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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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Thomae, Walter: Plastisch und Malerisch
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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0268
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258

WALTER THOMAE.

ihr Unterbau. Bevor von den Elementen als Trägern der Wirkung die
Rede ist, müssen diese Elemente bekannt und physisch erfaßt sein,
und ihre Namen müssen unzweideutig feststehen.

In der Theorie der Musik ist dieser Aufbau längst anerkannt und
verwirklicht. Wir haben eine musikalische Akustik, worin die elemen-
taren Erscheinungen der Tonwelt, besonders die Akkorde (unter denen
sich alle Akkordmöglichkeiten befinden, auch die welche in der Musik
nicht vorzukommen brauchen!), festgelegt und benannt sind, und dieser
ist die Theorie der musikalischen Wirkungen sowie die praktische
Kompositionslehre angeschlossen.

In der Theorie der bildenden Künste ist dieser Aufbau noch keines-
wegs verwirklicht, es fehlt an einer grundlegenden Physik dieser
Künste, worin die Elemente, welche Träger der Wirkung sind, unter
Ausschaltung alles Ästhetischen, geordnet und mit Begriffen belegt
sind, die man eindeutig in der angeschlossenen Wirkungslehre ge-
brauchen kann.

Es ist ein sehr verdienstliches Hilfsbuch, das Wölfflin mit seinen
»kunstgeschichtlichen Grundbegriffen« den Kunsthistorikern in die
Hand gegeben hat. Er rückt darin an das physische Fundament viel
näher heran als alle früheren, aber den letzten Schritt hat er eben
doch nicht getan. Von vornherein verquickt auch er fortwährend das
Ästhetische mit dem Physischen, das Ziel mit den Mitteln; ich nenne
diese Behandlungsweise eine sentimentale. Ein anderer Fehler ist es
von ihm, die Natur zu ignorieren, als ob im darstellenden Kunstwerk
alle Wirkungen nur auf den Künstler zurückzuführen seien, aus dem
dargestellten Naturobjekt aber nichts in diese Wirkung überginge, ein
Kardinalirrtum der heutigen Ästhetik. Endlich ist die Differenzie-
rung der Begriffe, deren Wölfflin eine große Zahl abhandelt, noch
ungenügend, und er sagt selbst: »hier rächt sich die Armut der Sprache
.. . um alle Übergänge bezeichnen zu können.« Wenn die Sprache zu
arm ist, so werden wir ihr mit Neubildungen aufhelfen müssen, alle
Wissenschaften tun dies; im Notfalle müssen wir uns der Zahlen und
schematischen Figuren bedienen. Solange aber diese Differenzierung
nicht vollzogen ist, sind auch die Begriffspaare bedenklich, die
Wölfflin aufstellt, wie plastisch und malerisch, Sein und Schein, be-
grenzt und unbegrenzt usw., als ob es sich um Pole handelte, zwi-
schen denen sich Achsen befinden, um die sich alles dreht. Hierdurch
entsteht die Gefahr, Klassen zu bilden und zu vergessen, daß alle
Natur abgestuft ist und daß alle Grenzen fließend sind.

Aus der Fülle der Begriffe, die in der Kunstwissenschaft gebraucht
werden, greife ich hier zwei heraus, plastisch und malerisch, um an
ihnen auszugsweise das Verfahren einer Physik der bildenden Künste
 
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