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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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Eisler, Max: Das Musikalische in der bildenden Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0328
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318

BEMERKUNGEN.

Rhythmus und Harmonie — nur Notbehelfe sind, die sie über kurz oder lang wird
entbehren können? Und heißt das, daß in allen diesen Fällen nur kontrollose Asso-
ziationen des Betrachters vorliegen, nicht aber ursächliche Bindungen des bildenden
und des musikalischen Schaffens?

Fest steht, daß sich solche Assoziationen bei gewissen Werken — wir bleiben
einstweilen bei der Malerei — nicht einstellen. Um nur von neueren Beispielen zu
sprechen: die Kunst eines Theodore Rousseau wirkt unmusikalisch, die des Corot
wie gemalte Melodie. Man lese daraufhin wieder einmal, was Fromentin, der für
die Musik in der Kunst ein besonders feines Gehör hat, — die Hände der »Staal-
meesters« wirken auf ihn wie ein »offenes Register«! — über die beiden Franzosen
aussagt. Auch abgesehen davon, daß er Corot geradezu als ein lyrisches Naturell
bezeichnet, ist seine Charakteristik der beiden Meister ein fortwährendes, behutsam
tastendes Kreisen um diesen Kern: der musikalische Realismus scheidet sich von
dem unmusikalischen. Schon innerhalb einer Rasse, Zeit und Richtung findet sich
dieser sinnfällige Gegensatz. Und es wird nicht schwer sein, ihn auch innerhalb
einer Persönlichkeit aufzufinden: erst allmählich kommt Whistler zu seinen Klang-
bildern. Man wird sich also von vornherein hüten müssen, den Unterschied bis zu
einer allgemeinen und zwangsmäßigen Disposition emporzuschrauben, die zu ihrer
Zeit, an ihrem Ort sozusagen in der Luft liegt, um ganze Gruppen von Künstlern
zu überwältigen. Man wird auch hier, nach so vielen gefährlichen Versuchen der
freien Kunstentwicklung ein logisches Gesetz aufzubürden, immer beim Einzelfall
bleiben, das heißt gegen den sozialen Geist einer Kunstepoche den individuellen
Künstlerwillen sorgfältig abwägen müssen. Das Musikalische in der Malerei mag
gelegentlich besonders günstige Umstände vorfinden und dann besonders kräftig
hervorkommen, aber es ist immer und überall möglich.

Für den ersten Blick scheint die »Stimmungskunst« sein ausschließlicher Bezirk,
während was ihr entgegensteht — nennen wir es der Einfachheit halber die »Augen-
kunst« — sich im Sichtbaren erschöpft und nicht mehr zu dem andern Sinn, dem
musikalischen, gelangen kann. Aber das scheint nur so. Selbst das Extrem dieser
zweiten Art, das lineare Ornament, steht mit Motiv, Tempo und Intervall unter
einem rhvthmischen, also musikalischen Gesetz. Oder vielmehr: die Verwandtschaft
des Sicht- und Hörbaren reicht kaum irgendwo tiefer, tritt jedenfalls nirgend klarer
— fast mathematisch nachrechenbar — zutage als hier, wo sich beide Künste im
Symbolischen finden.

Aber man braucht sich nicht so weit ins Abstrakte zu verlieren. Es ist auch
für das Verständnis des Problems besser beim Sinnlichen zu bleiben, im Erfahrungs-
felde des kunstempfänglichen Laien, dessen gesunde, glückliche Hilflosigkeit der
verläßlichste Führer auf dem Weg zu den Quellen ist. Und er hört Musik vor allem
in Werken der Stimmungskunst, an die ihn eine natürliche Neigung besonders
fesselt. Das geschieht nicht ohne Fehlgriff. Der naive Beschauer übersieht in der
Malerei gern das Malerische. Unkundig ihrer Ausdrucksmittel — der Linie, der
Farbe und des Lichtes — gilt ihm das Dargestellte mehr als dessen Darstellung,
er liest statt zu schauen und gerät vor der Malerei auf die Literatur, mit der er
durch eine krumme Erziehung seit seiner Jugend besser vertraut ist. Doch die
gleichen Ursachen haben dann auch eine entgegengesetzte Wirkung. Wie den Kopf
weiß er auch das Ohr leichter zu gebrauchen als das Auge. Vor Werken, die seinem
Verlangen nach der Anekdote nicht viel bieten, also vor malerisch gestimmten,
kommt er leichter zu musikalischen Eindrücken und Feststellungen. Er hört das
Bild. Und inmitten seiner Ergriffenheiten spricht er, so gut er kann, es aus, was
ihm das Bild geklungen hat.
 
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