Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 20.1926

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14166#0392
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
382

BESPRECHUNGEN.

haft eingeschaltet ist — aus der akünstlerischen, d. h. falschen Einstellung des
»natürlichen« Menschen genommen: Die Kunst als Zusammenhang des Lebens, als
Gegenwartskunst, im Strome des Geschehens, das Kunstwerk als Organ.

Der zweite Abschnitt, der sich mit der Kunstphilologie auseinandersetzt und
ihre Grenzen erweist, muß demgegenüber als zu breit und billig erscheinen. Es
wird eine dem Aufbau des Kunstwerkes bis in den Rhythmus der gebrauchten
Worte hinein adäquate Beschreibung gefordert, die an dem Beispiel von Wölfflins
Erklärung der Dürerschen Melancholie zu Tode gehetzt wird. Mit einem ungeheuer-
lichen Aufwand von entlegensten Zitaten, mit den geschraubtesten Gedankengängen
wird das Fazit gezogen: Philologie muß sich mit »Kunsterschließung« paaren. Zum
Schluß ein frommer Wunsch, der als bezeichnend für die gespreizte Darlegung
wörtlich wiedergegeben lautet: »Möge in unseren Tagen die Philologie wieder das
werden, was sie ist: Liebe zum Sinn«.

Im nächsten »Wesenslehre« überschriebenen Abschnitt werden die formalisti-
schen (Fiedler, Wölfflin, Hildebrandt), naturalistischen und metaphysischen Kunst-
theorien teilweise, bei Wölfflin z. B., recht unzureichend und schief kritisiert, um
das Wesen der Kunst als Erhöhung der Welt zu begreifen, dem Ausgangspunkt
(siehe oben) der vitalistischen kunstfremden Einstellung wieder recht nahekommend,
freilich auf höherer dialektischer Stufe. »Die Kunst führt die Welt über sich selbst
hinaus, durch die Steigerung des Lebens, durch die Sammlung des
Lebens und durch die Bannung des Vollendeten« (S. 171 und S. 177):
»Der Künstler steht am exponiertesten Punkt der Realität und schaut gestaltend in
ein überweltliches Reich. Die Kunst ist also Weg und Brücke: ein Zwischenreich.«
Es ist evident, wie dem Verfasser die eigene Mitte, die Selbstgeltung und das
Elementare der Kunst, das sich auf nichts anderes zurückführen läßt, einfach ent-
gleitet. Wer in der Kunst die Realitätsfrage stellt, sie mit der anderen »Wirklichkeit«
oder »Überwirklichkeit« vergleicht, begibt sich auf die schiefe Ebene und zeigt zu
mindest, daß er von der phänomenologischen Einstellung nicht viel verstanden hat;
die Kunst hat ihre eigene, in der phänomenologischen Analyse zu beschreibende
Wirklichkeit, die man mit »Schein« vorläufig bezeichnen mag. Eine Deduktion, wie
hier, von einer wohl geschichtsphilosophisch ausgerichteten Metaphysik her ist eine
|j.5Taßaati; et; tö aXko fevo; und ganz unzulässig. Sie kommt aus dem Nebulösen und
endet dort auch wieder schließlich, denn die »Kunsterkenntnis« findet über die
Synthese von Philologie und Kunsterschließung hinaus in einer »Kunstmythologie«
ihren Abschluß. Das Erfassen der Symbolwerte nach ihrer Breite und Tiefe ist noch
nicht das letzte Wort. Dieses ist dem »schöpferischen Menschen« vorbehalten, »dem
die mythische Betrachtung wesensmäßig zubestimmt ist«, er »hat sein Leben in
kreishafter Vollendung gelebt« (S. 226). Hier wird alles Dichtung im schlechten
Sinn. Georges Tafel des Bamberger Reiters muß den verflachenden Doktrinen des
Verfassers zum Paradigma dienen. In ihm »wird das betrachtende Werk zugleich
Abbild des Betrachters wie des betrachteten Werkes« (S. 235). Diese Forderung
trifft, auf L. selbst angewendet, nur in ihrem ersten Teil zu und setzt die ganze
Schrift in kein allzu verklärendes Licht. Man legt sie fort mit dem Gefühl, daß
mit einigen ganz brauchbaren Beiträgen zu ästhetischen Teilfragen und einem
ungeheuren Material ein nutzloser Aufwand zu einem Scheinsystem gemacht
wurde. Und darum ist es im Interesse der Sache schade. Allein diesem Buch
kommt insofern symptomatische Bedeutung zu, als es in der Absicht, die letzte
Synthese und das letzte Wort in einer Hinsicht zu bringen, in der Gegenwart
nicht allein steht, und zwar dies nicht als Ergebnis und Folgerung langsam
ausgereifter Probleme und aus der Durcharbeitung der Elementarphänomene auf-
 
Annotationen