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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 7.1933

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Nr. 27 (2. Juli)
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VII. JAHRGANG, Nr. 27

2. JULI 1933

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WE

LMONDE*AKTS

ART<EWORLD ILLUSTRIERTE WOCHENSCHRIFT

DAS INTERNATIONALE ZENTRALORGAN FÜR KUNST / BUCH / ALLE SAMMELGEBIETE UND IHREN MARKT

Erscheint jeden Sonntag im Weltkunst-Verla g, G. m. b. H.,
Berlin W 62, Kurfürst en str. 76-77. Telegramm-Adresse: «Weltkunst Berlin».
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führten Länder sfrs. 7; Übersee $ 1,50; Sammelmappen pro Jahrgang Mk. 4,50

WERTHEIM-BIBLOGRAPHIKON
Inh. Dr. Hans Wertheim Alte Graphik / Gotik bis Biedermeier Berlin W9, Lennestr. 7. Lützow 4512

Ausstellung Ferrareser
Malerei der Renaissance

Die stille, weiträumige Vaterstadt Ariosts
benutzt die Wiederkehr des 400. Todestages
ihres größten Dichters, ihre kulturelle und
künstlerische Vergangenheit, deren Dokumente,
wie in keiner anderen italienischen Stadt, seit
dem 17. Jahrhundert beinahe systematisch aus-
getilgt und in alle Winde zerstreut wurden, in
einem imposanten Gesamtbilde darzustellen.
Neben kleineren Ausstellungen, wie der der
Ariost-Bildnissammlung in dessen Sterbehaus,
der bibliographischen Schau der Stadtbiblio-
UAVSiS. U.11V1 U.CL Amt ucJxUxlfe vbcx Vviä Käl’dlJltxI.
Rimineldi zu Anfang des 19. Jahrhunderts der
Stadt vermachten Bronzensammlung im Pa-
lazzo Schifanoia, steht im Mittelpunkt dieser
Ferrareser Kunstschau die umfassende Dar-
stellung der Geschichte der Malerei in Ferrara
von den frühesten erhaltenen Werken des
14. Jahrhunderts bis zu ihrem eigentlichen Aus-

leihe kaum mehr einen Grundstock seiner
eigenen künstlerischen Produktion, wie es in
beinahe allen übrigen Zentren der italienischen
Kunstübung der Fall ist. Schon zu Beginn des
17. Jahrhunderts, als die Este vom Papste ver-
trieben wurden und Ferrara zu einer ärm-
lichen Provinzstadt herabsank, folgten die
meisten Werke der herzoglichen Sammlungen
dem Hofe. Der Verlust wurde noch größer,
als während der Napoleonischen Aufhebungen
auch noch ein großer Teil der in den Kirchen
■Alld JdÖfZÜOi’Tl T-Trip aV-crpJ-j .
schwanden, und das Ende des Ferrareser
Kunstbesitzes bezeichnete die Auflösung der
Sammlungen Costabili und Barbi-Cinti, denen
1902 und 1904 die Sammlungen Santini und
Canonici folgten. So mußte der größte und
bedeutendste Teil des jetzt vereinten Materials
italienischen und ausländischen Museen ent-


Cosimo Tura, Beweinung Christi
Wandteppich, 90 : 207 cm
München, Slg. von Lenbach
Ausstellung Ferrareser Malerei der Renaissance:
Ferrara, Palazzo dei Diamanti

klang mit Dosso Dossi, dem art- und gesin-
nungsverwandten Zeitgenossen des Dichters des
„Orlando furioso“.
In 24 Sälen des im Auftrag des Sigismondo
d’Este 1493 von Biagio Rossetti begonnenen
Palazzo dei Diamanti, der erst 1567 vollendet
wurde und später in den Besitz der Marchesi
Villa überging, hat Nino Barbantini mit
einem Stabe von Mitarbeitern und gelehrten
Beratern eine Ausstellung von etwa 225 Ge-
mälden der Ferrareser Schule aus allen Enden
der Welt zusammengestellt, die, künstlerisch
geschmackvoll wie wissenschaftlich außer-
ordentlich klug und aufschlußreich, eigentlich
zum erstenmal das Wesen dieser Kunst und
ihre zeitörtliche Entwicklung veranschaulicht.
Dem Unternehmen standen außergewöhn-
liche Schwierigkeiten entgegen: besitzt doch
Ferrara in den heutigen Beständen seiner Ga-

nommen werden: Leihgaben aus Berlin, Dres-
den, München, Hannover, Wien, Straßburg,
Paris, Budapest, London, Liverpool, Edinburgh,
Amsterdam und New York bezeichnen ge-
nügend die gründliche Umsicht, mit dei’ die
Veranstalter zu Werke gegangen.
Da die Ausstellungsleitung nicht nur die
ganzen gesicherten Marksteine der künstleri-
schen Entwicklung, sondern bewußt auch die
gerade auf diesem Gebiete vielumstrittenen
Objekte — man denke allein an die Bildnisse,
die in einem Saale vereint sind — zur Diskus-
sion stellt, kann man erwarten, daß von dieser
Ausstellung eine völlige Neuorientierung der
kunstwissenschaftlichen Beschäftigung mit der
Ferrareser Malerschule ausgeht. Der Pro-
bleme in Fragen der Attribution wie in der
Gesamtbeurteilung sind unzählige. Der
stärkste Gewinn dieser Ausstellung jedoch ist

der Eindruck einer in ihren Charakterzügen
fest umrissenen, in ihrer historischen Entwick-
lunk kontinuierlich und konsequent fortschrei-
tenden Malerschule, die nicht, wie bisher viel-
fach üblich, einfach als der Kreuzungspunkt
verschiedener Einfluß-Sphären, der nordischen,
venezianischen, florentinischen und mittelita-
lienischen, abgetan werden kann.
Die besondere und überragende Stellung, die
bereits seit der Mitte des 15 Jahrhunderts mit
Persönlichkeiten wie Nikolaus (f 1441), Lio-
nello (t 1450), Borso (t 1471) und Ercole d’Este
(f 1507) der Hof einnahm, die urkundlich viel-
fältig überlieferte engste Beziehung dieses
Fürstenhauses und seiner weiblichen Mitglieder
zur bildenden Kunst haben nicht unwesentlich
deren Charakter beeinflußt. Neben Verona
kann Ferrara als der stärkste Stützpunkt jener
aus den verschiedensten Elementen zusammen-
gesetzten Stilrichtung bezeichnet werden, die
unter der Bezeichnung „international-höfischer
’.il eines der reiz’, ollsten und interessantesten
Probleme der neueren Kunstgeschichte bildet.
Das episch-erzählende Moment, das hier in dem
frühesten Werk, den den Triumph Augustins
darstellenden Fresken eines unbekannten Mei-
sters von 1378 aus S. Andrea, zutage tritt,
bleibt über die Fresken des Palazzo Schifanoia
bis zu den märchenhaft-versponnenen Allego-
rien eines Dosso Dossi ein wesentlichster
Grundzug der ferraresischen Kunstübung. Ein
weiteres Charakteristikum ist die tief-inner-
liche Verbundenheit mit der Gotik, die thema-
tisch und formal in diesem, innerhalb der ver-
schiedensten Einflußsphären liegenden Fer-
rara sich bis über das Ende des Quattrocento
hinaus siegreich durchsetzt und damit bei-
nahe eine stilistische Parallelerscheinung zum
Norden darstellt. So finden sich hier immer
wieder die beinahe einzigen Pietä-Darstellun-
gen, die direkt auf den Typus des nordischen
Vesperbildes zurückgehen (Tura), so jene
mystisch-ekstatische Gesteigertheit des Ge-
fühlsausdrucks, wie sie in den übrigen italieni-
schen Kunstzentren unbekannt ist und nur
wieder ihre Parallele in der nordischen Kunst
der Spätgotik findet. Diese gotische Aus-
drucksform ist grundsätzlich verschieden von
jener, die als Nachgotik in Florenz (Polla-
juolo, Botticelli u. a.) oder Venedig (Crivelli)
als solche festgestellt werden kann: ihre Wur-
zeln liegen nicht im Formalistischen, sondern
im rein Gefühlsmäßig-Bodenverhafteten.
Die Aufstellung folgt der historischen Ent-
wicklung, jedoch mit dem Bestreben, inhaltlich
oder kulturgeschichtlich Zusammengehöriges
nicht zu trennen. Am Anfang stehen anonyme
Werke, meist Fresken des Trecento. Die erste
greifbare Persönlichkeit, Antonio Alberti, ist
mit dem Polyptychon aus Urbino vom Jahre 1439
vertreten: der Einfluß Pisanellos wird hier von
einem eigenwilligen Temperament überwuchert,
das derber in den Formen, herber im Ausdruck
und gesteigerter in der Bewegung erscheint.
Den in Ferrara arbeitenden oder in direkten
Beziehungen zum Hof stehenden Künstlern ist
ein besonderer Saal eingeräumt: vereint hängen
hier Pisanellos wohl 1441 entstandenes Bildnis
Lionellos und einer estensischen Prinzessin
(Bergamo, Paris), Jacopo Bellinis (?) Porträt
desselben Fürsten (Paris, Slg. Lazzaroni), die
mit ziemlicher Sicherheit während des Ferra-
reser Aufenthalts 1449 entstandene Grablegung
Rogers van der Weyden aus Belfiore (Florenz)
und ein köstliches Bildnis des Meliaduse d’Este
(New York) von derselben Hand, Mantegnas
1485 für Eleonora d’Aragon, die Gemahlin
Ercoles I., geschaffene Madonna der Brera.

Piero della Francescas gewaltiger Einfluß auf
die ferraresische Malerei wird leider nur durch
einige Schulwerke aus Ferrara, nicht aber
durch das wahrscheinlich während seines dorti-
gen Aufenthalts 1449 entstandene Hieronymus-
bild aus Venedig aufgezeigt.


Francesco del Cossa (?), Bildnis
Holz, 36 : 24 cm
Haarlem, Slg. von Pannwitz
Ausstellung Ferrareser Malerei der Renaissance:
Ferrara, Palazzo dei Diamanti

Der Kreis der Künstler aus dem Studio des
Lustschlosses Belfiore ist hier vollzählig ver-
eint: neben Angelo Parrasio, Michele Pannonio,
Tura und den Lendinaresen bildet zweifellos die
Berliner Allegorie des Herbstes, die als Glanz-
punkt auch dem Ausstellungsplakat als Vorlage
diente, das stärkste Erlebnis. In seinen sach-
lichen Angaben stützt sich der ungewöhnlich
sorgfältig gearbeitete Katalog für diesen Kreis
auf die neuerlichen Forschungen Gombosis, der
das Problem der Ausstattung des Studio und
der Aufteilung unter die verschiedenen Hände
seiner Lösung bedeutend nahegebracht hat.
Innerhalb dieses Kreises sind zweifellos auch
die Hände zu suchen, denen die berühmten
„Tarocchi di Mantegna“ — hier in einer wun-
derbaren Folge des Gabinetto von Florenz aus-
gestellt — zuzuschreiben sind.
Der Porträtsaal gibt die meisten und inter-
essantesten Probleme auf, zu denen erst neuer-
dings Fiocco wieder Stellung genommen hat.
Außer den bekannten Porträts Johanns II.
Bentivoglio von Costa (Florenz) und der „Un-
bekannten“ aus der Capitolina, die Grandi zu-
geschrieben wird, sind hier u. a. zu sehen das
vielumstrittene, von Berenson dem Cossa, von
anderen völlig unbegründet dem Ansuino da
Forli zugeschriebene Profilbildnis aus dem
Museo Correr, ferner das aus demselben
Museum stammende Bildnis mit der roten
Mütze, das sich hier als einwandfrei ferrare-

BRUNNER OfiLLE"v NEW-YORK
55, East 57th Street
 
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