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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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Bertalnaffy, Ludwig von: Hölderlins Empedokles
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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0252
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BEMERKUNGEN.

Der Konflikt des Empedokles ist derjenige Hölderlins selbst. Der gotterfüllte
Seher, hineingestellt in eine feindliche, kleine, schwächlich konventionelle Umwelt,
an der er zu Grunde geht; diese feindliche Welt freilich, untergehend, in ihrer Not-
wendigkeit erkennend, ihr verzeihend, sie segnend und erlösend. Hölderlin ist der
Einsamste der Großen unserer Literatur. Zu seiner Zeit kaum gekannt, durch ein
unglückliches Leben in Nacht und Wahnsinn gestoßen, ohne jeden äußeren Erfolg,
ja in seinen reifen Werken überhaupt ohne den Gedanken einer Veröffentlichung,
bis zum heutigen Tage nur von einem kleinen Kreise auserwählter Geister verstanden
und verehrt, fand Hölderlin auf seinem elenden Erdenweg nur in dem Einen Trost
und Stärkung: in dem Bewußtsein, Träger einer Mission, in dem Gefühle, gött-
liches Gefäß zu sein. Nicht Werk eines armen, vom Leben zerschlagenen und zer-
brochenen Individuums scheinen die kristallklaren und kristallinisch gesetzmäßigen
Rhythmen der Gedichte Hölderlins, sondern das Werk des überpersönlichen, allge-
meinen Geistes.

In diesem Bewußtsein der Einung mit der Gottheit lebt Empedokles. Freilich,
auf die Stunden gotterfüllten Schauens folgen furchtbare Depressionen. Es kommt
für Empedokles der Tag, da er sich von den Göttern verlassen fühlt. Wir wissen
aus vielen Selbstzeugnissen Hölderlins, wie sehr er durch den Wechsel gotterfüllter
Intuition und vernichtender Leere gelitten. »Wenn der Mensch nur nicht so perio-
disch wäre — oder wenigstens ich nicht unter die Ärgsten gehörte in diesem Punkt«:
so klagt er in einem Briefe, und ähnliche Seufzer finden sich vielfältig in seinen
Werken und Briefen.

Die Lehre vom Rhythmus, die sich hier ausspricht, ist zentral für Hölderlins
Denken und Leben. Es ist der ewige Wechsel von Schlaf und Wachen, Bewußtseins-
steigerung und Erschlaffung, Gotterfülltheit und Niederbruch, der alles Leben und
Sein beherrscht. In Hölderlins Leben ist eine deutliche, rhythmische Scheidung in
einzelne, große Lebensepochen verwirklicht, deren jede mit einer Katastrophe endigt.
Die letzte, furchtbarste Katastrophe war Hölderlins Wahnsinn. Und nur ein Gedanke
vermag Hölderlin nach dieser Katastrophentheorie des Lebens aufrechtzuerhalten.
Empedokles spricht ihn aus:

»Menschen ist die große Lust
Gegeben, daß sie selber sich verjüngen
Und aus dem reinigenden Tode, den
Sie selber sich zur rechten Zeit gewählt,
Erstehen, wie aus dem Styx Achill, die Völker,
Unüberwindlich . . .«

Empedokles, den in den tiefsten Abgrund der Verzweiflung gestürzten, trifft
das Verderben. Es ist ja immer so, daß das Unheilvolle dann Gewalt über unser
Leben erlangt, wenn wir uns schwach fühlen; so als ob rätselhafte Dämonen uns
umlauerten, die nur auf den Augenblick unserer Schwäche warten, uns anzufallen.
Dem von den Göttern geschlagenen Empedokles tritt gegenüber Hermokrates, der
eisige Priester. Hölderlin hatte wohl Grund, ein so furchtbares Bild kalt berechnen-
der, priesterlicher Hypokrisie zu entwerfen. Er, dessen Jugend in der grauen Ein-
samkeit der Klostermauern des Tübinger Stiftes verlaufen war, der immer in der
Angst lebte, durch die Sorge ums tägliche Brot in das unfreie, beschränkte Dasein
eines Dorfgeistlichen gedrängt zu werden — Hölderlin hatte wohl Grund, den
Konflikt des gotterfüllten Sehers mit der gottentfremdeten Frömmigkeit des kirch-
lichen Glaubens in so grellen Farben darzustellen.

Hermokrates, die Kirche, siegt über Empedokles, über den Gott; das Volk stößt
den Seher hinaus auf den Leidensweg. Aus der furchtbaren Erniedrigung des »Mein
 
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