Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

DOI Artikel:
Eisler, Max: Das Musikalische in der bildenden Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0331
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BEMERKUNGEN.

321

entsprechende Farbempfindung zur unmittelbaren Folge. Allerdings, nicht der ein-
zelne Ton, sondern ein Tonpaar mit seinem Intervall ist der Erreger der farbigen
Vorstellung. So entspricht der Oktave ein helles, goldglänzendes Licht, der großen
Sekund ein warmes Rotgelb, der großen Terz ein Rot, der übermäßigen Quart oder
der verminderten Quint ein Violett, dagegen der reinen Quart ein Gelbgrün; die
große Quart hat den Charakter eines hellen Chromgelb, die große Sext den von
Gelbrot und die große Septime den von Purpur.

Auf diesen Erfahrungen beruhen die jahrelangen Versuche Rainers mit seinen
Schülern, worüber er jetzt in dem Buche »Musikalische Graphik« (Deutscher Verlag
für Jugend und Volk, Wien) eindringlich Rechenschaft gibt. Im Zeichensaal waren
ein Klavier und ein Harmonium aufgestellt. Nachdem man sich an bunten Papier-
schnitten, an Kreide- und Aquarellskizzen über Wesen und Wirkung der Farben
geeinigt, wurden einfache Kadenzen gemeinsam abgehört. Zunächst C-Dur mit Dis-
kant und Baßkoppel, dann Fis-Dur ohne Koppel. Der Helligkeitsunterschied wurde
sofort und allgemein wahrgenommen, C-Dur erschien weitaus heller, Fis-Dur geradezu
schwarz. Dann ging es an die Gegenüberstellung der Dur- und Moll-Tonarten, die
letzteren wirkten als Farbtrübungen, also z. B. G-Dur chromgelb, G-Moll dagegen
ockergelb oder H-Dur purpurn, dagegen H-Moll weinrot. Nach den Helligkeiten
die Farbencharaktere: Nach C-Dur wurde As-Dur gespielt, auf dem Klavier, mit
weichem Anschlag und Hervorhebung der kleinen Sext im Präludium — das Blau
wurde mühelos erkannt. Das folgende warme F-Dur wurde durchwegs als orange-
gelb empfunden. Dagegen kam es bei dem pastoralen F-Dur häufig zu zwei Farben-
eindrücken, indem sich das hervorgerufene Grün in seine zwei Komponenten, in
Gelb und Blau, spaltete. Dem F oder B wurde das kräftige Rot von F-Dur ent-
gegengehalten und dann die übrigen Tonarten, entweder im Sinne des Kontrastes
oder der harmonischen Verwandtschaft, angereiht. Nachdem so die entsprechenden
Farbempfindungen geklärt und gesichert waren, ging es auf Musikstücke von prä-
gnantem Charakter los, die nach beiden Richtungen geschulten Sinne der jungen,
empfänglichen Menschen traten ans Werk und lieferten musikalische Graphiken.

Das Buch Rainers enthält davon eine ganze Reihe, zum Teil in farbigen Wieder-
gaben. Es sind »Nachschriften« klassischer und moderner Kompositionen von Bach
bis auf Richard Strauß. Leider nur wenige, die dasselbe Thema von verschiedenen
Händen dargestellt zeigen und so den Nachweis der gemeinsamen Farbreaktion
auf das gehörte Stück erbringen. Aber auch dafür finden sich sinnfällige Belege.
Stärker noch treten die individuellen Züge der musizierenden Zeichner hervor, so
etwa bei Hans Sündermann, der seine düster monumentale Haltung auf den Wegen
von der Matthäus-Passion über Beethovens Neunte bis zur Vision Parsifals be-
hauptet. Alle aber geben — in Ornamenten, Farbenbauten und Feuergarben —
rhythmische Gebärden, also sichtbar gewordene Musik.

Ein selbständiger, unmittelbar einleuchtender und ergreifender Kunstwert kann
diesen Graphiken kaum zugesprochen werden. Nicht weil den meisten als Erzeug-
nissen einer halbflüggen, stammelnden Jugend natürlicherweise die Vollkommenheit
der Form abgeht und sie in ihren äußersten Fällen nur als Fragmente, als Ahnungen
großer Gesichte wirken. Sondern vielmehr weil auch das Reifste von seiner Be-
ziehung zur Musik lebt und so, soll es vom Betrachter verstanden werden, die
musikalische Begleitung fordert. Man müßte es im Konzertraum, im Hintergrund
der Opernbühne, während das Orchester spielt, in leuchtender oder dämmernder
Transparenz an die Wand bringen, um die Gleichzeitigkeit des Farbhörens zu ge-
nießen. Und in dieser Richtung mag dem neuen Verfahren eine wichtige Rolle
bevorstehen. Denn müde der gestaltlichen, desillusionierenden Kulissen, strebt unser

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XX. 21
 
Annotationen