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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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Buhler, Charlotte Malachowski: Kunst und Jugend
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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0299
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KUNST UND JUGEND.

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1. Wie ist das Verhältnis der Jugend zur Kunst? Hat sie überhaupt
ein Verhältnis zur Kunst, und wann erwacht es und wie ist es be-
schaffen?

2. Können und sollen wir es pädagogisch beeinflussen und wie?

3. Welche Berechtigung, welchen Sinn, welche Grenzen hat die
sogenannte Kunsterziehung und die ganze seit einem Vierteljahrhundert
in Fluß geratene kunsterzieherische Bewegung?

Vor der zweiten und dritten ist die erste Frage zu beantworten,
und sie soll uns hier beschäftigen.

Die drei Fragen werden hier nicht zum ersten Mal formuliert.
Mindestens für das zeichnerische Gebiet, auf welchem die Bewegung
auch schon am meisten Fortschritte zu verzeichnen hat, sind ganz
ähnliche Fragen bereits gestellt worden und zwar von Georg Kerschen-
steiner. Es ist merkwürdig. In der ganzen Bewegung, die von vorn-
herein als eine radikal pädagogische begann mit Zielen und Werten,
ohne mit der Eigenentwicklung des Kindes viel Federlesens zu machen,
in dieser Bewegung mußte es ein sonst so wesenhaft pädagogischer
Geist wie Kerschensteiner sein, der die notwendigen psychologischen
Fragen ventilierte. Sein großes Werk »Die Entwicklung der zeichne-
rischen Begabung« von 1905 zeigt in mancher Hinsicht vorbildlich
die in der Pädagogik fruchtbare und notwendige Vereinigung von
psychologischer Forschung und pädagogischer Zielsetzung.

Betrachtet man den Stand der allgemeinen Kunstbildung und des
allgemeinen Kunstbewußtseins und -Verständnisses in den achtziger
Jahren etwa, so begreift man, daß es zunächst einmal nottat, radikal
neue Ziele zu setzen, alte verlorengegangene Werte, die in anderen
Zeiten im Volke lebten, als neue Werte aufs Panier zu schreiben und
mit alledem zuerst einmal eine energische Willenseinsetzung der er-
ziehenden Generation für die gute Sache zu erreichen. So sind die
Weckrufe von Konrad Lange, von Lichtwark, von Wolgast zu ver-
stehen. Was nun einsetzt, etwa 1901 mit dem ersten Kunsterziehungs-
tag, nämlich die praktische Durchführung der neuen Gesichtspunkte,
das läßt von vornherein die notwendige Begleitung durch eine psycho-
logische Fragestellung vermissen.

»Ich selbst,« sagt Konr. Lange auf dem ersten Kunsterziehungstag,
»stehe z. B. dem Struwwelpeter und Meggendorfer nicht so ablehnend
gegenüber wie manche meiner Kollegen, glaube überhaupt, daß die
Forderung der allerhöchsten künstlerischen Stufe bei der dem Kinde
zu bietenden Kunst eine Feinheit des Verständnisses voraussetzt, die die
meisten Kinder noch nicht haben und nicht haben können. So meine
ich z. B. auch, daß man beim Wandschmuck noch mehr das Inhalt-
liche, weniger das Stimmungsmäßige betonen sollte, da das Kind eben

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XX. 19
 
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