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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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Gumbel, Hermann: Studien zum Prosastil der Ricarda Huch
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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0192
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HERMANN GUMBEL.

zuwerfen und aus dem Reichtum des Vorliegenden und Errungenen
neue Formen, neuen Ausdruck und neue Ausdrücke zu schaffen. Es
ist selbstverständlich, daß es sich bei einem solchen Versuchx) um
einen Vorstoß ins Dunkle handelt, der doch nur ein Vorstürmen aus
der Linie ist. Es geht nicht um die theoretische Unfehlbarkeit und
Endgültigkeit eines Systems von Begriffen, in abstracto vorgeführt,
sondern darum, Gerüste und Hilfsmittel zu erproben, die zur Wesens-
erkenntnis von Dichtungen verhelfen können. — Die Lebendigkeit
fordert, daß solche Hilfsmittel und Begriffe dem Organismus des Ob-
jektes selbst entnommen werden oder doch einer diesem Organismus
gemäßen Sphäre. So ist im folgenden kein systematischer Gesichts-
punkt erfaßt, der nicht aus bewußter, unmittelbarer Hingabe an die
künstlerischen Grundabsichten des Werkes entsprungen wäre.

Einer Wertung, die um den Wesenskern einer Dichtung kreist,
fehlt heute die Sprache, die Terminologie. Dafür ist unser Sinn wieder
wach geworden, daß es über das Stofflich-Inhaltliche hinaus Notwen-
digkeiten der Betrachtung gibt. Anderseits erkennt eine formale Unter-
suchung, die bedacht ist, dem Leben des Werkes nicht gefährlich zu
werden, daß sie nicht Selbstzweck sein kann. Sie gleitet letztlich ab
auf den Entstehungsprozeß, auf die berückende Frage nach dem Vor-
gange, den Gesetzen, Linien, Stufen des Schöpferischen. Hier aber
liegt der Mangel an Maßstäben und festen Fundamenten offen, die
Mannigfaltigkeit der individuellen Sonderheiten nur einigermaßen ab-
zutasten. Hier ansetzend gilt es, den Blick von der Mitte der philo-
sophisch-historischen Bedeutung ab und auf Quell- und Mündungs-
gebiet des Objekts zu richten, auf den Entstehungs- und Wirkungs-
komplex.

Das Weltbild R. Huchs ruht, wie es ihre späten religionsphilo-
sophischen Werke zeigen, auf zwei Grundpfeilern: Natur und Geist
(dies ist der Titel jenes Buches, das in neuester Auflage bezeichnen-
derweise »Vom Wesen des Menschen«2) genannt wurde).

Bedenkt man, daß im Wort Klang und Bedeutung, Gedanke und
Laut eins sind, also auch das Wort schon jene zwei Grundelemente
des Lebens birgt, so ist es ein naheliegender Schritt, auch das Wesen
einer schöpferischen, dichterischen Kraft von diesen zwei Polen be-
stimmt zu sehen3).

!) Der Aufsatz ist ein Ausschnitt aus einer umfassenderen Abhandlung (Diss.)
»Über Grundlagen liter. Stilkritik erläutert aus den Prosawerken der R. Huch«, die
vor allem bis auf das Einzelne und Technische eingeht.

2) 1922. Verl. Kampmann u. Schnabel, Prien a. Chiemsee.

3) Es sind im Grund keine anderen Wesenheiten gemeint als Schillers »naive und
sentimentale* Dichtung, F. Schlegels -interessant (charakteristisch)« und objektiv«.
 
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