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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0372
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362

BESPRECHUNGEN.

blieben sind. Unerschlossen ist auch die Persönlichkeit des Künstlers (S. 78). Auf
diesen drei Gesichtspunkten, dem physiognomischen, dem chronologischen, dem
technischen, baut sich Fraengers Arbeit auf. Nicht so, daß die Schrift auch nach
diesen Gesichtspunkten, schematisch gesondert, gegliedert wäre. Die Darstellung
folgt in der Hauptsache der Entwicklung, in deren lebendigem mit Widersprüchen
und Willkür (S. 8, 11) durchsetztem Fluß jene Gesichtspunkte als Hauptmomente
erscheinen. Mit ihnen verflicht sich noch die Wandlung im Stofflichen. In Springers
Katalog, vermerkt der Verfasser (S. 77), sind die Werke nach den Gegenständen
gruppiert. Mit ein paar reichbeladenen einleitenden Worten (S. 9 ff.) setzt Fraenger
die Wesensart von Seghers ab gegen »die festgeschlossene und enge Seelenform
der vorrembrandtschen holländischen Kunst«. Er schreibt: »Der Übereinkunft einer
bürgerlichen Anschauung der Dinge eingeordnet, konnte ein jeder Einzelne der hol-
ländischen Maler in völliger Beruhigtheit sein Werk betreiben . . . Seghers jedoch
stand der Gemeinschaft ferne. Das Element der Eigenstrebung ist mit ihm ent-
fesselt« (S. 11). »Den einheitlichen Ausbau des Ererbten setzte er durch das Wagnis
eigner Stilbildung aufs Spiel« (S. 10). »Die holländischen Maler fertigten ihr Werk
in vollendeter Hingabe an den stofflichen Schein ihres Gegenstandes . . . Die grim-
mige Hingabe des Seghers durchdringt den Schein. Um das Wesen zu fassen, scheut
er nicht Entstellung und Überladung« (S. 10 f.).

Solch eine Art reizt das »Physiognomische« zu erforschen. Eine Erörterung
oder geschichtliche Einführung (z. B. Carus) des Begriffes »Physiognomie« fehlt.
Der Verfasser wendet ihn sofort an. Es ist die Rede von der Physiognomie des
Stoffes; von der Physiognomie des Ruinendaseins.

Es heißt: »Die seelische Verbindlichkeit zwischen dem Künstler und dem
Sinnbild des Verfalles beginnt sich sachte anzustraffen« (S. 30). Das Stoffliche be-
deutet etwas. Und zwar für das Seelische des Künstlers. Es sagt darüber aus. Der
Verfasser führt es aus: »Durchdenkt man jene lange Reihe von Radierungen, in
denen er von Mauern und Ruinen spricht, so drängt sich uns eine Empfindung
dessen auf, wie dumpf hermetisch doch die Jugend dieses Mannes war . . .« (S. 10, 31).
Über das Einzelne der Sinngebung in der weiteren Ausführung mag man mit dem
Verfasser rechten. Das aber ist gewiß: im Werk des Seghers bedeutet das Ruinen-
motiv etwas anderes als in den römischen Veduten von Hemskeerck oder in der
Welt des Rokoko. Mit Recht betont der Verfasser das Tragische in der Kunst und
in der Seele des Seghers (S. 10, 73), wenn er auch dem Bildinhalt eine zu große
Bestimmtheit geben will (S. 24, 31, 59), eine Klippe, die jede Deutung bedroht, und
umso mehr, wenn sie psychographisch sein will. Die zu große Bestimmtheit steigert
sich noch in der Darstellung des Verfassers. Das Dichterische in seiner Art ließ
ihn den Inhalt eines einzelnen Blattes wie des ganzen Werkes bei aller formanaly-
tischen und sonstigen Bearbeitung des Materials nahezu bis zur Nachdichtung ver-
selbständigen. Der Verfasser spricht selbst von »legendärer Konstruktion« und von
einer »mythologisierenden Behandlungsart« (S. 12). Später wird nochmals davon zu
reden sein . Das Ruinenmotiv wird von Seghers überwunden (S. 81). Es tritt, wenig-
stens für eine bestimmte Zeit, das physiognomisch gegensätzliche Straßenmotiv und
Flußmotiv auf: »Die Straße wird zum Sinnbild seines neuen Wollens« (S. 56):
Wandertrieb und Fernenstreben benennt es der Verfasser. »Das letzte Sinnbild des
hermetischen Charakters« der Radierungen Seghers sieht er in den »drei Büchern«
(S. 73). Es fällt das Wort »Sinnbild« auf. Ich meine, ihm fehlt, mehr noch als dem
früher schon gebrauchten »Gleichnis«, das Seelisch-Ausdruckshafte-Unmittelbare, ich
möchte sagen, das Psychophysische im Physiognomischen. Mag sonst Seelisches
unmittelbar erkannt werden oder nur durch das Geistige. Beim Werk der bildenden
 
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