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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0369
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BESPRECHUNGEN.

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führen und rekonstruieren, insoweit das vermöge der von ihm meisterhaft gehand-
habten Kennerschaft und auf Grund des zur Verfügung stehenden urkundlichen
Materials möglich ist. Indem er die chronologische Reihenfolge einhält, lehnt er es
doch ab, auf geschichtliche Zusammenhänge zu fahnden. Ja er steht einem solchen
Unterfangen höchst skeptisch gegenüber, weil er tief durchdrungen ist »von der
Überzeugung, daß den Zusammenhang suchen schon fast so viel ist wie ihn —
erfinden«. Auch irgendwelche formal-ästhetischen oder kunstgesetzlichen Folgerungen
aus seinen Beobachtungen zu ziehen, liegt außerhalb des Bereiches seiner Bestre-
bungen. Die Form lose aneinander gereihter Künstlermonographien, auf einzelne
Hefte verteilt, will er nicht als eine bloß zufällige Anordnung angesehen wissen,
sondern durch die Sache gefordert; und sie entspricht auch der ihm eigentümlichen
Form des Denkens. Wenn ich seine Skepsis und seinen ablehnenden Standpunkt in
bezug auf eine geschichtliche Auffassung nicht teile, so folgt das aus einer ver-
schiedenen Grundstellung dem historischen Problem gegenüber. Es gibt Zusammen-
hänge und Beziehungen, die sich aus anderen als rein bildlich-formalen Faktoren
erschließen lassen und doch zu einer tieferen Erkenntnis des bildlich-formalen
Wesens und seiner Zusammenhänge beitragen. Quellen stehen zur Verfügung, die
für ein allseitiges Verständnis des altniederländischen Kunstkreises noch mannigfache
und reiche Aufschlüsse und Ergänzungen zu bieten vermögen. Fragen wie die nach
dem religiösen Gehalt der Werke, ihrem Verhältnis zu kirchlichen Erscheinungen der
Zeit und des vorhergehenden Mittelalters, nach ihren Beziehungen zu der burgun-
dischen Hofkultur oder zu dem Volksleben der Niederlande, nach ihrer Stellung zu
Romanismus und Renaissance treten gar nicht in Friedländers Gesichtskreis. Wie
viel Erkenntnisse und Klärungen mit Hilfe einer kulturgeschichtlichen und kultur-
psychologischen Betrachtung zu erreichen und noch zu erwarten sind, das geht aus
dem soeben in deutscher Übersetzung erschienenen Werke des holländischen Ge-
lehrten Huizingä »Der Herbst des Mittelalters« hervor, das in glänzender Weise
ein Bild von der burgundisch-höfischen Kultur entrollt und auch auf die Kunst
neue Streiflichter wirft. Für die Beurteilung der Leistungen des Jan van Eyck so-
wohl in bezug auf die Grundlagen seiner kirchlichen Werke wie seiner Porträt-
darstellungen sind hier fruchtbare Gesichtspunkte gewiesen und Fragen angeschnitten,
mag auch die Auffassung der Zeitkultur vielleicht allzu einseitig sein und die Ver-
teilung von Licht und Schatten noch mancher Korrekturen bedürfen.

Aber eine solche Betrachtungsweise würde teilweise doch nur im Dunkeln
tasten, wäre ihr nicht durch eine Ordnung des in Frage kommenden künstlerischen
Materials und durch eine kritische Feststellung des auf uns gekommenen Werkes
der führenden Meister ein sicheres Fundament gegeben. Nach dieser Seite ist in
der letzten Zeit viel — und gerade durch Friedländer — geleistet worden. Alles
was mit Hilfe von Stilkritik und unter Heranziehung des bekannten Urkunden-
materials entwickelt werden kann, wird von ihm hier vor dem Leser in muster-
gültiger Weise ausgebreitet. Während er selbst mit seiner Skepsis gegenüber einer
historisch aufbauenden Anschauungsweise nicht zurückhält, entgeht einem nicht,
wie eine solche Skepsis doch auch bei einer rein stilkritischen Methode an manchen
Stellen einsetzen könnte; denn die für dieses Gebiet maßgebenden Forscher ver-
mögen gerade in einigen für sie grundlegenden Punkten nicht zu einer Einigung
zu gelangen. Dazu gehören Fragen wie die: welchen Anteil hat Hubert van Eyck
an dem Genter Altar und welches ist demgemäß sein Verhältnis zu dem Bruder;
gibt es Werke, die sich ihm zuschreiben lassen; wie entwickelt sich der Stil des
Jan oder der beiden Brüder aus der vorhergehenden Miniaturkunst (Heures de Turin
und de Milan) heraus; wie ist die Chronologie der Arbeiten des Jan van Eyck
 
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