Klassizismus recht nahe steht — als der
seinem grandiosen Jugendwerk der Faust-
und Nibelungen-Illustrationen gezeigt hat,
welch ein Geist germanischen Aufbauwillens
in ihm lebte, und weil auch noch in seinem
römisch gesinnten Werk bisweilen der Funke
des Genies in ausdrucksvollen Gestalten auf-
blitzt. Er hat bewiesen, was er der deutschen
Nation hätte sein können. Sein Sturz und
Sündenfall ins Volksfehrliche ist ungeheuer
und kann nicht vergeben werden, um seiner
selbst und um der schlimmen Folgen willen.
Diese Wandlung in Rom, welche alle Gleich-
gesinnten ergriff, und sogar an dem urkräfti-
gen Fabulierer Schwind nicht spurlos vorüber-
gegangen ist (wofür dessen Historienbilder ein
betrübliches Zeugnis ablegen), ist freilich dem
deutschen Gemüt schicksalsmäßig verhaftet
und aus einer abgründigen Neigung unseres
Volkes zur Selbstentäußerung zu erklären.
Wägt man die Besten gegeneinander ab, die
sich mit Fanatismus für die gefährliche fremde
Schönheit erklärt, und die, die gegen sie das
Nationale mit Glut und Heftigkeit verteidigt
haben, so steht das Zünglein der Waage wohl
auf unentschieden. Beschränken wir uns nur
auf den Kampf um den Klassizismus, so stehen
gegen Lessing: Herder, gegen Hölderlin:
Kleist, gegen Forster und Humboldt: Heinse
und Rumohr; und bei den Größten hat sich der
Streit entwicklungsmäßig innerhalb ihres
eigenen Schaffens abgespielt. Den Jugend-
werken Goethes wie Schillers steht ihre
Weimarer Tätigkeit entgegen, obwohl hier
Schiller stets nur als der von Goethe Ver-
führte und eigentlich widerwillig Folgsame er-
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zist Goethe sich in seiner Spätzeit ab und zu
von besser unterrichteter Seite zu Ausnahmen
bekehren ließ, wie zur Herausgabe seines
Faust, zur Anerkennung Runges, des Kölner
Doms und der Faust-Zeichnungen von
Cornelius und Delacroix. Am schlimmsten
stand es freilich in der bildenden Kunst, weil
hier- der vollendeten Ordnung des Klassischen
als Vorbild nicht Gleichgewichtiges von
deutscher Seite her entgegengesetzt werden
konnte und das Schibboleth der „Nachahmung“
nun einmal an eine wirklich selbständige
Formfindung gar nicht denken ließ. Was hat
— gegenüber der Auswirkung des Klassi-
schen — die Herrlichkeit der Gotik bei den
Nachgeborenen schon angeregt? Die schwäch-
lichen Gotizismen in der Baukunst und Bild-
nerei jener Epoche kommen ernsthaft über-
haupt nicht in Frage, auch nicht bei Schinkel;
übrig bleibt der Faust von Cornelius und die
wenigen Schöpfungen Pforrs in „teutschem
Geschmack“ als einzig echt empfundene Nach-
dichtungen; und in stilistischem Abstand, wie-
wohl schöpferisch gleichen Ranges, die klar
struktive Grundform bei Ziesenis, Runge und
Fohr, dem sich einige Gleichgesinnte wie
Horny, Olivier, Schnorr in ihren Jugendwerken
anschließen: das ist die ganze Ausbeute. So
zweifellos die Überlegenheit dieser „gotischen“
Gruppe über den ganzen Umfang klassizisti-
scher Praxis in künstlerischer und nationaler
Beziehung auch ist, sie bedeutet gleichwohl
nur eine erneute Bestärkung des falschen
Nachahmungsprinzips, sieht man vom säku-
laren Standpunkt aus unsere Kunst und ver-
gleicht sie mit der strengen Geschlossenheit
der französischen Malerei, bei der Klassizis-
mus wie Romantik in höherem Sinne eine
nationale Einheit bilden. Der Bruch, den im
16. Jahrhundert das Eindringen des Italieni-
schen in unsere Kunst verursachte, war un-
heilbar, weil er die Deutschen aus dem großen
Gefüge ihres nationalen Stiles riß und in Ab-
hängigkeit von überlegenen Mustern brachte.
Ob diese Vorbilder nun, im Zeitalter Goethes,
Raffael oder Dürer hießen, der Effekt war
überall ein gebrochenes Kunstwollen, das, in
den Banden einer übermächtigen Tradition,
nicht mehr den Mut zur Findung eines eigenen
Ausdrucks besaß. Der so selbständige und
kühne Geist von Runge ist auch nur im Ge-
danken zur Forderung ..ganz neuer und deut-
GUSTAV CRAMER -
ANTIQUITÄTEN Berlin Hf9, Lennestr. 8
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