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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0362
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352

BESPRECHUNGEN.

erkannt worden. Mit Recht bedauert der Verfasser, daß sich die Beuroner Künstler
nicht zum reinen Mosaikstil entschließen konnten, der die mitunter allzu bunten
Farben und die schwingungslose Wirkung des Goldgrundes in einen — dem raven-
natischen Stil ähnlichen, mystisch flimmernden Dämmerschein verwandeln würde.

Die ästhetische Theorie der Beuroner Schule ist von ihren eigenen Leuten
niedergeschrieben worden und enthält künstlerische Glaubensartikel und Anschau-
ungen, die in überraschender Weise mit den Bestrebungen unserer neuesten Kunst
übereinstimmen (S. 33/34). Kreitmaier führt uns über einen Abschnitt, der den Gründer
der Schule behandelt, zum Begriff des Urtypus, dem Typus der sakralen Monumen-
talität, erörtert die Beuroner Kunstform, den Kanon dieser Form, die hieratische
Kunstabsicht und klärt in einem vorzüglichen Kapitel über zeitlose und zeitbedingte
Kunst die Widersprüche. Welch wahres Wort spricht er z.B. in folgendem aus:
»Die Welt beginnt bereits müde zu werden all der Gefühlchen und Stimmungs-
schattierungen, in denen die neue Kunst eine früher nie geahnte Meisterschaft zeigt,
und die schuld daran sind, daß die Beziehungen zum Volk sich immer mehr ge-
lockert haben bis zur gegenseitigen Feindschaft zwischen Kunst und Volk. Man
möchte auch in der Kunst wieder einmal den vollen Ton einer Domglocke hören,
nicht immer nur das nervöse Rasseln elektrischer Klingeln.« Eine Betrachtung über
die Zukunftsmöglichkeiten einer derartigen Kunstentwicklung — die ziemlich negativ
ausfallen muß — führt uns zuletzt zu einem zusammenfassenden Schlußwort.

Was uns zunächst als ästhetisches Problem außerordentlich interessiert, ist die
Frage: Ist es in unserem materiellen und irreligiösen Zeitalter überhaupt möglich,
daß eine hieratische Kunstgattung als selbständiger, entwicklungsfähiger Organismus
neben dem vollkommen anders gearteten Getriebe einer unheiligen Zeit bestehen
und gedeihen kann? Ist diese Kunst nicht wie ein Stück Rasen mit Blumen und
Kräutern, das, auf einen Felsgrat aufgelegt, niemals Wurzel fassen kann? Vermag
ein Stil des Reinsten, Erhabensten, der edelsten Genieentfaltung sich zu entwickeln
in einer Zeit tiefster Zerrissenheit und Verrohung, in einer Epoche geistreicher Geist-
losigkeit, in der alle großen Kunstprinzipien, der Kanon mathematisch-symbolischer
Gesetzlichkeit verloren gegangen sind?

Kann eine solche Kunst eine Isolierungszelle bilden, ohne — trotz aller hervor-
ragenden Eigenschaften — in epigonenhaften Eklektizismus zu verfallen? Da sie
keine Nahrung in der Umwelt findet, greift sie zurück zu den alten hieratischen
Kunstgattungen: zur ägyptischen, griechisch-archaischen, frühchristlichen, byzanti-
nischen und romanischen Kunst. Nur ein fester Zusammenhang mit der eigenen
Zeit, eine kulturelle Entwicklung aus den vergangenen Jahrhunderten heraus konnte
einen wirklich neuen Stil schaffen — aber der Leib unserer Zeit ist unfruchtbar,
ein einzelner Geist vermag ihn nicht zu beleben. So sehen wir also trotz der Ver-
wahrung, die der Verfasser und andere dagegen einlegen, einen unvermeidlichen
Eklektizismus, allerdings gebändigt durch eine bedeutende Kraft, Untertan gemacht
einer starken, tiefreligiösen Empfindung, aber unmöglich in ein gänzlich neues Ele-
ment gelöst, das von den früheren Ingredienzien keine wesentlichen Spuren mehr
enthielte. Und nur in diesem Falle wäre die Verwertung vergangener Kunstformen
gerechtfertigt. Wahrhaft große Kunst ruht, wie Kreitmaier sehr richtig bemerkt, auf
den Schultern eines ganzen Volkes. Die Masse von heute liebt diese Heiligenkunst
ebenso wenig wie irgend ein expressionistisches Bildwerk. Der Umstand, daß das
Volk einen naturalistischen Christus von Samberger dem eines Pater Lenz vorziehen
wird (S. 90) gibt zu denken: Zur Zeit, da der Campo Santo in Pisa, die Cappella
degli Spagnuoli in Florenz und dell' arena in Padua, die Unterkirche in Assisi ge-
malt wurden, war das Volk auf diese Kunst »eingespielt«, d. h. die gläubige Masse
 
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