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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0390
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BESPRECHUNGEN.

Triumphators ein Suchender trat, denen man es auch ansieht, wie viel Blut und
Seelenkraft sie erfordert haben, und in denen an Stelle des Überwältigenden, der
terribiltä, das rührende Bekenntnis einer demütigen Inbrunst getreten ist« (S. 267).
In ähnlicher Weise verzichtet Tintoretto auf den farbigen Prunk seines »goldenen
Stils« und geht zu dem asketischen, übersinnlichen »grünen Stil« über, indem er
gleichzeitig auf Natürlichkeit und Komposition im Sinn der Renaissance zugunsten
äußerst gesteigerten Ausdrucks verzichtet. Als dritte Voraussetzung Grecos, neben
Michelangelo und Tintoretto, erscheint der Manierismus, vor allem der französische.
»Man könnte von einer geistigen Katastrophe sprechen, die der politischen voraus-
ging und die darin bestanden hat, daß die alten, verweltlichten, kirchlichen oder
profanwissenschaftlich und künstlerisch dogmatischen Systeme und Kategorien des
Denkens eingestürzt sind. Was wir bei Michelangelo und Tintoretto auf einem be-
gienzten Gebiete der künstlerischen Problemstellung beobachten konnten, war das
Kiiterium der ganzen Zeit . . . Auf dem Gebiete der Kunst hat man diese Periode,
die keine abgeschlossene Periode ist, sondern eine Bewegung, deren Anfänge bis
zum Beginn des 16. Jahrhunderts reichen, und deren Wirkungen nie aufgehört haben,
in der unglücklichsten Weise als die des Manierismus bezeichnen . . . Damit ist
jedoch das Wesen dieser Kunstperiode bei weitem nicht erschöpft. Wenn ein Welt-
gebäude, wie es das der Weltanschauung des späten Mittelalters, der Renaissance
und Reformation war, zusammenstürzt, müssen Ruinen entstehen. Die Künstler,
ebenso wie die immer viel zu Vielen auf allen geistigen Gebieten, verloren die
Stütze allgemeiner Maximen, an der sich ihr Fleiß, ihre ehrgeizigen Ziele und
ihre kleinen Einfälle anranken konnten. Und so stehen wir vor dem Schauspiel
einer ungeheuren Disturbation, und in buntem Gemisch des Alten und Neuen,
und in verschiedenen Richtungen suchen die Philosophen, die Literaten, Ge-
lehrten und Politiker und nicht minder die Künstler nach neuen Krücken und
Zielen; die Künstler zum Beispiel in einem virtuosen Artistentum oder in neuen
formalen Abstraktionen, die sich zu akademischen Lehren und Theorien verdichtet
haben« (S. 270).

Wenn Greco so mit der Vergangenheit verknüpft ist, erscheint er andrerseits
als Weiser in die Zukunft. »Seine Kunst (ist) der Höhepunkt einer allgemeinen,
europäischen künstlerischen Bewegung, deren Ziel darin bestand, den Materialismus
der Renaissance durch eine spiritualistische Orientierung des menschlichen Geistes
zu ersetzen. Damals blieb es eine Episode. Denn vom 17. Jahrhundert an begann
der Kult der irdischen Güter, insbesondere als auch die Päpste in der Gegenrefor-
mation mit ihm einen Kompromiß geschlossen hatten, das Übergewicht zu bekom-
men, und der Maler von Toledo wurde für irrsinnig angesehen, wie man auch ver-
lernte, das Heroische des Helden des Cervantes zu sehen und ihn für eine komische
Figur gehalten hatte. Und es bedarf kaum vieler Worte, um darzulegen, daß in
den folgenden zwei Jahrhunderten, denen der Vorherrschaft der Naturwissenschaften,
des mathematischen Denkens, des Kausalitätsaberglaubens, des technischen Fort-
schrittes und der Mechanisierung der Kultur, die nur Augen- und Gehirn-, doch
keine Herzenskultur war, Greco immer mehr in Vergessenheit geraten mußte. Heute
steht diese materialistische Kultur vor ihrem Ende. Ich denke dabei weniger an den
äußeren Zusammensturz, der nur eine Folgeerscheinung war, als an den inneren,
der seit einer Generation auf allen Gebieten des geistigen Lebens beobachtet werden
kann: im philosophischen und wissenschaftlichen Denken, wo die Geisteswissen-
schaften die Führung übernommen haben, und wo auch in den Naturwissenschaften
die für felsenfest angesehenen Voraussetzungen des alten Positivismus von Grund
aus erschüttert wurden, in der Literatur und Kunst, die sich wie im Mittelalter und
 
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