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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0359
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BESPRECHUNGEN.

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und schwerverständlich. Überdeckungen von germanischen und spätrömischen Bil-
dungsgewohnheiten erschweren die Sonderung der Formen. In einer ausführlichen
Besprechung der Riegischen Ergebnisse sucht der Verfasser auch für dieses in Form
und Technik nicht homogene Feld der Zeit vor dem sechsten nachchristlichen Jahr-
hundert jene durchsichtige Führung der stilistischen und historischen Bahnen zu
gewinnen, die sein ganzes Werk auszeichnet.

Die südlich organische Komponente der nordgermanischen Tierornamentik, das
Tier (speziell vielleicht in ägyptisch-phönikischer Formel) war schon in der IV. Mont.-
Stufe an Importgeräten nachgewiesen und am Ende der Bronzezeit zu einer Syn-
these mit dem Wellenband umgedacht und umgearbeitet worden. Es bekommt für
die Eisenzeit einen ganz neuen Sinn. Die erste Gewalttat des nordischen Formen-
geistes war die Vernichtung der Fabeltierart dieses südlichen Gebildes. Aller orga-
nisch-imaginäre Zusammenhang der Fabelwesen wurde gelöst und in eine abstrakte
Formfolge verwandelt, die sich aus den Flächen des Trägers (Kopf- und Fußplatte
der Fibel) entfaltete. Im 5. Jahrhundert trugen die Fibeln noch ein in bezug auf
ihre Schmuckflächen abstrakt-geometrisches Ornament. Es folgten Formen mit typi-
scher Flächenfüllung und solche, bei denen eine Kranzordnung von Randknöpfen
die Platte umgibt. Diesen Knopfstellen heften sich die ersten Tierknöpfe an. Das
neu erscheinende tierische Wesen aber unterliegt dem fremden künstlerischen Willen.
Seine Form wird abgebaut. Die Köpfe, Körperteile und Glieder fallen aus dem
Zusammenhang der lebensähnlichen Konstitution; zertrümmert werden die Teile als
Kurventräger außerhalb ihrer ursprünglichen Verbindung zur Umrandung oder
Flächenfüllung benutzt. Verdoppelung der Umrißlinien deutet darauf hin, wie nach-
drücklich nach den abstrakten Zügen der Form gesucht und wie stark das Gefundene
unterstrichen wird.

Während die Tierform abgebaut wurde, verlor sie zugleich die tektonische Be-
deutung der Randbegleitung. Ihre geometrisierten Teilstücke werden zu selbstän-
digen Ornamenten in die Flächen gelegt. Ein neues, für die Folgezeit und auch für
die Entwicklung aller Flächenkunst bedeutsames Prinzip der Ordnung, die zwei-
seitige Symmetrie, beherrscht die Formverbindung ornamentaler Gruppen. Mit diesen
Vorgängen schließt die erste Phase der nordischen Eisenzeit, die Abbauperiode, die
im formal - inneren Entwicklungsgang wieder bis zum Wechsel von Grund und
Muster gelangte.

In der zweiten Phase wird der schon mit der ornamentalen Ordnung der Ab-
bauformen in der ersten Phase begonnene Aufbauprozeß vollendet. Neben die An-
ordnung im Sinne der zweiseitigen Symmetrie, die in der ersten Phase die abge-
bauten Formen in eine höhere künstlerische Einheit brachte, tritt in der zweiten
Phase eine andere Art der Formverbindung: die Bandformung und Bandverschlingung.
Die Bildung von Bändern sah Scheltema in jeder zweiten, d. h. flächenfüllenden,
Phase der großen dreigeteilten Epoche nordischer Ornamentik, in der Stein-, Bronze-
und Eisenzeit, mit unvermeidlicher Konsequenz aus den linearen Vorformen er-
wachsen, (Winkelband-Wellenband-Flechtband.) Aber in der Eisenzeit erscheint zum
ersten Male die Überschneidung und Verflechtung der Bänder. Mit dieser letzteren,
bei der sich Band auf Band in seiner Lage bezieht, versinkt langsam die Bedeutung
des alten formtragenden Grundes ins Gegenstandslose. Im Durchdenken des Ge-
sehenen formuliert Scheltema den weitsichtigen Satz: »In der abstrakt-formalen
Kunst des Nordens ist die Formverflechtung das, was in späteren Entwicklungs-
epochen der Kunst die lineare und atmosphärische Perspektive sein sollte, nämlich
die völlige Verneinung des Grundes.«

Verflochtene, mit Brust- und Rückenbändern verschlungene Tiere erschöpfen
 
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