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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0351
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BESPRECHUNGEN.

341

wieder der Gegensatz von formbildender Oberflächenlinie und formbelebender
Innenmodellierung. Der Block ist bei den Niobiden in wenige, klar faßliche Massen
von schlichten Umrissen gegliedert. Deren Flächen und Begrenzungen heben sich
dann durch die Gewandfalten voneinander ab, die diesen Flächen das Relief geben
und den Konturen entweder parallel laufen oder sich an ihnen stoßen, nirgends
aber die eine Fläche in die andere hinüberführen. So könnte bei der römischen
Niobide höchstens in der Ansicht von vorn (Abb. 289) von Oberflächenlinien die
Rede sein. Aber die sollte ja eben nicht zur Geltung kommen. In der Hauptansicht
laufen über dem rechten Bein die Falten dem rechten Unterschenkel, Bauch und
linken Oberschenkel parallel und sondern sich unten nicht in klarer Form, sondern
bilden eine reich belebte Masse, ähnlich wie beim laufenden Mädchen, wo auch die
Flängefalten des Überschlages vorn in sehr bezeichnender Weise sich totlaufen. Die
Verschiedenheiten gehen also auch hier auf die oben besprochenen beiden Typen
künstlerischer Anschauung zurück.

Das Schlußglied dieser Reihe, die Nikebalustrade, ist von ihrem Anfangsglied,
der Genetrix, durch einen derartigen Abstand getrennt, daß man nur bei ganz enger
und unausweichlicher Verbindung der Zwischenglieder die Zusammengehörigkeit
anerkennen könnte, zumal es an jedem äußeren Zeugnis fehlt. Von einer solchen
inneren Notwendigkeit ist aber, wie ich es in Beschränkung auf einige Beispiele
gezeigt habe, die Kette weit entfernt. Was Schräder an Beziehungen zwischen der
Genetrix und den Balustradenreliefs heraushebt, ist wieder so allgemeiner Natur,
daß man es nur auf Rechnung des sehr weiten Stilkreises setzen kann, dem schließ-
lich beide Werke angehören.

Das Kapitel, über die antiken Nachbildungen von Werken des Phidias getit im
wesentlichen über das nicht hinaus, worin jetzt im allgemeinen Einigkeit herrscht.
Man weiß, daß die Zuweisungen hier nicht denselben Grad von Sicherheit haben
wie etwa bei polykletischen und myronischen Figuren. Letzten Endes hängt alles
an der Parthenos, und gerade deren Überlieferung läßt so vieles zu wünschen übrig.
So bleibt noch manche Frage offen und diese oder jene Zuweisung anfechtbar.
Aber das sind Einzelheiten. In der Hauptsache ist dieses Bild klar. Klar ist auch,
daß es von hier aus eine direkte Verbindung zur Parthenonkunst nicht gibt. Auf
dem Wege, den Schräder sich dahin zu bahnen versucht, haben wir ihm nicht
folgen können. Nicht weil dieser Weg streckenweise für uns unpassierbar wäre,
nicht weil dieses oder jenes Stück in der Beweisführung uns brüchig erschien. Der
Grund liegt im ganzen, er liegt in einer Methode, gegen die heute die schwersten
Bedenken geltend gemacht werden müssen. Es ist nicht anders: so, wie sie hier
behandelt werden, sind diese ungeheuer wichtigen Dinge in Gefahr, auf ein totes
Geleise geschoben zu werden.

Nach Schräder (im Nachwort) sind die bisherigen Versuche, den persönlichen
Stil des Phidias festzustellen, unbefriedigend geblieben, weil ihnen die Schärfe der
Beobachtung fehlt. Wenn aber in einem Buche, das von feinen und richtigen Einzel-
beobachtungen so erfüllt ist, wie dieses, so unmögliche Thesen verfochten werden,
wie die Herkunft der Olympiaskulpturen und des Parthenonwestgiebels von dem-
selben Meister, so sieht man jedenfalls, daß in der Schärfe und Fülle der Einzel-
beobachtung allein das Heil nicht gesucht werden darf. Wir sind uns bewußt, daß
wir dieser Methode ein so grundlegendes Buch wie Furtwänglers Meisterwerke ver-
danken. Sieht man aber, wie hier von Schräder der Versuch gemacht wird, sie zu
sublimieren, so wird es auch recht klar, daß wohl — namentlich durch Furtwängler —
Bewegung in die starre Masse gekommen ist; Gleiches hat sich zu Gleichem gesellt,
und hier und da haben sich feste Zentren zu weiterem Kristallisationsprozeß ge-
 
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