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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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Kainz, Friedrich: Vorarbeiten zu einer Philosophie des Stils
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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0073
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VORARBEITEN ZU EINER PHILOSOPHIE DES STILS.

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ist. Im Gebiet der Musikwissenschaft dient der Ausdruck »klassisch«
als Wertbezeichnung für bestimmte historische Epochen, die für be-
stimmte Aufgaben (a-cappella-Formen, Fuge, Sonate) höchste Lösungs-
möglichkeiten gefunden haben. Dementsprechend wird der Begriff
»Klassizistisch« nicht verwendet; einen Teil seines Bedeutungsbereichs
füllt das Wort »akademisch« aus. Akademisch sind solche Kompo-
sitionen, die die formalen Postulate eines als klassisch zu bezeichnen-
den Kunstwerks (Kongruenz der Teile, Ebenmäßigkeit der Gestaltung,
Beherrschung und Ökonomie der Mittel) ganz oder zum Teil erfüllen,
aber der Hauptattribute der klassischen Kunst, der wahren Ausdrucks-
kraft und der tiefen Lebenswahrheit entbehren. Akademische und
klassizistische Kunstübung verwendet also die formalen Elemente des
Klassischen, ohne dessen künstlerische Bedeutsamkeit zu er-
reichen. Als prinzipiellen und historischen Gegensatz zur klassischen
Kunst statuiert auch die Musikwissenschaft den Begriff des roman-
tischen Stils (der freilich nicht jene umfassende Bedeutung wie sonst
hat). Verschwemmung und Durchbrechen der Formen, bewußtes Sich-
hinwegsetzen über die strengeren Normen der klassischen Kunst-
formen, Sichgehenlassen bis zur Regellosigkeit und Ausschweifung
ist für ihn charakteristisch.

So aphoristisch aus äußeren Gründen des zugemessenen Raums
all diese Andeutungen auch ausfallen mußten, so lassen sie doch den
engen Zusammenhang und die innige Verflochtenheit der Stilprobleme
mit den letzten Fragen aller Ästhetik und Kunstwissenschaft, mit den
ästhetischen Fundamentalprinzipien erkennen. Sie gewähren uns die
Gewißheit, daß die Stilproblematik zu tiefst in ästhetische Wesens-
fragen hineinführt und nur für eine philosophische Betrachtung letzt-
hin erfaßbar ist. Eine systematische Erfassung sämtlicher Stilprobleme
und deren konsequentes Zuendedenken sucht meine Monographie
^Philosophie des Stils«, zu der das an dieser Stelle Veröffentlichte ein
Prolegomenon bildet, zu geben.
 
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