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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0102
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92

BESPRECHUNGEN.

Einfühlungstheorie zu sein. Sicherlich gibt es Bauten, bei denen die tektonischen
Formen — etwa der Fassade — durch malerisches Lineament überwuchert werden.
Die Entscheidung, ob der Zweckausdruck vorwalten soll oder nicht, ist nach meiner
Meinung keineswegs allgemeingültig. Sie wird vom Stil- und Zeitcharakter be-
stimmt. Sicher ist, daß z.B. ein Fabrikbau von diesem Bestimmungszweck nicht
absehen darf. Diese Zweckmäßigkeit darf einem solchen Bau nicht fehlen und hat
sich auch im äußeren Gefüge auszudrücken. Die Behauptung, jene Forderung der
Zweckmäßigkeit träfe auf Luxusbauten nicht immer zu, beweist nur, daß zu weit
getriebene abstrakte Formulierungen zu viel wichtige Bestimmtheiten gerade auf
kunstwissenschaftlichem Gebiet nicht einfangen können.

Die Einfühlungstheorie hier in ihren mannigfachen Verzweigungen auseinander-
zusetzen würde den Rahmen dieser Besprechung sprengen. Nur der falsche Stand-
punkt Becks der angegriffenen Theorie gegenüber sei hier kurz berührt. Er sagt:
»Auch das ,Emporstrebende' eines gotischen Domes oder das ,Drückende' eines
romanischen oder die harmonische Gleichgewichtsruhe eines Renaissancebaues sind
objektive und keinesfalls hineingefühlte Strebungen und Bewegungen unserer Seele.«
S. 1252. Rein phänomenologisch hat Beck recht. Wir fühlen die Stimmungen nicht
hinein, sondern heraus. Die Bauten sind objektiv für den künstlerischen Betrachter
beseelt. Andere Forscher — wie Witasek — sprechen von Gefühls vo r st e 11 u n g
des Betrachters.

Geben wir jedoch diese »phänomenologische« (Husserl, Pfänder, Geiger, Scheler
und andere) Einstellung, die der »grundwissenschaftlichen« (Rehmke) sehr ähnlich
ist, auf und fragen wir psychologisch: Wie kommt der Betrachter dazu, real tote
Gegenstände in ästhetischer Betrachtung beseelt zu erleben?, so müssen wir die
phänomenologische Einstellung auch wirklich aufgeben und sie dort, wo sie keine
Berechtigung hat, nicht wieder einschmuggeln. Das tut Beck aber. »Rein deskriptiv,«
um mit den Phänomenologen zu sprechen, sind für den künstlerisch Erlebenden
die Kunstwerke beseelt. Diese bloße Beschreibung allein reicht aber nicht aus, wenn
wir »erklären« wollen. Welcher Vorgang hat die Kunstwerke beseelt, bevor ich sie
so erlebe? diese Frage, die Beck auch stellt, wird von ihm naiv realistisch beant-
wortet. Gefühle und Stimmungen, die in Kunstwerken anklingen, sind »wahrnehm-
bare, objektive Qualitäten«. Damit glaubt er die Einfühlungstheorie widerlegt zu
haben. Auch diese zweifelt nicht daran, daß im Kunstwerk objektiv gegenständliche
Momente vorliegen müssen, wenn überhaupt eine »Einfühlung« zustande kommen
soll. Bei dem »Einfühlungsvorgang« kann jedoch — psychologisch gesprochen —
auf die einfühlende Tätigkeit des Bewußtseins nicht verzichtet werden. Weil wir,
phänomenologisch eingestellt, Gefühle im Kunstwerk als objektive Qualitäten er-
leben, dürfen wir nicht unkritisch schließen, jene seien auch an sich im Wirkungs-
zusammenhang real beseelt. Wenn man auch im einzelnen anderer Meinung sein
kann, so sind die Einfühlungsvorgänge trotz der Kritik Becks von Lotze und vor
allem von Theodor Lipps überzeugend dargelegt worden. Die Phänomenologie kann
bei ihren großen Verdiensten um die Schilderung des Gegebenen die erklärende
Psychologie als ergänzende Wissenschaft nicht entbehren. Beck kämpft weiter an
gegen die Architektur als Ausdruck oder Materialisierung des Spiels der Kräfte.
Seine Unterscheidung des Gebautseins etwa des griechischen Tempels vom Ge-
wachsensein des gotischen Domes zeigt in treffender Weise, wie sich grundver-
schiedene Bestrebungen in der Architektur betätigen. Das Spiel der Kräfte, das
noch abstrakter gefaßt, auf Kant-Schiller zurückgeht und das variiert bei Schopen-
hauer und dem späten Nietzsche mit seinem Willen zur Macht als Kunst anklingt,
ist deshalb von Beck nicht widerlegt. Auch die Behauptung, der griechische Tempel
 
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