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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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Dahmen, Hans: Die Kultur- und Kunstphilosophie Gotthilf Heinrich Schuberts
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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0336
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BEMERKUNGEN.

rischen Kräfte zu seinen schönsten Märchen auslöste *), für das Bewußtsein der ver-
gangenen Jahrzehnte nur einige knapp zusammengefaßte Lehrsätze und Kuriosi-
täten übriggeblieben, sonderbare physikalische und psychologische Vorstellungen,
sowie eine schrullenhafte Sammlung merkwürdiger Naturphänomene. In der Tat
besitzt Schubert eine eigentümliche bizarre Wissenschaftlichkeit, eine Mischung von
sachlichem prüfendem Ernst und von sehnsüchtiger Schwärmerei, die mit einer be-
sonderen Lust alles Dunkle, Sonderbare, Abseitige und Geheimnisvolle aufspürt und
mit erregter Freude gleichsam die vergessenen Dinge der Rumpelkammer ans Tages-
licht bringt. Bizarre Merkwürdigkeiten, an denen mit einem Kopfschütteln, einem
Lachen oder einer Gänsehaut vorübergegangen wird, greift er begierig auf; aber
was sein tiefschauendes, lebendiges Auge darin sieht, sind die Gesetze des Lebens,
der Seele und der Kultur. Die großen alltäglichen Straßen waren nicht mehr von
Interesse, es herrschte keine Gesamtkultur mehr, aus deren Mitte heraus geschaffen
werden konnte. So suchte denn Schubert die Nebengassen auf, in ihrem Dämmer-
scheine konnte er die Dinge schärfer wahrnehmen als in der hellen Mittagssonne.
Diejenigen Vorfälle des Lebens sind ihm wichtig, die noch nicht abgenutzt sind,
aus denen das seelische Leben noch nicht zurückgewichen ist. Aber er bleibt nicht
auf diesen Seitenwegen; nachdem er hier das anteilnehmende seelische Leben neu
erweckt und in den abseitigen und sonderbaren Dingen den Naturkräften gelauscht
und ihrem Sinn nachgespürt hat, kehrt er in das Leben zurück und entzündet mit
dem Funken, den er an entlegenem Orte holte, die ganze irdische Wirklichkeit, die
nichts Langweiliges und Bedeutungsloses mehr behält. Dies gebietet ihm sein ge-
sunder und starker Geist. Von diesen Wegen brachte er Erkenntnisse, in denen
wir eigenen Geist begrüßen, in denen zum Beispiel einige Lehren des George-
kreises schon verheißungsvoll anklingen und die uns zu mannigfachen Anknüpfungen
und neuen Schritten auffordern. Besonders steht uns Schuberts Streben nahe, im
Leiblichen den Ausdruck des Geistigen zu sehen und das Irdische gebildet zu
glauben nach einem ewigen Vorbilde. Diese Gedanken sind dargestellt in den
Mythen, die Schubert seinen »Ahndungen einer allgemeinen Geschichte des Lebens«
voranstellt. Im ersten Mythus wird geschildert, wie das Element, »welches im An-
fang aus Gott war,« sich erhebt und die Erde entsteht. Dies Element formte sich
nach dem Bilde hoher Geister, der Elohim, deren Züge der Erde eingeprägt worden
sind. Die Elohim wiederum strahlen das lichte Antlitz des höchsten Herrn wieder,
sie sind also die ersten Mittler zwischen Gott und der Welt. Als die Elohim aber
ihr Werk an der Erde vollendet hatten, stiegen sie zum Heiligen empor und ver-
gingen vor seinem Anschauen. Dieses war die Stunde des ersten Todes auf Erden.
Licht und Schimmer loschen und die Erde ward erfüllt von tiefen Schmerzen; sie

Zusammenhang der sichtbaren und unsichtbaren Welt nachzuweisen. »Die Welt der
Erscheinung aus ihren unsichtbaren zeugenden und bildenden Kräften zu begreifen,
das schaffende Walten der Natur in der Welt des Geistes zu erkennen, das Geistige
im Bilde des Leiblichen, das Ewige im Bilde des Irdischen zu schauen und den
Zug des Niederen nach dem Höheren, das Ausstrecken des Bedürfnisses nach dem
Quell seiner Befriedigung, durch alles hindurch aber das mütterliche Band eines
allumfassenden Lebens und einer allwaltenden Liebe zu verfolgen, — dies war das
Element, worin sein Geist am liebsten sich bewegte« (W. Heß in der »Allgemeinen
Deutschen Biographie«).

') Vgl. Paul Sucher, Les Sources du Merveilleux chez E. Th. A. Hoff mann. Paris
1912. — Eingehender Nachweis in meiner Dissertation: »Studien zu E. Th. A. Hoff-
manns Goldnem Topf«.
 
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