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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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Kainz, Friedrich: Vorarbeiten zu einer Philosophie des Stils
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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0052
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FRIEDRICH KAINZ.

hausanlage hat sich als die für diesen Zweck geeignetste erwiesen.
Der Zentralbau konnte im Abendland aus zwecklichen (liturgischen)
Gründen nicht festen Fuß fassen; fast immer wurde er, zumindest in
der Form eines Kompromisses, an die zweckentsprechende Form an-
genähert. So mußten die Architekten der Peterskirche in Rom dem
ursprünglichen Entwurf Bramantes, der auf eine Zentralanlage ausging,
durch Vorlegung einer Vorhalle eine Längstendenz verleihen. Manche
Barockbauten (Peterskirche in Wien, Karlskirche von Fischer v. Erlach,
Servitenkirche von Antonio Carlone-Carnevale) zeigen längliche Ellip-
sen als Grundrißform. — Der Zweck erscheint also als vereinheitlichen-
der Faktor. Alle Kirchen, alle Bahnhöfe, alle Gefängnisse haben etwas
Gemeinsames, das durch den Zweck bedingt ist, ebenso alle Festspiele
höfischer Art. Sowie sich der Zweck ändert, ändert sich auch die
Gestaltungsweise. Als die Reformation den geheimnisvollen Zeremo-
nien des katholischen Meßopfers ein Ende gemacht hatte und das
Wort des lehrenden Priesters in den Vordergrund trat, begann ein
allgemeines Suchen nach dem neuen Typus der protestantischen
Predigerkirche. Das Problem der Neuanlage wurde freilich öfters in
verschiedenem Sinn gelöst. Hendrik de Keyzer, der Amsterdamer Archi-
tekt, löst es auf Grundlage eines dreischiffigen Saalbaues (Zuider-,
Westerkerk), dann wieder im Sinn eines Zentralbaues (Norderkerk);
Georg Bähr (Frauenkirche Dresden) hat ebenfalls den Zentralbau für
die beste Lösung angesehen. Ein Architekt, der eine protestantische
Kirche im Sinn einer gotischen Langhausanlage erbaut, opfert die
Zweckgemäßheit seiner romantisch-historistischen Vorliebe für das Mittel-
alter. — Diese konkreten Betrachtungen können uns zu allgemeinen
Aufschlüssen verhelfen. Mit der Erfüllung der Postulate eines be-
stimmten Modifikationselements ist nicht auch schon ein höchstes an
Wert erreicht. Mit der Erreichung des Modifikations- (Zweck-, Mate-
rial- usw.) Stils in deskriptivem Sinn ist ein ästhetischer Wert noch
nicht gegeben; werthafte (normative) Erfüllung der Forderungen des
Modifikationsstils ist zwar stets etwas ästhetisch Positives, Befrie-
digendes, genügt aber noch nicht stets, um dem betreffenden Werk
auch schon Stil im allgemeinen Wertsinn zu verleihen. Denn es be-
steht das Kunstwerk nicht nur aus einem Modifikationselement, son-
dern aus einem Komplex von solchen, und Stil im allgemeinen Wert-
sinn ist nur dort vorhanden, wo sämtliche in Betracht kommenden
Modifikationselemente in befriedigender Weise erfüllt sind. Trotz er-
reichter Zweck- und Materialgerechtheit braucht ein Kunstwerk noch
nicht Stil im Wertsinn zu haben, anderseits kann ein nicht völlig er-
fülltes Modifikationspostulat durch andere Vorzüge ausgeglichen werden*
daß sogar noch ein Wertüberschuß vorhanden bleibt. Ein Bildwerk
 
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