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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0091
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BESPRECHUNGEN.

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ihre Vorgänger den an den philosophischen Fragen ernsthaft Interessierten einen
Denkstoff von eigentümlicher Mannigfaltigkeit und Lebendigkeit bieten.
Berlin.

Max Dessoir.

Jahrbuch der Charakterologie. Bd. I. Herausgegeben von Emil Utitz. Pan-
Verlag R. Heise, Charlottenburg.
Daß sich aus der Psychologie, vor allem aus ihren praktischen Anwendungs-
gebieten, in den letzten Jahren ein besonderes Interesse für eine bestimmte Einstel-
lung zum Problem der Persönlichkeit herausentwickelt hat, tritt in Publikationen und
Kongreßprogrammen deutlich zutage. Dabei schwankt die Einstellung wohl erheb-
lich: zwischen statistischen Versuchen mit subtil ausgesonnenen Fragelisten, dann
Struktursystemen, die bald auf alten Lehrtraditionen aufbauen, bald sich neuer
Kategorien wie des Qestaltbegriffes bedienen, ferner zahlreichen Typenschemen, die
zwei, drei bis zu zehn und mehr Typen als Ordnungsgrundriß konstruieren, schließ-
lich einer phänomenologisch vorgehenden Psychologie der Person, bei der es sich
mehr um das Person-Sein überhaupt, als um das So-Sein des Individuums handelt.
Über die Stelle, die auf diesem Einstellungs-Sektor nur mit dem Worte Charaktero-
logie und mit keinem anderen sonst zu bezeichnen ist, wäre eine klare Einigung
recht erwünscht. Denn sonst besteht ernste Gefahr, daß die sehr wichtigen Pro-
bleme, die in diesem Sektor der Bearbeitung entgegenreifen, von hastigen Zeit- und
Modewellen überschüttet werden und durch Schlagwort-Scheinlösungen vorzeitig ihren
Reiz einbüßen.

Bei skeptischer Umschau möchte man sogar meinen, dies sei bereits geschehen.
Denn das früher zögernd gebrauchte Wort ist heute schon fast in aller Munde,
ohne daß man Anlaß zu glauben hätte, es liege dem Gebrauch sichere Kenntnis
oder gefestigte Konvention zugrunde. Da nun — und dies ist die tiefere geistige
Strömung, aus der das Einzelsymptom aufspringt — überall eine klare Wendung
des psychologischen Interesses von theoretischen, begrifflichen, allgemeinen Fragen
auf das praktische, anschauliche, im individuellen Einzelfall vorliegende Phänomen
sich vollzogen hat, so sucht jeder auf sein (persönlich und beruflich und sonst noch
in mancher Hinsicht) beschränktes Erkenntnisgebiet ein System von Unterscheidungen
zuzuschneiden und wir werden leicht im Tempo unserer Zeit einen babylonischen
Turm mit zugehöriger Sprachverwirrung aufschießen sehen.

Wenn man aus diesem Grunde bedauern mag, daß der innere Zusammen-
schluß der dreizehn Arbeiten dieses stattlichen ersten Bandes nicht fester ist, daß
man Achse und Richtung eines Forschungsgebietes von so tiefwurzelnder imma-
nenter Eigenart nicht deutlich erkennt, so muß man dennoch hervorheben, daß der
Gedanke dieses Jahrbuchs ungewöhnlich glücklich ist. Möglicherweise setzen sich
bei den späteren Bänden Kern und Peripherie in festerem Relief voneinander ab.

Charakterologische Grundeinstellung haben nur die Arbeiten von Klages über
»Die psychologischen Errungenschaften Nietzsches« (I. Teil) und die von Pfänder
über »Grundprobleme der Charakterologie«. Dies hätte in der Anordnung des Bandes
hervortreten müssen, zumal die bittere Vorbemerkung von Klages völlig zu Recht
besteht, daß man seinen Forschungen eine allzu anonyme Aufmerksamkeit ge-
schenkt habe. Wirklich findet man vor 1910 nicht einmal das Wort Charakterologie
in der Fachliteratur außer bei Bahnsen, kurze Zeit bei Dilthey und dann gelegent-
lich in der Kriminologie. Die »Prinzipien der Charakterologie« (1911) von Klages
haben direkt oder indirekt den Keim zu der ganzen Entwicklung dieser anderthalb
Dezennien gelegt und spielen eine wissenschaftsgeschichtliche Rolle, der man heute

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XX. 6
 
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