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DIE WELT KUNST
Jahrg. VII, Nr. 50 vom 10. Dezember 1933
Die Gemeinschaft
Ihrer ersten Veranstaltung läßt die Künst-
lergruppe „Gemeinschaft“ im Berliner Hause
der früheren Galerie Thannhauser, Bellevue-
straße 13, nunmehr eine zweite Ausstellung
folgen, in der die Gruppen des Malers Peter
Förster (mit Heinz Fuchs und den Zeich-
nern Grunwaldt und Baron Nolcken)
und Klaus Richter (mit Georg E h m i g ,
Erik Richter, Koch-Zeuthen, Adolf
S a e n g e r , Karl Storch und dem Bildhauer
Max Esser) mit interessanten Kollektionen
vertreten sind, die den Ausstellungsabsichten
des führenden Veranstalters, Bildhauers
Günther Martin, der auch schriftstelle-
risch, zuletzt in dem Werk „Kunstgesinnung
und Kunsterziehung“ wider einen schranken-
losen Individualismus in der Kunst aufgetreten
ist, weitere Rechtfertigung geben. Martin er-
strebt eine Ordnung des Ausstellungswesens
und eine Hebung der künstlerischen Produk-
tion durch Gemeinschaftsarbeit, indem zu sei-
nen Veranstaltungen ganz wenige Künstler
(diesmal nur zwei) herangezogen werden, die
sich ihrerseits mit einigen handwerklich oder
sonstwie im Streben nahestehenden Persönlich-
keiten zu Gruppen verbinden. Der durch dieses
System geförderte künstlerische Wettbewerb
der Teilnehmer jeder- Gruppe unter sich und
der selbständigen Gruppen untereinander, ist
nicht nur geeignet, all jenes Minder- oder Mit-
telgut auszuschalten, das sich sonst auf den
Ausstellungen in oft so unerfreulichem Maße
breitmacht, er kann auch Zusammenhänge und
Bindungen in dem Schaffen der Einzelnen her-
vorrufen, die sich als traditionsbildende Kräfte
fruchtbar auzuwirken vermögen. Martins weit-
ausgreifende Pläne, so dankenswert und zu-
kunftsträchtig sie sein mögen, setzen jedoch,
was er auch sehr wohl weiß, noch ein gewal-
tiges und geduldiges Stück planvoller Er-
ziehungsarbeit voraus, die vor allem verhindern
muß, daß nicht etwa an Stelle lebendiger
Gruppenbildungen Cliquenbestrebungen auf-
treten. Möge seine Einsicht, daß es „auf ein
organisches Zusammenwirken der künstleri-
schen Kräfte ankommt und auf ein Sichfinden
zu gemeinschaftlichem Streben“, einen allge-
meinen Wiederhall finden. Dann werden auch
die wirklich schöpferischen Leistungen, die
niemals Regel, sondern immer nur Ausnahme
und seltene Begnadung sind, organisch aus
einem künstlerischen Nährboden wachsen, der
auch, abgesehen von diesen Spitzenleistungen,
seine Daseinsberechtigung in sich selber trägt.
Zk.
Paul Kleinschmidt
Im Art Institute in Chicago wird
vom 14. Dezember bis 21. Januar eine um-
fassende „One Man Show“ von etwa fünfund-
dreißig ölgemäelden Paul Kleinschmidts
stattfinden, die die erste deutsche Veranstal-
tung dieser Art in Chicago sein wird. Weitere
Inhalt Nr. 50
Deutsche Kunst in Florenz (m.3Abb.) 1
Ausstellungen (m. 2 Abb.)
Fritz Burmann. 1
Die Gemeinschaft. 2
Paul Kleinschmidt. 2
E dvard Munch. 2
Auktionsvorberichte. 2
Auf den Spuren alter Meister (m. Abb.) . . 2
Ergebnisse der Dietrichstein-Auktion .... 3
Preisberichte . 3
Auktionskalender. 3
Nachrichten von Überall (m. 2 Abb.) .... 4
Abbildungen:
A. Geb h ard. Die Tochter des Künstlers. 1
E. Steppes. Abenddämmerung. 1
K. Kaiser, Landschaft bei Murnau.„ 1
P. Kl e i n s c h m i dt, Abendlandschaft. 2
Tint o r e tt o , Lot und seine Töchter. 2
Oberrheinischer Meister um 1525 . 4
H. van Eyck, Kreuzigung . 4
Ausstellungen desselben Künstlers in anderen
Städten, u. a. in New York, sollen folgen. Klein-
schmidt, aus Pommern stammend, ist ein Maler
von ausgesprochen deutschem Charakter, was
Paul Kleinschmidt, Abendlandschaft
Ausstellung: Chicago, Art Institute
vielleicht gerade besonders im Ausland und im
Vergleich mit Werken nichtdeutscher Künstler
in die Augen fällt. Seine herbe Naturauf-
fassung, sein starkes Form- und Raumgefühl,
die Vermeidung alles Gefälligen lassen an die
Auffassung der großen alten nordischen
Meister denken. Trotz der auf den ersten Blick
gewaltsam erscheinenden Farben lösen sich
diese in der Gesamtorganisation des Bildes zu
einer Harmonie auf, die in der neueren deut-
schen Malerei eine Seltenheit bildet. Von be-
sonderer Schönheit und Kraft sind seine
Aquarelle. Dr. H. Post (New York)
Auktionsvorschau
Berlin, 13.—14. Dez.
Am 13. und 14. Dezember findet bei R u d.
Lepke eine Versteigerung von Mobiliar
und Kunstgewerbe statt. Zum Ausgebot
gelangen komplette Zimmer und Einzelmöbel
verschiedener Stilarten, Gemälde, persische
Teppiche, Textilien, dabei ein sehr schöner
flämischer Gobelin des 17. Jahrhunderts, der
eine baumreiche Landschaft mit Figurenszene
darstellt, Bronzen, Porzellane (Figuren, Grup-
pen und Geschirre), Holzskulpturen, Silber-
gerät, Flügel, altes und neueres Kunst-
gewerbe usw.
Paris, 11.—18. Dez.
Me E. Ader versteigert in der Galerie
Jean Charpentier am 15. und 16. De-
zember zwei wichtige Sammlungen. Zuerst die
Gemälde aus dem Besitz von M. C. G. de C a n -
damo (Experten: MM. Schoeller, Te-
desco, Pape, Feral, Catroux, Max-
Kann): eine Courbet-Landschaft aus dem
Jahr 1870, Delacroix’ „Tasso im Narrenhaus“
und Ingres’ „Angelika am Felsen“ (1818), die
erste Fassung des Louvre-Gemäldes. Von den
bedeutenden alten Meistern nennen wir ein
Stierkampfbild und eine Ochsenherde von
Goya, eine besonders reizvolle Guardi-Vedute,
zwei Predellen des Anghiari-Meisters und
Werke von Ruisdael, Teniers, Wouwerman und
Murillo. — Die zweite Auktion bringt neben,
meist dekorativen, Gemälden vorzügliche Möbel
des Dixhuitieme mit Stempeln der bekanntesten
Ebenisten, sowie Kunstgewerbe verschiedener
Art.
Auf den Spuren alter Meister
Funde in Privatbesitz
i.
Tintorettos „Lot und seine Töchter“
In Tintorettos gewaltigen Produktionen bil-
den die Werke der ersten Periode (bis un-
gefähr 1552), in denen er noch stark an frühere
Tradition gebunden war, eine Gruppe für sich.
Er kämpft gegen Tizians Lehren, ohne noch
imstande zu sein, sie zu überwinden. Um das
dokumentarisch beglaubigte Hauptwerk dieser
Frühzeit — das 1548 vollendete „Markus-
wunder“ der Akademie von Venedig — grup-
piert sich eine Reihe von nur teilweise datier-
ten Bildern, in denen bald die realistische, bald
die dekorative und die stilisierende Tendenz
überwiegt.
In diese Reihe der noch stark von Tizian
abhängigen Frühwerke gehört auch das hier
zum ersten Mal repro-
und die kräftigen, muskulösen Hände sind in
einem naturalistischen Sinne interpretiert. In
späteren Werken Tintorettos wird dieser Na-
turalismus durch den ihm eigenen „trans-
zendenten“ Stil überwunden.
Parallele Diagonalen bestimmen die Kom-
position (wie auf vielen seiner Bilder). Die
eigentümliche starke Wirkung beruht auf der
Leidenschaftlichkeit der Linien- und Licht-
führung und auf dem temperamentvollen male-
rischen Vortrag.
Das sehr wenig nachgedunkelte, farbige und
feurige Bild, in dessen Gesamthaltung Grau
und Braun noch keine wesentlichen Kompo-
nenten bilden, ist auf Rot, Gelb und Grün ge-
stimmt: Krapplack-, Zinnober- und Karminrot
(nur einige wirkungsvolle Flecken), Ockergelb
und Olivengrün; Weiß (das Gewand der mitt-
duzierte Gemälde, das
Lot mit seinen Töchtern
darstellt (125 :157 cm,
s. Abb.). Nur noch
einmal hat der Künstler
das in der Renais-
sance- und Barock-
malerei ziemlich häu-
fige Thema behandelt:
in dem etwas kleineren
Bilde im Basler Privat-
besitz (abgebildet im
Tintorettowerk von E.
von der Bercken und
Aug. L. Mayer, Bd. II,
S. 23). Auch in diesem,
nach anderen Modellen,
aber in demselben
Geiste gemalten und
ähnliche Motive zei-
genden Bilde (es ge-
nügt hier auf die
Hände des Lot hinzu-
weisen) ist das heikle
Thema — im Vergleich
mit anderen bekannten
Darstellungen desselben
Gegenstandes — mög-
lichst dezent behandelt;
auf beiden Bildern sind
alle Figuren bekleidet, ihre Haltung und Aus-
druck sind zurückhaltend (man denke an
flämische Bilder des 17. Jahrhunderts!) —, was
den Künstler in erster Linie interessiert, ist
die malerische und dekorative Erscheinung.
Eine prachtvolle, recht tintoretteske Gestalt ist
die Figur im Vordergrund links, die mehr als
einmal in ähnlicher Haltung auf Tintorettos
Bildern vorkommt (vgl. z. B. die äußerste linke
Gestalt auf dem mehrfigurigen Bilde des
Metropolitan Museum mit der „Wunderbaren
Vermehrung der Brote und Fische“). Die breit
hingelagerte Gestalt des Lot erfüllt dieselbe
dekorative Funktion; nur sein volkstümlich-
derber, sinnlicher, porträtmäßiger Kopf mit
dem der Situation entsprechenden Ausdruck,
Lot und seine Töchter
Privatbesitz
leren Frauengestalt) kommt dazu, um die leb-
hafte Farbenreihe abzuschwächen.
Das Bild ist — wie in vielen anderen Wer-
ken aus Tintorettos Frühzeit, und in dieser Be-
ziehung im Gegensatz zum „Markuswunder“ —
im wesentlichen auf der Fläche gehalten; die
Raumwirkung ist dem klug berechneten deko-
rativen Effekt untergeordnet.
Lots Züge zeigen, merkwürdig genug, eine
unverkennbare Ähnlichkeit mit denen des Are-
tino in seinem Alter (vgl. den bekannten Holz-
schnitt in I Mondi del Doni, Venedig 1552, und
besonders das Bildnis in Inferni, 1553, Bl. 42);
ob hier auch tatsächlich eine gewisse satirische
Absicht vorliegt, mag einstweilen dahingestellt
bleiben. Prof. Dr. W. v. R a k i n t
Tintoretto,
Deutscher
Die Sammlung J. J. R e u b e 11 wird durch
Mes B a u d o i n und Ader sowie die Experten
MM. L e m a n und Portier vom 11.—16. De-
zember imHötelDrouot versteigert: wert-
volles europäisches und ostasiatisches Kunst-
gewerbe, italienische Bronzen, Waffen und Vi-
trinenobjekte, wie sie ein passionierter und
kenntnisreicher Sammler in langen Jahren zu-
sammengebracht hat.
Mes H. Baudoin u. A. Bellier verstei-
gern unter Assistenz von M. A. Schoeller
im Hotel Drouot am 15. Dezember weitere
Bestände der aufgelösten Galerie Georges
Petit: hervorragende Gemälde und Aquarelle
neuerer Meister wie Corot, Daubiging, Jong-
kind, Pissarro, Lisley u. a., sowie Werke von
H. Lebasque.
Am 18. Dezember bringen Me Petit und
M. Pape in der Galerie Charpentier
den Nachlaß der Marquise R. d’Andigne zum
Ausgebot, ein äußerst qualitätvolles Ensemble
von französischen Dixhuitieme-Kunstwerken,
vor allem erstklassigen Möbeln.
Stockholm, 13.—15. Dez.
Aus den Sammlungen Johnsons und Sund-
borgs versteigert W. Bukowski am 13. bis
15. Dezember Gemälde und Kunstgewerbe, ins-
besondere gutes Mobiliar und Wandteppiche.
Unter den Gemälden eine interessante Grab-
legung eines Antwerpener Manieristen um 1520
und Werke holländischer Kleinmeister des
17. Jahrhunderts.
Edvard Munch
Zum 70. Geburtstag am 12. Dezember
Es ist schwer, sich vorzustellen, daß Edvard
Munch siebzig Jahre alt geworden ist, schwerer
noch, daß jener berühmte Skandal um seine
Frühbilder im Verein Berliner Künstler über
40 Jahre her ist, ein reichliches Menschenalter:
so schnell leben wir, daß uns eine solche Zeit-
spanne zwischen der Gegenwart und jener noch
heute aufwühlenden und tagfrischen Kunst un-
faßbar scheint. Dabei waren es zum größten
Teil noch Bilder unter dem Einfluß von Manet
und dem Impressionismus, mit denen Munch
einen solchen Sturm der Entrüstung in dem
Berlin von 1892 erregte, daß die Ausstellung
sogleich geschlossen werden mußte. Seine große
Zeit begann eigentlich erst danach; der erste
Cyklus, den er als „Fries des Lebens“ in immer
neuen Varianten und Techniken, vor allem auch
in graphischen Formen, abgewandelt hat, fällt
wesentlich in die Jahre von 1892 an, die Munch
in Berlin und andern deutschen Städten zuge-
bracht hat.
Es ist aber nicht etwa jener Berliner Skan-
dal mit seinen wohltätigen Folgen und die per-
sönliche Verbundenheit mit Deutschland, die
Munch uns als nahen Verwandten erscheinen
läßt. Er ist oft und lange in Deutschland, vor
allem in Berlin und Lübeck, daheim gewesen;
man kann es, mindestens bis zu seiner end-
gültigen Heimkehr nach Kragerö bei Oslo
(1909), als seine eigentliche künstlerische Hei-
mat betrachten. Die Anziehung war gegen-
seitig. Munch hat nicht nur den stärksten und
nachhaltigsten Einfluß auf unsere Kunst aus-
geübt, als eine der ganz großen Bahnbrecher-
naturen: seine immer wiederholte Einkehr in
Deutschland ist auch von seiner Seite als ein
notwendiges Glied der Entwicklung zu betrach-
ten. Erst in Deutschland hat er sich zu dem
Darsteller seelischer Abgründe entwickelt, als
der er vor allem in der Kunst der Jahrhun-
derte fortleben wird. Wir wissen, bei der sehr
nordischen Schweigsamkeit des Mannes, wenig
von den Ursachen und Quellen, aus denen seine
unheimliche und tiefe Seelendeutung entsprun-
gen ist.
Wenn ihn etwas brüderlich ansprach, so fand
es sich nur in der Literatur. Vor allem gab
es die satanische Gestalt des nordischen Zer-
trümmerers alter Werte, Strindberg, dem er
sich wahlverwandt fühlen konnte. An eine Be-
einflussung im üblichen Sinne ist aber schwer-
lich zu denken. Der abgründige Pessimismus
dem Leben gegenüber ist beiden gemeinsam,
sie haben sich gut verstanden. Eine Erklä-
rung für die überraschende Neuheit der Munch-
schen Formwelt liegt nicht darin. Ja, es ist
wohl so, daß der bleibende Gehalt, die Geste
der Ewigkeit, mit der das Grauen einer versin-
kenden Kulturwelt vor dem Untergang in Form
gegossen wurde, nicht bei dem Dichter, son-
dern bei dem Maler zu finden ist. Das Un-
gewöhnliche, das „den Menschen erhebt, wenn
es den Menschen zermalmt“, hat aber in jenem
Jahrzehnt nicht die Dichtkunst, sondern die
Malerei von Edvard Munch geschaffen, sicht-
bares Gebilde einer Verneinung, die die Pforte
zur Bejahung einer neuen Weltanschauung
öffnet. Aus der Verzweiflung über eine ent-
götterte Welt erhob sich für Munch eine neue
große Form, ein allen sichtbares, kraftvoll
fortzeugendes Symbol.
Dies ist seine unvergängliche Tat in den 90er
Jahren: in dem „Fries des Lebens“, der Ent-
setzen, Untergang und Todesgrauen zum In-
halt hat, der neben dem Menschen auch die
Natui- als Spielball höllischer Dämonen auf-
faßte, dessen Gehalt Abkehr vom Dasein und
Negation aller anerkannten Werte bedeutete
— hebt sich in strahlendem Glanz die weit-
bejahende Form der Bildgestal-
tung. Wir mögen noch so sehr die Augen
schließen vor einer Gesinnung, die im Leben
nur Elend und Schattenseiten erkennt: das,
was in Munchs Bildern und Graphiken lebendig
und zeugend bleibt und voll Ewigkeitsgehalt,
ist die Größe der erneuten Bildform. Gegen die
Zersetzung impressionistischer Lichtdarstel-
lung, die keinen Gegenstand und kein Ethos
mehr kennt und mit wissenschaftlicher Ratio
jede Idee zerteilt und auflöst, setzte er die
große Bejahung der weltumspannenden Linie
und der weltaufbauenden Fläche. Was dem
titanischen Ringen van Goghs schließlich ver-
sagt blieb, ein Behältnis sittlicher und völ-
kischer Ideen zu schaffen, gelang dem Genie
dieses Norwegers im ersten Ansturm. Es ist
zwar nicht gleichgültig, was Munch in dieses
Behältnis goß: die Weltabkehr seines „Lebens-
frieses“ ist eine Tat, die überzeugt, auch wenn
man ihre Geistigkeit nicht anerkennt. Wenn
als einziges Verdienst bliebe, daß wir durch
Munch von der Weltuntergangspsychose der
Vorkriegszeit ein endgültiges Bild erhielten,
würde sein Name der Unsterblichkeit gehören.
Er hat aber unvergleichlich mehr getan: er hat
uns eine Handhabe gegeben, andere aktive
Welten sichtbar zu machen.
Daß dem so ist, erkennen wir aus den Wer-
ken, die seinem Samen entsprossen sind. Zu-
nächst und vor allem aus seinen eigenen Bil-
dern späterer Zeit, die auf seinem Jugendwerk
weiterbauen, die abgeschlossene Flächenform
zwar öfters lockern, aber niemals die geistige
Synthese vermissen lassen; von den herrlichen
Bildnissen in ganzer Figur seit 1901 an, über
die mächtigen Wandgemälde der Universität
von Oslo (1915), in denen er germanischer
Natur- und Geschichtsauffassung unvergäng-
liche Gleichnisse schuf, bis zu seinen späten
Badenden, Landschaften, Schneebildern und
Fresken. Wir empfinden aber vor allem diesen
Geist des Aufbaus in der Wirkung, die er etwa
seit 1905 bei deutschen Künstlern ausgeübt hat,
bei Nolde, Rohlfs und den Brücke-Künstlern,
in der ganzen wohltätigen, lebenschaffenden
und ideenspendenden Erneuerung deutscher
Art, die sich bei uns entfaltet hat. Sie hat die
großen Formideen der aufbauenden Farben-
fläche und strenger Umrisse für Geist und Aus-
drucksgewalt neuer Bildgedanken von Munch
überkommen, und von hier aus ist es Gewiß-
heit für uns, daß in Zukunft die Gestaltung
nordisch-deutscher Gedanken sich in diesen
Bahnen vollziehen wird.
Aus diesem Gesichtspunkt können wir auch
deutlicher erkennen, was Edvard Munch in
seinen maßgebenden Jahren von 1892—1908 an
Deutschland gefesselt und was ihm Deutsch-
land bedeutet hat. Wenn das Echo seiner revo-
lutionären Kunst hier immer am stärksten
klang und er seine begeistertste Anhänger-
schaft in Deutschland gefunden hat, so ist das
vielleicht nicht so maßgeblich wie die tiefinnere
Verwandtschaft, die er zum deutschen Geist
empfinden mußte. Auch der größte Künstler
kann nicht im leeren Raum schaffen, er bedarf
der fruchtbaren Erde und des Geheimnisses
unsichtbarer oder unmittelbarer Bruderschaft.
Eine solche konnte aber Munch nur in dem
Lande finden, das seit tausend Jahren eine
Kunst gehabt hat, die der seinen wahlverwandt
gewesen ist. Von den Wandmalereien und Re-
liefs romanischer Kirchen an, über Konrad Witz
und Multscher bis zu Runge und Hans v. Ma-
rees zieht sich eine Kette inhaltschwerer Aus-
drucksgestaltung, die wie naturgegebene Ahnen
Munchscher Kunst anmutet, und deren Fort-
setzung wir eben in der Kunst der letzten Jahr-
zehnte sehen, die durch Munch auf die uralte
Tradition deutscher Art gewiesen wurde.
P. F. S.
DIE WELT KUNST
Jahrg. VII, Nr. 50 vom 10. Dezember 1933
Die Gemeinschaft
Ihrer ersten Veranstaltung läßt die Künst-
lergruppe „Gemeinschaft“ im Berliner Hause
der früheren Galerie Thannhauser, Bellevue-
straße 13, nunmehr eine zweite Ausstellung
folgen, in der die Gruppen des Malers Peter
Förster (mit Heinz Fuchs und den Zeich-
nern Grunwaldt und Baron Nolcken)
und Klaus Richter (mit Georg E h m i g ,
Erik Richter, Koch-Zeuthen, Adolf
S a e n g e r , Karl Storch und dem Bildhauer
Max Esser) mit interessanten Kollektionen
vertreten sind, die den Ausstellungsabsichten
des führenden Veranstalters, Bildhauers
Günther Martin, der auch schriftstelle-
risch, zuletzt in dem Werk „Kunstgesinnung
und Kunsterziehung“ wider einen schranken-
losen Individualismus in der Kunst aufgetreten
ist, weitere Rechtfertigung geben. Martin er-
strebt eine Ordnung des Ausstellungswesens
und eine Hebung der künstlerischen Produk-
tion durch Gemeinschaftsarbeit, indem zu sei-
nen Veranstaltungen ganz wenige Künstler
(diesmal nur zwei) herangezogen werden, die
sich ihrerseits mit einigen handwerklich oder
sonstwie im Streben nahestehenden Persönlich-
keiten zu Gruppen verbinden. Der durch dieses
System geförderte künstlerische Wettbewerb
der Teilnehmer jeder- Gruppe unter sich und
der selbständigen Gruppen untereinander, ist
nicht nur geeignet, all jenes Minder- oder Mit-
telgut auszuschalten, das sich sonst auf den
Ausstellungen in oft so unerfreulichem Maße
breitmacht, er kann auch Zusammenhänge und
Bindungen in dem Schaffen der Einzelnen her-
vorrufen, die sich als traditionsbildende Kräfte
fruchtbar auzuwirken vermögen. Martins weit-
ausgreifende Pläne, so dankenswert und zu-
kunftsträchtig sie sein mögen, setzen jedoch,
was er auch sehr wohl weiß, noch ein gewal-
tiges und geduldiges Stück planvoller Er-
ziehungsarbeit voraus, die vor allem verhindern
muß, daß nicht etwa an Stelle lebendiger
Gruppenbildungen Cliquenbestrebungen auf-
treten. Möge seine Einsicht, daß es „auf ein
organisches Zusammenwirken der künstleri-
schen Kräfte ankommt und auf ein Sichfinden
zu gemeinschaftlichem Streben“, einen allge-
meinen Wiederhall finden. Dann werden auch
die wirklich schöpferischen Leistungen, die
niemals Regel, sondern immer nur Ausnahme
und seltene Begnadung sind, organisch aus
einem künstlerischen Nährboden wachsen, der
auch, abgesehen von diesen Spitzenleistungen,
seine Daseinsberechtigung in sich selber trägt.
Zk.
Paul Kleinschmidt
Im Art Institute in Chicago wird
vom 14. Dezember bis 21. Januar eine um-
fassende „One Man Show“ von etwa fünfund-
dreißig ölgemäelden Paul Kleinschmidts
stattfinden, die die erste deutsche Veranstal-
tung dieser Art in Chicago sein wird. Weitere
Inhalt Nr. 50
Deutsche Kunst in Florenz (m.3Abb.) 1
Ausstellungen (m. 2 Abb.)
Fritz Burmann. 1
Die Gemeinschaft. 2
Paul Kleinschmidt. 2
E dvard Munch. 2
Auktionsvorberichte. 2
Auf den Spuren alter Meister (m. Abb.) . . 2
Ergebnisse der Dietrichstein-Auktion .... 3
Preisberichte . 3
Auktionskalender. 3
Nachrichten von Überall (m. 2 Abb.) .... 4
Abbildungen:
A. Geb h ard. Die Tochter des Künstlers. 1
E. Steppes. Abenddämmerung. 1
K. Kaiser, Landschaft bei Murnau.„ 1
P. Kl e i n s c h m i dt, Abendlandschaft. 2
Tint o r e tt o , Lot und seine Töchter. 2
Oberrheinischer Meister um 1525 . 4
H. van Eyck, Kreuzigung . 4
Ausstellungen desselben Künstlers in anderen
Städten, u. a. in New York, sollen folgen. Klein-
schmidt, aus Pommern stammend, ist ein Maler
von ausgesprochen deutschem Charakter, was
Paul Kleinschmidt, Abendlandschaft
Ausstellung: Chicago, Art Institute
vielleicht gerade besonders im Ausland und im
Vergleich mit Werken nichtdeutscher Künstler
in die Augen fällt. Seine herbe Naturauf-
fassung, sein starkes Form- und Raumgefühl,
die Vermeidung alles Gefälligen lassen an die
Auffassung der großen alten nordischen
Meister denken. Trotz der auf den ersten Blick
gewaltsam erscheinenden Farben lösen sich
diese in der Gesamtorganisation des Bildes zu
einer Harmonie auf, die in der neueren deut-
schen Malerei eine Seltenheit bildet. Von be-
sonderer Schönheit und Kraft sind seine
Aquarelle. Dr. H. Post (New York)
Auktionsvorschau
Berlin, 13.—14. Dez.
Am 13. und 14. Dezember findet bei R u d.
Lepke eine Versteigerung von Mobiliar
und Kunstgewerbe statt. Zum Ausgebot
gelangen komplette Zimmer und Einzelmöbel
verschiedener Stilarten, Gemälde, persische
Teppiche, Textilien, dabei ein sehr schöner
flämischer Gobelin des 17. Jahrhunderts, der
eine baumreiche Landschaft mit Figurenszene
darstellt, Bronzen, Porzellane (Figuren, Grup-
pen und Geschirre), Holzskulpturen, Silber-
gerät, Flügel, altes und neueres Kunst-
gewerbe usw.
Paris, 11.—18. Dez.
Me E. Ader versteigert in der Galerie
Jean Charpentier am 15. und 16. De-
zember zwei wichtige Sammlungen. Zuerst die
Gemälde aus dem Besitz von M. C. G. de C a n -
damo (Experten: MM. Schoeller, Te-
desco, Pape, Feral, Catroux, Max-
Kann): eine Courbet-Landschaft aus dem
Jahr 1870, Delacroix’ „Tasso im Narrenhaus“
und Ingres’ „Angelika am Felsen“ (1818), die
erste Fassung des Louvre-Gemäldes. Von den
bedeutenden alten Meistern nennen wir ein
Stierkampfbild und eine Ochsenherde von
Goya, eine besonders reizvolle Guardi-Vedute,
zwei Predellen des Anghiari-Meisters und
Werke von Ruisdael, Teniers, Wouwerman und
Murillo. — Die zweite Auktion bringt neben,
meist dekorativen, Gemälden vorzügliche Möbel
des Dixhuitieme mit Stempeln der bekanntesten
Ebenisten, sowie Kunstgewerbe verschiedener
Art.
Auf den Spuren alter Meister
Funde in Privatbesitz
i.
Tintorettos „Lot und seine Töchter“
In Tintorettos gewaltigen Produktionen bil-
den die Werke der ersten Periode (bis un-
gefähr 1552), in denen er noch stark an frühere
Tradition gebunden war, eine Gruppe für sich.
Er kämpft gegen Tizians Lehren, ohne noch
imstande zu sein, sie zu überwinden. Um das
dokumentarisch beglaubigte Hauptwerk dieser
Frühzeit — das 1548 vollendete „Markus-
wunder“ der Akademie von Venedig — grup-
piert sich eine Reihe von nur teilweise datier-
ten Bildern, in denen bald die realistische, bald
die dekorative und die stilisierende Tendenz
überwiegt.
In diese Reihe der noch stark von Tizian
abhängigen Frühwerke gehört auch das hier
zum ersten Mal repro-
und die kräftigen, muskulösen Hände sind in
einem naturalistischen Sinne interpretiert. In
späteren Werken Tintorettos wird dieser Na-
turalismus durch den ihm eigenen „trans-
zendenten“ Stil überwunden.
Parallele Diagonalen bestimmen die Kom-
position (wie auf vielen seiner Bilder). Die
eigentümliche starke Wirkung beruht auf der
Leidenschaftlichkeit der Linien- und Licht-
führung und auf dem temperamentvollen male-
rischen Vortrag.
Das sehr wenig nachgedunkelte, farbige und
feurige Bild, in dessen Gesamthaltung Grau
und Braun noch keine wesentlichen Kompo-
nenten bilden, ist auf Rot, Gelb und Grün ge-
stimmt: Krapplack-, Zinnober- und Karminrot
(nur einige wirkungsvolle Flecken), Ockergelb
und Olivengrün; Weiß (das Gewand der mitt-
duzierte Gemälde, das
Lot mit seinen Töchtern
darstellt (125 :157 cm,
s. Abb.). Nur noch
einmal hat der Künstler
das in der Renais-
sance- und Barock-
malerei ziemlich häu-
fige Thema behandelt:
in dem etwas kleineren
Bilde im Basler Privat-
besitz (abgebildet im
Tintorettowerk von E.
von der Bercken und
Aug. L. Mayer, Bd. II,
S. 23). Auch in diesem,
nach anderen Modellen,
aber in demselben
Geiste gemalten und
ähnliche Motive zei-
genden Bilde (es ge-
nügt hier auf die
Hände des Lot hinzu-
weisen) ist das heikle
Thema — im Vergleich
mit anderen bekannten
Darstellungen desselben
Gegenstandes — mög-
lichst dezent behandelt;
auf beiden Bildern sind
alle Figuren bekleidet, ihre Haltung und Aus-
druck sind zurückhaltend (man denke an
flämische Bilder des 17. Jahrhunderts!) —, was
den Künstler in erster Linie interessiert, ist
die malerische und dekorative Erscheinung.
Eine prachtvolle, recht tintoretteske Gestalt ist
die Figur im Vordergrund links, die mehr als
einmal in ähnlicher Haltung auf Tintorettos
Bildern vorkommt (vgl. z. B. die äußerste linke
Gestalt auf dem mehrfigurigen Bilde des
Metropolitan Museum mit der „Wunderbaren
Vermehrung der Brote und Fische“). Die breit
hingelagerte Gestalt des Lot erfüllt dieselbe
dekorative Funktion; nur sein volkstümlich-
derber, sinnlicher, porträtmäßiger Kopf mit
dem der Situation entsprechenden Ausdruck,
Lot und seine Töchter
Privatbesitz
leren Frauengestalt) kommt dazu, um die leb-
hafte Farbenreihe abzuschwächen.
Das Bild ist — wie in vielen anderen Wer-
ken aus Tintorettos Frühzeit, und in dieser Be-
ziehung im Gegensatz zum „Markuswunder“ —
im wesentlichen auf der Fläche gehalten; die
Raumwirkung ist dem klug berechneten deko-
rativen Effekt untergeordnet.
Lots Züge zeigen, merkwürdig genug, eine
unverkennbare Ähnlichkeit mit denen des Are-
tino in seinem Alter (vgl. den bekannten Holz-
schnitt in I Mondi del Doni, Venedig 1552, und
besonders das Bildnis in Inferni, 1553, Bl. 42);
ob hier auch tatsächlich eine gewisse satirische
Absicht vorliegt, mag einstweilen dahingestellt
bleiben. Prof. Dr. W. v. R a k i n t
Tintoretto,
Deutscher
Die Sammlung J. J. R e u b e 11 wird durch
Mes B a u d o i n und Ader sowie die Experten
MM. L e m a n und Portier vom 11.—16. De-
zember imHötelDrouot versteigert: wert-
volles europäisches und ostasiatisches Kunst-
gewerbe, italienische Bronzen, Waffen und Vi-
trinenobjekte, wie sie ein passionierter und
kenntnisreicher Sammler in langen Jahren zu-
sammengebracht hat.
Mes H. Baudoin u. A. Bellier verstei-
gern unter Assistenz von M. A. Schoeller
im Hotel Drouot am 15. Dezember weitere
Bestände der aufgelösten Galerie Georges
Petit: hervorragende Gemälde und Aquarelle
neuerer Meister wie Corot, Daubiging, Jong-
kind, Pissarro, Lisley u. a., sowie Werke von
H. Lebasque.
Am 18. Dezember bringen Me Petit und
M. Pape in der Galerie Charpentier
den Nachlaß der Marquise R. d’Andigne zum
Ausgebot, ein äußerst qualitätvolles Ensemble
von französischen Dixhuitieme-Kunstwerken,
vor allem erstklassigen Möbeln.
Stockholm, 13.—15. Dez.
Aus den Sammlungen Johnsons und Sund-
borgs versteigert W. Bukowski am 13. bis
15. Dezember Gemälde und Kunstgewerbe, ins-
besondere gutes Mobiliar und Wandteppiche.
Unter den Gemälden eine interessante Grab-
legung eines Antwerpener Manieristen um 1520
und Werke holländischer Kleinmeister des
17. Jahrhunderts.
Edvard Munch
Zum 70. Geburtstag am 12. Dezember
Es ist schwer, sich vorzustellen, daß Edvard
Munch siebzig Jahre alt geworden ist, schwerer
noch, daß jener berühmte Skandal um seine
Frühbilder im Verein Berliner Künstler über
40 Jahre her ist, ein reichliches Menschenalter:
so schnell leben wir, daß uns eine solche Zeit-
spanne zwischen der Gegenwart und jener noch
heute aufwühlenden und tagfrischen Kunst un-
faßbar scheint. Dabei waren es zum größten
Teil noch Bilder unter dem Einfluß von Manet
und dem Impressionismus, mit denen Munch
einen solchen Sturm der Entrüstung in dem
Berlin von 1892 erregte, daß die Ausstellung
sogleich geschlossen werden mußte. Seine große
Zeit begann eigentlich erst danach; der erste
Cyklus, den er als „Fries des Lebens“ in immer
neuen Varianten und Techniken, vor allem auch
in graphischen Formen, abgewandelt hat, fällt
wesentlich in die Jahre von 1892 an, die Munch
in Berlin und andern deutschen Städten zuge-
bracht hat.
Es ist aber nicht etwa jener Berliner Skan-
dal mit seinen wohltätigen Folgen und die per-
sönliche Verbundenheit mit Deutschland, die
Munch uns als nahen Verwandten erscheinen
läßt. Er ist oft und lange in Deutschland, vor
allem in Berlin und Lübeck, daheim gewesen;
man kann es, mindestens bis zu seiner end-
gültigen Heimkehr nach Kragerö bei Oslo
(1909), als seine eigentliche künstlerische Hei-
mat betrachten. Die Anziehung war gegen-
seitig. Munch hat nicht nur den stärksten und
nachhaltigsten Einfluß auf unsere Kunst aus-
geübt, als eine der ganz großen Bahnbrecher-
naturen: seine immer wiederholte Einkehr in
Deutschland ist auch von seiner Seite als ein
notwendiges Glied der Entwicklung zu betrach-
ten. Erst in Deutschland hat er sich zu dem
Darsteller seelischer Abgründe entwickelt, als
der er vor allem in der Kunst der Jahrhun-
derte fortleben wird. Wir wissen, bei der sehr
nordischen Schweigsamkeit des Mannes, wenig
von den Ursachen und Quellen, aus denen seine
unheimliche und tiefe Seelendeutung entsprun-
gen ist.
Wenn ihn etwas brüderlich ansprach, so fand
es sich nur in der Literatur. Vor allem gab
es die satanische Gestalt des nordischen Zer-
trümmerers alter Werte, Strindberg, dem er
sich wahlverwandt fühlen konnte. An eine Be-
einflussung im üblichen Sinne ist aber schwer-
lich zu denken. Der abgründige Pessimismus
dem Leben gegenüber ist beiden gemeinsam,
sie haben sich gut verstanden. Eine Erklä-
rung für die überraschende Neuheit der Munch-
schen Formwelt liegt nicht darin. Ja, es ist
wohl so, daß der bleibende Gehalt, die Geste
der Ewigkeit, mit der das Grauen einer versin-
kenden Kulturwelt vor dem Untergang in Form
gegossen wurde, nicht bei dem Dichter, son-
dern bei dem Maler zu finden ist. Das Un-
gewöhnliche, das „den Menschen erhebt, wenn
es den Menschen zermalmt“, hat aber in jenem
Jahrzehnt nicht die Dichtkunst, sondern die
Malerei von Edvard Munch geschaffen, sicht-
bares Gebilde einer Verneinung, die die Pforte
zur Bejahung einer neuen Weltanschauung
öffnet. Aus der Verzweiflung über eine ent-
götterte Welt erhob sich für Munch eine neue
große Form, ein allen sichtbares, kraftvoll
fortzeugendes Symbol.
Dies ist seine unvergängliche Tat in den 90er
Jahren: in dem „Fries des Lebens“, der Ent-
setzen, Untergang und Todesgrauen zum In-
halt hat, der neben dem Menschen auch die
Natui- als Spielball höllischer Dämonen auf-
faßte, dessen Gehalt Abkehr vom Dasein und
Negation aller anerkannten Werte bedeutete
— hebt sich in strahlendem Glanz die weit-
bejahende Form der Bildgestal-
tung. Wir mögen noch so sehr die Augen
schließen vor einer Gesinnung, die im Leben
nur Elend und Schattenseiten erkennt: das,
was in Munchs Bildern und Graphiken lebendig
und zeugend bleibt und voll Ewigkeitsgehalt,
ist die Größe der erneuten Bildform. Gegen die
Zersetzung impressionistischer Lichtdarstel-
lung, die keinen Gegenstand und kein Ethos
mehr kennt und mit wissenschaftlicher Ratio
jede Idee zerteilt und auflöst, setzte er die
große Bejahung der weltumspannenden Linie
und der weltaufbauenden Fläche. Was dem
titanischen Ringen van Goghs schließlich ver-
sagt blieb, ein Behältnis sittlicher und völ-
kischer Ideen zu schaffen, gelang dem Genie
dieses Norwegers im ersten Ansturm. Es ist
zwar nicht gleichgültig, was Munch in dieses
Behältnis goß: die Weltabkehr seines „Lebens-
frieses“ ist eine Tat, die überzeugt, auch wenn
man ihre Geistigkeit nicht anerkennt. Wenn
als einziges Verdienst bliebe, daß wir durch
Munch von der Weltuntergangspsychose der
Vorkriegszeit ein endgültiges Bild erhielten,
würde sein Name der Unsterblichkeit gehören.
Er hat aber unvergleichlich mehr getan: er hat
uns eine Handhabe gegeben, andere aktive
Welten sichtbar zu machen.
Daß dem so ist, erkennen wir aus den Wer-
ken, die seinem Samen entsprossen sind. Zu-
nächst und vor allem aus seinen eigenen Bil-
dern späterer Zeit, die auf seinem Jugendwerk
weiterbauen, die abgeschlossene Flächenform
zwar öfters lockern, aber niemals die geistige
Synthese vermissen lassen; von den herrlichen
Bildnissen in ganzer Figur seit 1901 an, über
die mächtigen Wandgemälde der Universität
von Oslo (1915), in denen er germanischer
Natur- und Geschichtsauffassung unvergäng-
liche Gleichnisse schuf, bis zu seinen späten
Badenden, Landschaften, Schneebildern und
Fresken. Wir empfinden aber vor allem diesen
Geist des Aufbaus in der Wirkung, die er etwa
seit 1905 bei deutschen Künstlern ausgeübt hat,
bei Nolde, Rohlfs und den Brücke-Künstlern,
in der ganzen wohltätigen, lebenschaffenden
und ideenspendenden Erneuerung deutscher
Art, die sich bei uns entfaltet hat. Sie hat die
großen Formideen der aufbauenden Farben-
fläche und strenger Umrisse für Geist und Aus-
drucksgewalt neuer Bildgedanken von Munch
überkommen, und von hier aus ist es Gewiß-
heit für uns, daß in Zukunft die Gestaltung
nordisch-deutscher Gedanken sich in diesen
Bahnen vollziehen wird.
Aus diesem Gesichtspunkt können wir auch
deutlicher erkennen, was Edvard Munch in
seinen maßgebenden Jahren von 1892—1908 an
Deutschland gefesselt und was ihm Deutsch-
land bedeutet hat. Wenn das Echo seiner revo-
lutionären Kunst hier immer am stärksten
klang und er seine begeistertste Anhänger-
schaft in Deutschland gefunden hat, so ist das
vielleicht nicht so maßgeblich wie die tiefinnere
Verwandtschaft, die er zum deutschen Geist
empfinden mußte. Auch der größte Künstler
kann nicht im leeren Raum schaffen, er bedarf
der fruchtbaren Erde und des Geheimnisses
unsichtbarer oder unmittelbarer Bruderschaft.
Eine solche konnte aber Munch nur in dem
Lande finden, das seit tausend Jahren eine
Kunst gehabt hat, die der seinen wahlverwandt
gewesen ist. Von den Wandmalereien und Re-
liefs romanischer Kirchen an, über Konrad Witz
und Multscher bis zu Runge und Hans v. Ma-
rees zieht sich eine Kette inhaltschwerer Aus-
drucksgestaltung, die wie naturgegebene Ahnen
Munchscher Kunst anmutet, und deren Fort-
setzung wir eben in der Kunst der letzten Jahr-
zehnte sehen, die durch Munch auf die uralte
Tradition deutscher Art gewiesen wurde.
P. F. S.