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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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Adler, Leo: Theorie der Baukunst als reine und angewandte Wissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0286
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276

LEO ADLER.

tekturtheoretischer Fragen es sich vornehmlich um die zeitlich und
örtlich bedingten Abwandlungen baukünstlerischer Werke handelt, um
die Untersuchung der jeweiligen besonderen Raumgestaltung, der gerade
vorliegenden Formbehandlung ihrer stofflichen Raumbegrenzungen je
nach Ort und Zeit (geschichtliche Fragestellung), sowie ferner um
deren optische, psychisch bedingte Wirkung (ästhetische Fragestellung)
— handelt es sich für den Architekten um eine Fragestellung, die auf
die Gewinnung allgemeiner Raumvorstellungen und auf
Möglichkeiten der Formgebung gerichtet ist. Hierbei wird es
unwesentlich, daß z. B. der barocke Bau in einer bestimmten Weise
wirkt oder gar auf die einstigen Zeitgenossen gewirkt hat — sondern
wichtig wird die Erkenntnis, daß Baukunst, im barocken Sinne ge-
staltet, imstande ist, diese oder jene bestimmte Wirkung (Reichtum,
rauschende Lebensfreude usw.) im Beschauer hervorzurufen. Die Er-
kenntnis derartiger Möglichkeiten ist das für den Baukünstler Wich-
tigste bei allen theoretischen Bemühungen. Mit anderen Worten: bleibt
die geschichtliche Einstellung verhältnismäßig eng an das empirische
Material geknüpft, wird die Ästhetik als normative Wissenschaft — wie
es heute weithin der Fall ist — ihrer Bedeutung entkleidet, so bedarf
der schaffende Architekt gerade der Erkenntnis künftiger Wirkungs-
und damit Schaffensmöglichkeiten. Das ist die Frage, deren Beant-
wortung ihm vor allem wichtig ist, soweit Dinge der Kunst über-
haupt vernunftgemäßer Erkenntnis zugänglich sind.

So wird denn je nach der Fragestellung eine Theorie der Baukunst
sich verschiedener Verfahren bedienen; zum mindesten wird das Ver-
hältnis geisteswissenschaftlicher (idiographischer) und naturwissen-
schaftlicher (nomothetischer) Verfahrungsweisen zueinander sich ver-
schieben. Für diese Beziehung wird jene Gegensätzlichkeit entschei-
dend, die wir eingangs erwähnten: daß der Kunstgelehrte von innen
nach außen, der Architekt von außen nach innen vorzudringen
trachtet.

Diesen verschiedenen Einstellungen nach wird für den Kunstge-
lehrten die innere Seite des Kulturlebens ausschlaggebend, d. h. das
vom architektonischen Objekt im Sinne eines Reizes ausgelöste seelische
Verhalten des Subjekts. Die weitere Folge ist, daß ihm die Idee der
Baukunst als solche, sowie ihre Einordnung in den allgemeinen Zu-
sammenhang der Kulturwerte und endlich die begriffliche Abgrenzung
der Baukunst innerhalb eines Systems der Künste usw. bedeutsam wird.
Dem Architekten dagegen, der von der stofflichen zur geistigen Ver-
änderung im erörterten Sinne vordringen will, wird die äußere Seite
der Kultur entsprechend wichtig. Sie umfaßt in diesem Zusammenhang
für ihn insbesondere die technischen, wirtschaftlichen usw. Bedingungen
 
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