ö
DIE WELTKUNST
Jahrg. VII, Nr. 1 vom 1. Januar 1933
• •
Nachrichten von Überall
Salomon Reinach
Anläßlich
seines kürzlich erfolgten Todes
Von
Assia Rubinstein
Von den mannigfachen Beziehungen, in
denen der kürzlich im Alter von 74 Jahren ver-
storbene Kunsthistoriker M. Salomon Reinach
zu Akademien und wissenschaftlichen Vereini-
gungen des In- und Auslandes stand, sei nur
auf die seit 1907 ununterbrochen bestehende
Präsidentschaft der „Academie des Inscription
et Beiles Lettres“ und die Herausgabe der un-
gezählten hochbedeutenden Publikationen des
Institut de France, sowie auf seine bis zum
Ende unermüdliche Tätigkeit als Leiter des
Musee des Antiquites Nationales in Saint-Ger-
main hingewiesen. Das literarische Lebens-
werk des Gelehrten Reinach auch nur zu skiz-
zieren, verbietet der hier zur Verfügung
stehende Raum: allein die Bibliographie seiner
bis 1922 erschienenen Schriften füllte
179 Oktavseiten, heute wäre sie noch beträcht-
lich umfangreicher. Von seinen Büchern
zitieren wir daher als Hauptwerke nur „Le
Mirage Oriental“, „Les Celtes dans les vallees
du Pö et du Danube“, „La sculpture en Europe.
avant les influences greco-romaines“, mit denen
er zur Wiederbelebung der Prähistorie und
M. Salomon Reinachf
der Archäologie beitrug. In seinen berühmten
„Repertoires“ (von Reliefs, Statuen, Vasen-
malereien und Gemälden), deren Veröffent-
lichung sich gleichmäßig durch das ganze Ge-
lehrtenleben zog, hinterläßt er der Kunst-
wissenschaft ein unerschöpfliches Handbuch
und vor allem eine kritisch-ikonographische
Methode. Sein „Orpheus“ bringt seinen, auch
sonst nicht geringen, wissenschaftlichen Bei-
trag zur Religionsgeschichte, sein „Manuel de
Philologie classique“, sein „Precis de gram-
maire latine“ und viele andere Allgemeinwerke
haben auf den verschiedensten Gebieten An-
trieb zu weiteren Studien gegeben und mit
seinem „Apollo“ hat er 1902 seinen Einzug in
die moderne Kunstwissenschaft gehalten. Das
Fehlen seiner immer tätigen und befeuernden
Mitarbeit an verschiedenen Kunstzeitschriften
wie seinem traditionellen „Courrier de l’art an-
tique“ und der „Gazette des Beaux-Arts“ oder
der Leitung der „Revue Archeologique“ wird
fühlbare Lücken hinterlassen.
Mit Salomon Reinach verliert die moderne
Wissenschaft einen Gelehrten von umfassend-
ster Universalität, verlieren die, welche ihm
persönlich nahestanden, einen Menschen von
unerschöpflicher Güte und Hilfsbereitschaft.
Auf ihn scheint der Nachruf zu passen, den
Stefan Zweig in seiner Nietzsche-Studie diesem
großen Denker gewidmet: „Wertvoll ist nicht
das ewige Leben, sondern nur das ewige
Lebendigsein“.
Personalien
Prof. Arthur Haseloff, der neuernannte
kommissarische Direktor des Kunsthistorischen
Institutes in Florenz, feierte am 28. No-
vember 1. J. seinen sechzigsten Geburtstag.
Der Gratulation der Mitglieder des Institutes,
bei der eine persönliche Gabe dem Jubilar
W. Grote-Hasenbalg
Berlin W 9, Lennöstr. 12
B 2 LützOW 4739
Islamische Kunst
Alte Teppiche und Stoffe
Antiquitäten
überreicht wurde, folgte eine wissenschaft-
liche Besprechung, die zu einer Festsitzung
ausgestaltet war und zu der außer den Spitzen
der Behörden die wissenschaftlichen Freunde
des Institutes geladen wären. An dieser
Sitzung nahm auch der neuernannte deutsche
Botschafter teil; der Podesta und der Präfekt
von Florenz ließen sich vertreten. Die Sitzung
eröffnete Exzellenz Freiherr von Gutten-
berg, der Vorsitzende des Florentiner Orts-
ausschusses. Dr. Gronau als Doyen der
Florentiner deutschen Kunsthistoriker über-
reichte das Manuskript der Festschrift, die
Schüler und Freunde dem Jubilar gewidmet
haben. Dr. W e i g e 11 verlas ein Schreiben
des Florentiner Ordinarius für Kunst-
geschichte, Prof. Dott. Mario S a 1 m• i , der die
Glückwünsche der italienischen Kollegen in
sehr warmer und anerkennender Form aus-
sprach. Die wissenschaftliche Festrede hielt
Dr. Walter Pa atz über das Thema:
„Die vorromanischen Kirchen in Florenz“. Am
Abend vereinigte ein Festessen die Mitglieder
der deutschen Kolonie, soweit sie dem Institut
nahestehen.
Prof. Dr. Hans W. Singer ist nach mehr als
dreiundvierzigjähriger Tätigkeit am Kupfer-
stichkabinett zu Dresden in den
Ruhestand versetzt worden.
Georgios Jakobides, genannt der griechische
Leibi, der letzte aus der Reihe von Künstlern,
welche die Münchener Malerei der nachludo-
vicianischen Zeit in Griechenland repräsen-
tierten, starb in Athen im Alter von 80 Jahren.
Er hatte zuerst unter Lythras, einem Stipen-
diaten Ludwigs I. und späteren Akademie-
direktor in Athen, dann in München unter
Gabriel Max und v. Löfftz studiert. Bis zur
Rückkehr in die Heimat im Jahre 1900 hatte er
in München eine Malschule. L. F. F.
*
Raymond Lautier ist als Nachfolger von
M. S. Reinach zum Konservator des Musee des
Antiquites Nationales in Saint-Germain en
Laye ernannt worden.
*
Dr. Ernst Cohn-Wiener, der Berliner Kunst-
historiker, wurde am 25. Dezember 50 Jahre.
Der Forscher hat sich besondere Verdienste um
das volkstümliche Bildungswesen als lang-
jähriger Vorsteher der Humboldt-Hochschule
erworben. Die Kunst Asiens, über welche
er ein schönes Werk veröffentlichte, hat
er in ergebnisreichen Forschungsreisen nach
Westturkestan (1923—25) neu erschlossen.
Gustav Schiefler, der bekannte Kunstfreund,
beging am 28. Dezember seinen 75. Geburtstag.
Die Kunstwelt kennt ihn seit Jahrzehnten als
den eifrigen und erfolgreichen Sammler der
nordischen Graphik unserer Zeit. Er hat die
musterhaften Kataloge des graphischen Wer-
kes von Liebermann und Nolde auf Grund sei-
ner umfassenden eigenen Sammlung geschrie-
ben, hat sich für Munch und Kirchner ein-
gesetzt und ist nicht müde geworden, das
Recht und die Pflicht kultureller Verant-
wortung zu betonen, die der Sammler der
Kunst unserer Zeit zu vertreten hat.
Ludwig von Herterich f. Am Weihnachts-
abend starb einer der letzten aus der großen
Münchener Zeit, Geheimrat Prof. Ludwig
von Herterich im Alter von 76 Jahren. Sein
berühmtestes Werk ist wohl der „Ritter“ in
der Neuen Staatsgalerie in München. Ein
Bild aus dem Bauernkrieg, „Hutten“, hängt in
der Dresdener Galerie. Seiner ausgesprochenen
Begabung für Monumentalmalerei wurden ver-
schiedentlich dankbare Aufgaben gestellt:
Festsaal des Rathauses in Bremen, alter Rat-
haussaal in Wasserburg usw. F.
Inschriftensaal
des P e r g a m o n - M u s e u m s , Berlin
Am 27. Dezember wurde im Pergamon-
Museum der Inschriftensaal, eine aus-
gewählte Sammlung griechischer und rö-
mischer Steinurkunden, für das Publikum
erstmalig geöffnet. Zum ersten Male wird
hier der Versuch gemacht, ein Gebiet weitesten
Kreisen zu erschließen, das bisher nur den
Fachleuten Vorbehalten war. Durch eine aufs
äußerste beschränkte Auslese aus dem Bestand
von weit über 1000 Steinurkunden ist zu-
nächst einmal der Ermüdung des Besuchers
vorgebeugt. Da nur der geringste Teil der
Besucher eine griechische oder lateinische Ur-
kunde selbst wird entziffern können, ist ferner-*
hin weitgehend für das inhaltliche Verständ-
nis gesorgt. Der kleine Führer von Dr.
von Massow, dem die Einrichtung des
Saales verdankt wird, gibt außerdem einige
Törichte Jungfrau. Frankreich, um 1300
Holz mit alter Vergoldung und Bemalung
Sonder-Ausstellung:
Berlin, Deutsches Museum
Anleitungen; mit deren Hilfe jeder, der selbst
bescheidene Schulkenntnisse der antiken
Sprachen mitbringt, die eine oder andere In-
schrift entziffern kann. Aber selbst wer kein
Wort zu lesen vermag, wird seine Freude an
den schönen Buchstabenformen finden, die auch
dem modernen Schriftkünstler vielerlei An-
regung geben können.
Rembrandts „Staalmeesters"
unversehrt
Gegenüber vielfach in der Tagespresse auf-
getauchten- Nachrichten, wonach Rembrandts
„Staalmeesters“ im Amsterdamer Rijksmuseum
durch eine neuerliche Restaurierung als
„völlig verdorben“ oder sogar als „verloren“
bezeichnet werden müsse, kann festgestellt
werden, daß alle diese Behauptungen jeglicher
Grundlage entbehren. Wie der Direktor des
Rijksmuseums, Prof. Schmidt-Degener,
mitteilt, hat eine Dublierung des Bildes vor
drei Jahren stattgefunden, im November 1929.
„Seitdem wurde das Bild nicht
mehr berührt. Die Rentoilierung, oder
besser Dublierung, war seit Jahren vorgesehen,
weil die Farbenschicht an den Rändern des
Craquelees sich zu heben anfing. Nach der
Rentoilierung wurde ein Teil von der Wachs-
und Copaivaschicht, welche bei früherer Be-
handlung über den Firnis gelegt worden war,
fortgenommen. Das Bild ist übrigens
eines der besterhaltenen der
ganzen Sammlung. Es gehört nicht dem Staat,
sondern der Stadt Amsterdam, welche durch
eine Kommission, man könnte sagen mit
religiöser Sorgfalt, über den Zustand der
städtischen Gemälde wacht.“
Die kleine Geschichte
Die Trouvaille
Siebenhaar war arm. Während er, unge-
schickt und erfolglos, das Glück umbuhlte,,
hatte ihm das Leben die Taschen geleert. Seine
Armut schrie zum Himmel. Der Himmel hatte
ein Einsehen und gewährte eine irrationale
Subvention. Eines Nachts, als Siebenhaar
schlief, erschien ihm das Glück im Traum, ent-
schleierte sich in den Grenzen des Schicklichen,
lächelte huldreich und sprach: „Dein Flehen ist
erhört. In der Langenoordestraat zu Amster-
dam erwartet Dich Deine große Chance. Grüß
Gott!“ Sprachs und verschwand. Siebenhaar
erwachte kurz, ritzte die empfangene Adresse
mit dem Fingernagel in die Wand, legte sich
um und schlief weiter.
Am nächsten Tag scharrte Siebenhaar
durch mühsam erflehte Darlehen eine Summe
zusammen, die den Fahrpreis nach Amsterdam
sicherstellte. Auf der Fahrt machte er auf die
Mitreisenden durch sein aufgeregtes Benehmen
einen ungünstigen Eindruck. Ohne dessen zu
achten, verließ er in Amsterdam fluchtartig
den einfahrenden Zug und begab sich an Hand
eines zuvor erworbenen Stadtplans auf die
Suche nach der Langenoordestraat. Er fand
und durcheilte sie mit Habichtsaugen. Ein
Sonnenstrahl lenkte seine Aufmerksamkeit auf
eine Gruppe spielender Kinder. Zwei Knaben
vergnügten sich mit einem Brettspiel und be-
nutzten dabei eine Holztafel von altertüm-
lichem Aussehen. Von einem sicheren Instinkt
getrieben, handelte ihnen Siebenhaar um ein
Geringes die Tafel ab und trat unverzüglich die
Rückreise an.
Zu Hause angelangt, wusch Siebenhaar das
Brett mit W’asser und Seife. Ein unvergleich-
liches Frauenbildnis löste sich aus dem Schmutz
von Jahrhunderten. Siebenhaar war so sehr
Eifer und Anbetung, daß er das Bild nicht
sorgfältig genug auf die Kommode stellte. Es
kam ins Rutschen und fiel zu Boden. Als Sie-
benhaar sich entsetzt bückte, lagen dort zwei
Bilder statt eins. Das erste, gewaschene, eine
Übermalung, war als zusammenhängende
Schicht abgesprungen und hatte das zweite, ein
Männerporträt von unglaublicher Schönheit,
makellos freigegeben. Siebenhaar frohlockte
stumm. Er wiederholte den Zufall, indem er
das ältere Bild mehrmals zu Boden fallen ließ,
erreichte aber nur, daß eine Ecke abbrach. Er
nahm dies als Warnung und gab sein frevent-
liches Beginnen auf. Das jüngere Bild klebte
er dauerhaft auf den Deckel einer Eierkiste.
Durch Umfrage erfuhr Siebenhaar, daß ein
Bild ohne Expertise so wenig wert ist wie ein
Rassehund ohne verbrieften Stammbaum. Er
wickelte daher die beiden Bilder in Zeitungs-
papier und suchte einen Experten von Weltruf
auf. Dieser warf einen kurzen, jedoch durch-
dringenden Blick auf beide Tafeln und sprach:
„Das eine ist ein Jan van Eyck, das andere ein
Holbein. Holbein übermalte, vermutlich in mo-
mentaner Ermangelung eines Malbretts, den
älteren Meister. Die Bilder sind zwei Vermögen
wert.“ Siebenhaar stammelte Freude und er-
kundigte sich nach Honorar und Verkaufsmög-
lichkeit. Der Experte wich drei Schritte zu-
rück, rief: „Mein Herr, was denken Sie von
mir?“ und entfloh. Siebenhaar nahm verdutzt
die Bilder wieder an sich und ging seines Wegs.
Am Ausgang überfiel ihn ein Herr von ge-
pflegtem Aussehen, der ein horrendes Angebot
auf beide Bilder machte. Siebenhaar wies- es
zurück. Er hatte warten gelernt und wollte
nicht überstürzen. Die Sache sprach sich her-
um. Es erschienen Interessenten, die sich
gegenseitig überboten, und Kunsthistoriker, die
sich um die Publikationsrechte rissen. Sieben-
haar ließ die unentgeltlichen Propagandisten
nach Herzenslust publizieren und verhandelte
mit Käufern, die vor Nervosität vergingen.
Schließlich schlug er beide Bilder um eine
riesige Summe los.
Siebenhaar erwarb Haus, Auto, Pelzmantel
sowie sonstige Attribute der besitzenden
Klasse und steckte sein Geld in totsichere Un-
ternehmungen. Die totsicheren Unternehmun-
gen warfen im ersten Jahr unerhörte Dividende
ab und machten im zweiten Jahr wie auf Ver-
abredung Konkurs. Siebenhaar hielt auf Gläu-
bigerversammlungen zündende Reden, ohne daß
es ihm gelang, sich auch nur einen Pfennig
zurückzuerkämpfen. Bedauerlicherweise mußte
er- sich selbst seiner Immobilien begeben und
war bald so arm wie zuvor.
Einige Zeit darauf wurde aus Holland ein
Mann ausgewiesen, der dortzulande unange-
nehm aufgefallen war, weil er in der Lan-
genoordestraat spielenden Kindern Gegen-
stände ohne besonderen Materialwert entriß
und auf ihre Beschaffenheit untersuchte. Un-
nötig zu sagen, daß es sich um Siebenhaar han-
delte, der das Glück nicht zu halten gewußt
hatte. Simplex
KUNSTHAUS MALMEDE
Köln a. Rhein
Unter Sachsenhausen 33
Antike Kunst
in Gemälden, Plastik, Gobelins, Möbeln,
Antiquitäten
Ankauf Verkauf
Beginnen Sie das neue Jahr mit einer heiteren Stunde
Lesen Sie:
SIMPLEX, A PROPOS:
DAS KOMPLIZIERTE DASEIN
Der vergnügliche Führer
durch das Bestiarium der Kunst und des Lebens
Erschienen im:
PREIS RM 2.—
WELTKUNST-VERLAG G-M-B-H, BERLIN, KURFÜRSTENSTR. 76-77
Direktion: Fritz-Eduard Hartmann. Redaktion: Dr. Werner Richard Deusch, für moderne Kunst: Dr. Kurt Kusenberg. — Red. Vertretungen für München: Ludwig F. Fuchs / R o ra : G. Reinboth
Wien : Dr. St. Poglayen-Neuwall — Pariser Büro ; 8, rue de Varenne. — Verantwortlich für Inhalt und Anzeigen: Theo Rose, Berlin. — Erscheint im Weltkunst-Verlag G. m. b. H., Berlin W 62. - Zuschriften sind
an die Direktion der Weltkunst, Berlin W 62, Kurfürstenstraße 76—77, zu richten. Anzeigenannahme bis Donnerstag beim Weltkunst-Verlag. Inseratentarif auf Verlangen. Abdruck von Artikeln nur mit Einverständnis des Verlags,
auszugsweiser Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet. Haftung für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht übernommen und jegliche Verantwortung, auch hinsichtlich des Veröffentlichungstermins und der Rücksendung.
abgelehnt. Der Verlag übernimmt durch Erwerbung eines Manuskripts alle Verlagsrechte für dasselbe. Druck H. S. Hermann G. m. b. H., Berlin SW 19
DIE WELTKUNST
Jahrg. VII, Nr. 1 vom 1. Januar 1933
• •
Nachrichten von Überall
Salomon Reinach
Anläßlich
seines kürzlich erfolgten Todes
Von
Assia Rubinstein
Von den mannigfachen Beziehungen, in
denen der kürzlich im Alter von 74 Jahren ver-
storbene Kunsthistoriker M. Salomon Reinach
zu Akademien und wissenschaftlichen Vereini-
gungen des In- und Auslandes stand, sei nur
auf die seit 1907 ununterbrochen bestehende
Präsidentschaft der „Academie des Inscription
et Beiles Lettres“ und die Herausgabe der un-
gezählten hochbedeutenden Publikationen des
Institut de France, sowie auf seine bis zum
Ende unermüdliche Tätigkeit als Leiter des
Musee des Antiquites Nationales in Saint-Ger-
main hingewiesen. Das literarische Lebens-
werk des Gelehrten Reinach auch nur zu skiz-
zieren, verbietet der hier zur Verfügung
stehende Raum: allein die Bibliographie seiner
bis 1922 erschienenen Schriften füllte
179 Oktavseiten, heute wäre sie noch beträcht-
lich umfangreicher. Von seinen Büchern
zitieren wir daher als Hauptwerke nur „Le
Mirage Oriental“, „Les Celtes dans les vallees
du Pö et du Danube“, „La sculpture en Europe.
avant les influences greco-romaines“, mit denen
er zur Wiederbelebung der Prähistorie und
M. Salomon Reinachf
der Archäologie beitrug. In seinen berühmten
„Repertoires“ (von Reliefs, Statuen, Vasen-
malereien und Gemälden), deren Veröffent-
lichung sich gleichmäßig durch das ganze Ge-
lehrtenleben zog, hinterläßt er der Kunst-
wissenschaft ein unerschöpfliches Handbuch
und vor allem eine kritisch-ikonographische
Methode. Sein „Orpheus“ bringt seinen, auch
sonst nicht geringen, wissenschaftlichen Bei-
trag zur Religionsgeschichte, sein „Manuel de
Philologie classique“, sein „Precis de gram-
maire latine“ und viele andere Allgemeinwerke
haben auf den verschiedensten Gebieten An-
trieb zu weiteren Studien gegeben und mit
seinem „Apollo“ hat er 1902 seinen Einzug in
die moderne Kunstwissenschaft gehalten. Das
Fehlen seiner immer tätigen und befeuernden
Mitarbeit an verschiedenen Kunstzeitschriften
wie seinem traditionellen „Courrier de l’art an-
tique“ und der „Gazette des Beaux-Arts“ oder
der Leitung der „Revue Archeologique“ wird
fühlbare Lücken hinterlassen.
Mit Salomon Reinach verliert die moderne
Wissenschaft einen Gelehrten von umfassend-
ster Universalität, verlieren die, welche ihm
persönlich nahestanden, einen Menschen von
unerschöpflicher Güte und Hilfsbereitschaft.
Auf ihn scheint der Nachruf zu passen, den
Stefan Zweig in seiner Nietzsche-Studie diesem
großen Denker gewidmet: „Wertvoll ist nicht
das ewige Leben, sondern nur das ewige
Lebendigsein“.
Personalien
Prof. Arthur Haseloff, der neuernannte
kommissarische Direktor des Kunsthistorischen
Institutes in Florenz, feierte am 28. No-
vember 1. J. seinen sechzigsten Geburtstag.
Der Gratulation der Mitglieder des Institutes,
bei der eine persönliche Gabe dem Jubilar
W. Grote-Hasenbalg
Berlin W 9, Lennöstr. 12
B 2 LützOW 4739
Islamische Kunst
Alte Teppiche und Stoffe
Antiquitäten
überreicht wurde, folgte eine wissenschaft-
liche Besprechung, die zu einer Festsitzung
ausgestaltet war und zu der außer den Spitzen
der Behörden die wissenschaftlichen Freunde
des Institutes geladen wären. An dieser
Sitzung nahm auch der neuernannte deutsche
Botschafter teil; der Podesta und der Präfekt
von Florenz ließen sich vertreten. Die Sitzung
eröffnete Exzellenz Freiherr von Gutten-
berg, der Vorsitzende des Florentiner Orts-
ausschusses. Dr. Gronau als Doyen der
Florentiner deutschen Kunsthistoriker über-
reichte das Manuskript der Festschrift, die
Schüler und Freunde dem Jubilar gewidmet
haben. Dr. W e i g e 11 verlas ein Schreiben
des Florentiner Ordinarius für Kunst-
geschichte, Prof. Dott. Mario S a 1 m• i , der die
Glückwünsche der italienischen Kollegen in
sehr warmer und anerkennender Form aus-
sprach. Die wissenschaftliche Festrede hielt
Dr. Walter Pa atz über das Thema:
„Die vorromanischen Kirchen in Florenz“. Am
Abend vereinigte ein Festessen die Mitglieder
der deutschen Kolonie, soweit sie dem Institut
nahestehen.
Prof. Dr. Hans W. Singer ist nach mehr als
dreiundvierzigjähriger Tätigkeit am Kupfer-
stichkabinett zu Dresden in den
Ruhestand versetzt worden.
Georgios Jakobides, genannt der griechische
Leibi, der letzte aus der Reihe von Künstlern,
welche die Münchener Malerei der nachludo-
vicianischen Zeit in Griechenland repräsen-
tierten, starb in Athen im Alter von 80 Jahren.
Er hatte zuerst unter Lythras, einem Stipen-
diaten Ludwigs I. und späteren Akademie-
direktor in Athen, dann in München unter
Gabriel Max und v. Löfftz studiert. Bis zur
Rückkehr in die Heimat im Jahre 1900 hatte er
in München eine Malschule. L. F. F.
*
Raymond Lautier ist als Nachfolger von
M. S. Reinach zum Konservator des Musee des
Antiquites Nationales in Saint-Germain en
Laye ernannt worden.
*
Dr. Ernst Cohn-Wiener, der Berliner Kunst-
historiker, wurde am 25. Dezember 50 Jahre.
Der Forscher hat sich besondere Verdienste um
das volkstümliche Bildungswesen als lang-
jähriger Vorsteher der Humboldt-Hochschule
erworben. Die Kunst Asiens, über welche
er ein schönes Werk veröffentlichte, hat
er in ergebnisreichen Forschungsreisen nach
Westturkestan (1923—25) neu erschlossen.
Gustav Schiefler, der bekannte Kunstfreund,
beging am 28. Dezember seinen 75. Geburtstag.
Die Kunstwelt kennt ihn seit Jahrzehnten als
den eifrigen und erfolgreichen Sammler der
nordischen Graphik unserer Zeit. Er hat die
musterhaften Kataloge des graphischen Wer-
kes von Liebermann und Nolde auf Grund sei-
ner umfassenden eigenen Sammlung geschrie-
ben, hat sich für Munch und Kirchner ein-
gesetzt und ist nicht müde geworden, das
Recht und die Pflicht kultureller Verant-
wortung zu betonen, die der Sammler der
Kunst unserer Zeit zu vertreten hat.
Ludwig von Herterich f. Am Weihnachts-
abend starb einer der letzten aus der großen
Münchener Zeit, Geheimrat Prof. Ludwig
von Herterich im Alter von 76 Jahren. Sein
berühmtestes Werk ist wohl der „Ritter“ in
der Neuen Staatsgalerie in München. Ein
Bild aus dem Bauernkrieg, „Hutten“, hängt in
der Dresdener Galerie. Seiner ausgesprochenen
Begabung für Monumentalmalerei wurden ver-
schiedentlich dankbare Aufgaben gestellt:
Festsaal des Rathauses in Bremen, alter Rat-
haussaal in Wasserburg usw. F.
Inschriftensaal
des P e r g a m o n - M u s e u m s , Berlin
Am 27. Dezember wurde im Pergamon-
Museum der Inschriftensaal, eine aus-
gewählte Sammlung griechischer und rö-
mischer Steinurkunden, für das Publikum
erstmalig geöffnet. Zum ersten Male wird
hier der Versuch gemacht, ein Gebiet weitesten
Kreisen zu erschließen, das bisher nur den
Fachleuten Vorbehalten war. Durch eine aufs
äußerste beschränkte Auslese aus dem Bestand
von weit über 1000 Steinurkunden ist zu-
nächst einmal der Ermüdung des Besuchers
vorgebeugt. Da nur der geringste Teil der
Besucher eine griechische oder lateinische Ur-
kunde selbst wird entziffern können, ist ferner-*
hin weitgehend für das inhaltliche Verständ-
nis gesorgt. Der kleine Führer von Dr.
von Massow, dem die Einrichtung des
Saales verdankt wird, gibt außerdem einige
Törichte Jungfrau. Frankreich, um 1300
Holz mit alter Vergoldung und Bemalung
Sonder-Ausstellung:
Berlin, Deutsches Museum
Anleitungen; mit deren Hilfe jeder, der selbst
bescheidene Schulkenntnisse der antiken
Sprachen mitbringt, die eine oder andere In-
schrift entziffern kann. Aber selbst wer kein
Wort zu lesen vermag, wird seine Freude an
den schönen Buchstabenformen finden, die auch
dem modernen Schriftkünstler vielerlei An-
regung geben können.
Rembrandts „Staalmeesters"
unversehrt
Gegenüber vielfach in der Tagespresse auf-
getauchten- Nachrichten, wonach Rembrandts
„Staalmeesters“ im Amsterdamer Rijksmuseum
durch eine neuerliche Restaurierung als
„völlig verdorben“ oder sogar als „verloren“
bezeichnet werden müsse, kann festgestellt
werden, daß alle diese Behauptungen jeglicher
Grundlage entbehren. Wie der Direktor des
Rijksmuseums, Prof. Schmidt-Degener,
mitteilt, hat eine Dublierung des Bildes vor
drei Jahren stattgefunden, im November 1929.
„Seitdem wurde das Bild nicht
mehr berührt. Die Rentoilierung, oder
besser Dublierung, war seit Jahren vorgesehen,
weil die Farbenschicht an den Rändern des
Craquelees sich zu heben anfing. Nach der
Rentoilierung wurde ein Teil von der Wachs-
und Copaivaschicht, welche bei früherer Be-
handlung über den Firnis gelegt worden war,
fortgenommen. Das Bild ist übrigens
eines der besterhaltenen der
ganzen Sammlung. Es gehört nicht dem Staat,
sondern der Stadt Amsterdam, welche durch
eine Kommission, man könnte sagen mit
religiöser Sorgfalt, über den Zustand der
städtischen Gemälde wacht.“
Die kleine Geschichte
Die Trouvaille
Siebenhaar war arm. Während er, unge-
schickt und erfolglos, das Glück umbuhlte,,
hatte ihm das Leben die Taschen geleert. Seine
Armut schrie zum Himmel. Der Himmel hatte
ein Einsehen und gewährte eine irrationale
Subvention. Eines Nachts, als Siebenhaar
schlief, erschien ihm das Glück im Traum, ent-
schleierte sich in den Grenzen des Schicklichen,
lächelte huldreich und sprach: „Dein Flehen ist
erhört. In der Langenoordestraat zu Amster-
dam erwartet Dich Deine große Chance. Grüß
Gott!“ Sprachs und verschwand. Siebenhaar
erwachte kurz, ritzte die empfangene Adresse
mit dem Fingernagel in die Wand, legte sich
um und schlief weiter.
Am nächsten Tag scharrte Siebenhaar
durch mühsam erflehte Darlehen eine Summe
zusammen, die den Fahrpreis nach Amsterdam
sicherstellte. Auf der Fahrt machte er auf die
Mitreisenden durch sein aufgeregtes Benehmen
einen ungünstigen Eindruck. Ohne dessen zu
achten, verließ er in Amsterdam fluchtartig
den einfahrenden Zug und begab sich an Hand
eines zuvor erworbenen Stadtplans auf die
Suche nach der Langenoordestraat. Er fand
und durcheilte sie mit Habichtsaugen. Ein
Sonnenstrahl lenkte seine Aufmerksamkeit auf
eine Gruppe spielender Kinder. Zwei Knaben
vergnügten sich mit einem Brettspiel und be-
nutzten dabei eine Holztafel von altertüm-
lichem Aussehen. Von einem sicheren Instinkt
getrieben, handelte ihnen Siebenhaar um ein
Geringes die Tafel ab und trat unverzüglich die
Rückreise an.
Zu Hause angelangt, wusch Siebenhaar das
Brett mit W’asser und Seife. Ein unvergleich-
liches Frauenbildnis löste sich aus dem Schmutz
von Jahrhunderten. Siebenhaar war so sehr
Eifer und Anbetung, daß er das Bild nicht
sorgfältig genug auf die Kommode stellte. Es
kam ins Rutschen und fiel zu Boden. Als Sie-
benhaar sich entsetzt bückte, lagen dort zwei
Bilder statt eins. Das erste, gewaschene, eine
Übermalung, war als zusammenhängende
Schicht abgesprungen und hatte das zweite, ein
Männerporträt von unglaublicher Schönheit,
makellos freigegeben. Siebenhaar frohlockte
stumm. Er wiederholte den Zufall, indem er
das ältere Bild mehrmals zu Boden fallen ließ,
erreichte aber nur, daß eine Ecke abbrach. Er
nahm dies als Warnung und gab sein frevent-
liches Beginnen auf. Das jüngere Bild klebte
er dauerhaft auf den Deckel einer Eierkiste.
Durch Umfrage erfuhr Siebenhaar, daß ein
Bild ohne Expertise so wenig wert ist wie ein
Rassehund ohne verbrieften Stammbaum. Er
wickelte daher die beiden Bilder in Zeitungs-
papier und suchte einen Experten von Weltruf
auf. Dieser warf einen kurzen, jedoch durch-
dringenden Blick auf beide Tafeln und sprach:
„Das eine ist ein Jan van Eyck, das andere ein
Holbein. Holbein übermalte, vermutlich in mo-
mentaner Ermangelung eines Malbretts, den
älteren Meister. Die Bilder sind zwei Vermögen
wert.“ Siebenhaar stammelte Freude und er-
kundigte sich nach Honorar und Verkaufsmög-
lichkeit. Der Experte wich drei Schritte zu-
rück, rief: „Mein Herr, was denken Sie von
mir?“ und entfloh. Siebenhaar nahm verdutzt
die Bilder wieder an sich und ging seines Wegs.
Am Ausgang überfiel ihn ein Herr von ge-
pflegtem Aussehen, der ein horrendes Angebot
auf beide Bilder machte. Siebenhaar wies- es
zurück. Er hatte warten gelernt und wollte
nicht überstürzen. Die Sache sprach sich her-
um. Es erschienen Interessenten, die sich
gegenseitig überboten, und Kunsthistoriker, die
sich um die Publikationsrechte rissen. Sieben-
haar ließ die unentgeltlichen Propagandisten
nach Herzenslust publizieren und verhandelte
mit Käufern, die vor Nervosität vergingen.
Schließlich schlug er beide Bilder um eine
riesige Summe los.
Siebenhaar erwarb Haus, Auto, Pelzmantel
sowie sonstige Attribute der besitzenden
Klasse und steckte sein Geld in totsichere Un-
ternehmungen. Die totsicheren Unternehmun-
gen warfen im ersten Jahr unerhörte Dividende
ab und machten im zweiten Jahr wie auf Ver-
abredung Konkurs. Siebenhaar hielt auf Gläu-
bigerversammlungen zündende Reden, ohne daß
es ihm gelang, sich auch nur einen Pfennig
zurückzuerkämpfen. Bedauerlicherweise mußte
er- sich selbst seiner Immobilien begeben und
war bald so arm wie zuvor.
Einige Zeit darauf wurde aus Holland ein
Mann ausgewiesen, der dortzulande unange-
nehm aufgefallen war, weil er in der Lan-
genoordestraat spielenden Kindern Gegen-
stände ohne besonderen Materialwert entriß
und auf ihre Beschaffenheit untersuchte. Un-
nötig zu sagen, daß es sich um Siebenhaar han-
delte, der das Glück nicht zu halten gewußt
hatte. Simplex
KUNSTHAUS MALMEDE
Köln a. Rhein
Unter Sachsenhausen 33
Antike Kunst
in Gemälden, Plastik, Gobelins, Möbeln,
Antiquitäten
Ankauf Verkauf
Beginnen Sie das neue Jahr mit einer heiteren Stunde
Lesen Sie:
SIMPLEX, A PROPOS:
DAS KOMPLIZIERTE DASEIN
Der vergnügliche Führer
durch das Bestiarium der Kunst und des Lebens
Erschienen im:
PREIS RM 2.—
WELTKUNST-VERLAG G-M-B-H, BERLIN, KURFÜRSTENSTR. 76-77
Direktion: Fritz-Eduard Hartmann. Redaktion: Dr. Werner Richard Deusch, für moderne Kunst: Dr. Kurt Kusenberg. — Red. Vertretungen für München: Ludwig F. Fuchs / R o ra : G. Reinboth
Wien : Dr. St. Poglayen-Neuwall — Pariser Büro ; 8, rue de Varenne. — Verantwortlich für Inhalt und Anzeigen: Theo Rose, Berlin. — Erscheint im Weltkunst-Verlag G. m. b. H., Berlin W 62. - Zuschriften sind
an die Direktion der Weltkunst, Berlin W 62, Kurfürstenstraße 76—77, zu richten. Anzeigenannahme bis Donnerstag beim Weltkunst-Verlag. Inseratentarif auf Verlangen. Abdruck von Artikeln nur mit Einverständnis des Verlags,
auszugsweiser Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet. Haftung für unverlangt eingesandte Manuskripte wird nicht übernommen und jegliche Verantwortung, auch hinsichtlich des Veröffentlichungstermins und der Rücksendung.
abgelehnt. Der Verlag übernimmt durch Erwerbung eines Manuskripts alle Verlagsrechte für dasselbe. Druck H. S. Hermann G. m. b. H., Berlin SW 19