Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

DOI Artikel:
Berger, Klaus: Sprachästhetik bei Strich und Gundolf
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14169#0049

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
SPRACHÄSTHETIK BEI STRICH UND GUNDOLF.

39

funktion hat, einmal als Sprachleib auf seine eigene Mitte zu weisen
und anderseits der Mitteilung zu dienen, entsteht die Komplikation für
die Ästhetik der Sprachkunst. Bei der Bildkunst ist in Form und Farbe
eben der ganze Umfang gegeben und damit ohne weiteres gleich auf
die künstlerische Mitte gewiesen. Weil ich aber bei der Wortkunst,
um den ganzen Umfang zu erfüllen, durch die Schale der Mitteilungs-
funktion zu dem Kern des künstlerischen Wortleibes durchdringen
muß und in diesem Falle die Schale vom Kern nicht loslösen darf,
um das Leben zu 'erhalten, deshalb häufen sich die Schwierigkeiten
— und vielleicht zeigt es sich, daß es unmöglich ist — das Formele-
ment so herauszuschälen, wie es für die bildende Kunst weithin ge-
lungen ist, und damit einen Entwicklungsbegriff vom Künstlerisch-
Formalen aus zu gewinnen. Es läßt sich dies Problem hier höchstens
umschreiben. Aber noch ein weiteres Unterscheidendes ist zu beachten,
nämlich daß die bildende Kunst, cum grano salis zu nehmen, ein-
sprachig ist (alle Kulturnationen sprechen die gleiche Kunstsprache,
wenn vielleicht auch jedes Volk in einer anderen ausdruckhaft spricht),
während die Wortkunst an die nationalen Idiome und an die dabei
anklingenden unterschiedenen kulturellen Vorstellungsreihen gebunden
ist. Und darüber hinaus: sie ist damit nicht nur beschwert als mit
einem Heteron, sondern das Ausdrucksmäßige, das »Programm« wird
als wesentliche Substanz geradezu intendiert. In diesem Sinne nimmt
die Wortkunst die extremste Kontraposition zur Musik innerhalb der
Künste ein. Diese ist in dem Maße ausgezeichnet, als sie ohne Pro-
gramm, reine, absolute Musik ist; noch in der Malerei wollen extreme
Richtungen eine »absolute« Malerei statuieren, eine in diesem Sinne
absolute Dichtkunst wird von niemandem ernstlich verfochten. Und
so muß auch das entwicklungsmäßige Geschehen in seinen »Grunds-
lagen in tiefere Schichten des geistigen Zusammenhangs, also eines
außerkünstlerischen oder besser meta-ästhetischen Faktors hinein-
greifen. Es liegt aber auf der Hand, daß dadurch das Verstehen des
künstlerischen Phänomens, das es doch zunächst und wesensmäßig
ist, gewissermaßen übersprungen und damit ein wirkliches Begreifen
unmöglich wird; die Gefahr wenigstens ist da, stärker und dringlicher
als auf dem anderen Wege. Und doch ist auch das Gegenbedenken
richtig: wie soll ich die Form des Gedichtes oder Dramas usw. um-
greifen, ohne das sie Umfassende, Inhaltliche, Vorstellungsmäßige mit-
zufassen, ja vielleicht ist es ganz unmöglich, selbst die nächsttiefere
Schicht, die wir mit »Ausdruckhaftem« umschrieben haben, wenn auch
nur im ersten orientierenden Aufmerksamkeitsakt auf das künstlerische
Phänomen, auszulassen? In diesem Falle werden wir sofort in die
unauflösbare Verflochtenheit des ganzen geistesgeschichtlichen Pro-
 
Annotationen