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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0287

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BESPRECHUNGEN. 283

Volkes Beziehung haben (Religion, Philosophie, Völkerpsychologie, Geschichte,
Naturwissenschaften und andere). Der Bund will den Künstlern, deren Kunst auf
gesunder deutsch er Gemüt sgru ndl age') beruht, größeren und unmittel-
bareren Einfluß auf die Kultur verschaffen.«

Man sieht, das Programm des Bundes ist nicht eben arm an Punkten, und das
Ziel ist eine Sentimentalisierung des ganzen Lebens. Aber sind wir Deutschen
denn schon so furchtbar gescheit, daß wir den Verstand mißachten dürfen, sind
Wlr so kluge Politiker, daß wir nur noch ein bißchen mehr Gemüt in der Politik
brauchen; sind unsere Wohnhäuser, unsere öffentlichen Gebäude, unsere Kirchen,
unsere Denkmäler von so zweifelloser Schönheit, von so vorzüglichen Formen,
daß die Frage, ob sie schön oder häßlich seien, gar nicht mehr zu diskutieren ist,
daß das Mehr oder Minder ihrer Vortrefflichkeit nur noch von dem Quantum
deutschen Gemüts abhängt, das sich dem empfänglichen Beschauer darin offenbaren
mag; sind die Resultate der Wissenschaft, der Philosophie, der Soziologie schon
so sicher, daß ihnen nur noch das deutsche Gemüt zur Vollkommenheit fehlt? Ist
die Frage >wie die Dinge nun eigentlich sindc von untergeordneter Bedeutung,
kommt es nur darauf an, daß das deutsche Gemüt gewärmt und entfaltet werde?
Man kann in der Tat darüber diskutieren, ob es besser sei, zunächst einmal die
rohe Wirklichkeit zu beachten, oder ob es besser sei, sich die Dinge so zurecht zu
legen, daß auch das Gemüt was davon habe. Nur glaube ich, daß die Mehrzahl
der Menschen die Erfahrung gemacht hat, daß das bloße Gemüt einem arge Streiche
fielen kann, wenn man die Augen zumacht und den Verstand zu Hause läßt. Das
'st aber schließlich eine Frage der Statistik, und es wäre sicher von großem Inter-
esse, die Prozentzahl der Deutschen zu erfahren, die das Gemüt höher als den Ver-
band schätzen.

Es ist so viel vom deutschen Gemüt die Rede, daß man wohl einmal fragen
aarf, woher denn die Leute so genau wissen, was das deutsche Gemüt vom eng-
eschen oder französischen Gemüt eigentlich unterscheide. Wieviele literarisch affi-
lerte Deutsche lesen französische und englische Romane, französische und englische
Leitungen, wieviele haben auch nur für Monate in London oder Paris gelebt, wie-
le'e haben intim in englischen oder französischen Familien verkehrt, mehr als ein
Paar Phrasen der Höflichkeit mit einem leibhaftigen Franzosen oder Engländer in
er Sommerfrische ausgetauscht? Aber all diese Leute glauben sich durch die
eitungsfabel hinreichend unterrichtet, daß die Engländer verfluchte Kerle seien, die
nter dem Deckmantel der Religion alle denkbaren persönlichen Vorteile an sich
sen, und daß die Franzosen zwar eine liebenswürdige, aber leichtfertige und
oberflächliche Gesellschaft wären.

Im Geleitwort zum zweiten Werdandijahr klagt der Herausgeber, daß man in

er'egenheit sei, wie man den typischen Deutschen etwa auf der Bühne darstellen

°'e, und er hofft, daß es dem Werdandibund gelingen werde, den typischen

eutschen zu schaffen. Aber der deutsche Typus existiert: auf hundert Schritt wird

fr Deutsche im Ausland erkannt. Und wir dürfen uns keiner Täuschung darüber

^,ngeben, daß wir nirgendswo im Ausland beliebt sind; man respektiert im höchsten

rade unsere industriellen und wissenschaftlichen Erfolge, unsere Gründlichkeit

11 Ehrlichkeit; man will von uns lernen. Aber als Menschen gelten wir für ge-

niacklos, plump, taktlos, entsetzlich eingebildet und für Leute von schlechten

anieren. Man braucht nicht lange im Ausland zu leben, um die Berechtigung

eses Vorwurfs einzusehen, auch in Bezug auf die Einbildung. Oder ist's keine

') Vom Verfasser gesperrt.
 
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