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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0470

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466 BESPRECHUNGEN.

kommenheit«, die sich von den Objekten ablesen und durch andere überprüfen
läßt. Da sie unabhängig vom betrachtenden Subjekt ist, fängt hier »fester Boden«
an. »Erst da kann der Neubau beginnen.« Was nun mit dieser »Vollkommenheit«
gemeint ist, sucht der Verfasser durch zahlreiche Beispiele zu erläutern: so wäre
hier bei Bauwerken die Zweckmäßigkeit beziehungsweise die Tauglichkeit zu einer
bestimmten Verwendung einzurechnen. Selbst »die Verhältnisse der Bauteile unter-
einander, die Proportionen, ergeben sich nicht nach Schönheitsregeln, sondern aus
statischen Bedingungen, die von Fall zu Fall feine Unterschiede zeigen«. Auch,
was bei Kunstwerken die »Erfindung anbelangt, den Gedankengehalt, die Einpas-
sung in den Raum, die Wahl der Abmessungen und anderes, das etwa noch zu
beachten wäre, so ergibt sich durch vernünftige Betrachtung jedenfalls ein objektiv
gültiges Werturteil, das vom subjektiven Fühlen unabhängig gemacht werden kann«.
Betrachtet man nun in dieser Art Kunstwerke, gelangt man zu Denkergebnissen
»von objektiver Gültigkeit, die größtenteils durch Messungen überprüft werden
können«.

Zweierlei verwechselt v. Frimmel unablässig: »Unabhängigkeit vom betrachten-
den Subjekt« und »Unabhängigkeit vom subjektiven Fühlen«. Ein jeder Ästhetiker
wird trachten, die rein subjektiven Momente — wie etwa persönliche Stimmungen,
individuelle Assoziationen, Sympathien und Antipathien — aus dem Kreise ästhe-
tischer Gesetzmäßigkeiten möglichst auszuschalten, um eben zu allgemeineren Er-
gebnissen zu gelangen, womit aber noch keineswegs gesagt ist, daß diese vom
betrachtenden Subjekt unabhängig sind. Und diese Unabhängigkeit kann auch
v. Frimmel nicht durchführen, denn verschiedentlich spricht er von »Wirkungs-
erfahrungen«, die doch naturgemäß Erlebnisse voraussetzen, welche bedeutungs-
volles ästhetisches Forschungsmaterial bilden. Zugegeben sei, daß man am Objekt
eine ganze Reihe von Bestimmungen treffen kann, die nicht psychologischer Natur
sind, aber es fragt sich dann doch, ob sie für den ästhetischen Eindruck in Betracht
kommen. Zweckmäßigkeit, statisch bestimmte Massenverhältnisse usw. bedingen
noch lange nicht die Schönheit eines Baues; dazu muß erst die Tatsache treten,
daß die Zweckmäßigkeit auch in der Erscheinung zum Ausdruck gelangt und die
Verhältnisse harmonisch ausgeglichen wirken (vgl. dazu meinen Aufsatz »Zweck-
mäßigkeit und Schönheit« im Anhang der »Grundzüge der ästhetischen Farben-
lehre«, Stuttgart 1908). Geben wir aber dies zu, handeln wir gleich von Wirkungs-
bedingungen für seelische Tätigkeitsweisen und führen damit den — v. Frimmel
ausgeschalteten — Betrachter ein. Was v. Frimmel uns bieten will, ist großenteils
überhaupt keine Ästhetik, sondern eine Reihe von Erkenntnissen technischer und
formaler Art, die allerdings — meiner Meinung nach — erst dann Bedeutung ge"
winnen, wenn sie in innige Beziehung gebracht werden zu der Tätigkeit des künst-
lerischen Schaffens oder der des künstlerischen Aufnehmens. Und durch diese Be-
ziehung treten sie in das Reich der Ästhetik ein.

Wenn wir uns nun danach fragen, wieso der hochverdiente Herausgeber der
»Blätter für Gemäldekunde« zu diesen Irrwegen gelangen konnte, scheint mir die
Erklärung nicht schwer: einerseits bedrückte ihn wohl die Tatsache, daß es so
schwierig ist, in ästhetischen Fragen zu allgemeinen Ergebnissen zu gelangen; er
suchte nun die Hindernisse zu beseitigen, indem er das Gebiet der Psychologie
verließ. Nur gab er damit die wirklich tauglichen Grundstützen auf und wähnte,
Rätsel zu lösen, wo er sie lediglich beiseite schob. Aber nicht im Ausweichen
der Gefahren, die hier dräuen, liegt der Weg, den wir in Zukunft gehen müssen,
sondern im Aufsuchen der Gefahr und ihrer Überwindung. Anderseits ist der Ver-
fasser von Beruf Kunsthistoriker und dadurch gewohnt, Kunstwerken Verstandes-
 
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