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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

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92

BESPRECHUNGEN.

Das erste Erlebnisgebot, aus dem die »Meistersinger« Klang gewinnen, knüpft
sich wieder an den Namen Mathildes. »Wotans Wunschmaid, Tristans Herrin erfährt
die dritte, letzte Wandlung zur Muse des Hans Sachs.« Die Verheißung des Weibes
aber, auf das Sachs-Wotan verzichtet und das Walther-Siegfried durch diesen Ver-
zicht gewinnt, ist eines der beiden Erlebnisse, deren das Weiterschaffen noch bedarf,
die Verheißung des Kunstsieges vor aller Welt das andere. Weil beide Verheißungen
Forderungen der schöpferischen Notwendigkeit sind, erfüllen sich beide: ein Königs-
wille bringt der Welt den Sieg zum Bewußtsein, und es kommt das Weib, das
Muse und Geliebte in einem ist.

Damit ist der Weg auch zur Vollendung des »Siegfried« beschritten. In der
Triebschener Einsamkeit reift der dritte Akt heran. Leben und Kunst klingen als
reine Harmonie ineinander. Wagner erreicht den Gipfelpunkt seiner Gestaltungskraft.
Das »Siegfried-Idyll «, äußerlich geweckt durch die Geburt des Sohnes, wird zum
innerlich bedingten Dankgesang an die Macht des Schöpferischen.

Mit der erreichten Meisterschaft wendet sich Wagner der Komposition der
»Götterdämmerung« zu. Sie ist freie Anwendung des Errungenen, befeuert durch
die Aufführungsidee: das Bayreuther Haus wächst dem Werke, dieses dem
Hause entgegen. Die gereifte Erkenntnis Wagners hat die Grundbedingungen ihres
Seins in der Welt des Theaters gefunden. Alles spezifisch Musikalische und spezi-
fisch Poetische wird abgewiesen, das Element des Mimischen bricht unverhüllt
hervor. Es wird eine Partitur geschaffen, die nichts ist und sein soll als Vortrags-
niederschrift für den Schauspieler. Wagners Schriften tragen stets das. Antlitz des
jeweilig entstehenden Werkes; die Schriften in der Zeit der »Götterdämmerung«
kennzeichnen die neue Einstellung, die zugleich das Ziel des bisherigen Weges be-
deutet: Drama ist für Wagner nun nichts als »fixierte mimische Improvisation«.
Vermöge seiner rein mimisch erfaßten Musik legt der Autor alle Ausdrucksregungen
fest und macht die Ausführenden zu willenlosen Akteuren. Der Autor selbst ist der
ewige, eigentliche Schauspieler, und Wagner erblickt darin mit Bewußtsein die
höchste Aufgabe des Autors schlechthin.

Was sich auf der eigenen Bühne begibt, ist nicht mehr Vorführung eines lite-
rarischen Objektes durch die Kunst der szenischen Darstellung, — diese selbst
wird zum Gegenstand und Inhalt des Spieles, für das die Literatur nur als An-
regung wirkt. Das Theater tritt heraus aus dem umgrenzten Gebiet der Reproduktion,
es wird zur Welt, zum Wahrtraum von der Wesenheit der Wirklichkeit.

Im Anschauen der erfüllten Lebenssehnsucht erwächst aus rückgewandter Über-
schau des ganzen Lebens: das Bühnenweihfestspiel. Die Bühne wird zum Altar des
Sehers. Das Theater spielt Theater. Es nimmt die Maske des Tempels, um sich die
Weihesteigerung zu geben, um an die Wirklichkeit seiner Unwirklichkeit glauben
zu lassen. Der Mime steigert sich zum Priester, Kunst »muß Religion werden, um
als solche ihre Glaubensforderung begründen zu können: die Forderung des Glaubens
an die Wahrhaftigkeit der Täuschungskunst«.

Die Gestalt des Parsifal ist die letzte sublimste Maske des großen Mimen. Ein
elementarer Wille ist zu seiner Vollendung gelangt, hat sich im Spiegelbilde des
eigenen Schaffens erblickt und durch diese Selbstschau erlöst. Da zerfällt der Zauber
und sein Gefäß vergeht.

Es besteht bis heute ein Streit um Wagner, der über eine polemische Ausein-
andersetzung zwischen Parteien nicht hinausgelangt ist und darum verurteilt war,
unfruchtbar zu bleiben. Erkenntnissuchende befriedigen sich jedoch nicht in Ein-
seitigkeiten oder Kompromissen, sondern suchen nach neuen Wegen zur Erkenntnis
 
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