Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 21.1927

DOI Artikel:
Prinzhorn, Hans: Rhythmus im Tanz
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14169#0289

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
RHYTHMUS IM TANZ.

277

worfen werden in dem Abschnitt, den wir nennen: »die Person als
Organ des Werkes«.

Einstweilen beschränken wir uns darauf, die Beziehung zwischen
Rhythmus und Tanz ganz allgemein durch parallel gelagerte Beziehungen
zu charakterisieren: auch in der Musik, der Dichtung, der Bildkunst,
der Baukunst werden wir ja wohl grundsätzlich im gleichen Sinne von
Rhythmus sprechen. Dennoch herrscht kaum ein Zweifel darüber, daß
in diesen Parallelfällen das Qewichtsverhältnis gleichsam zwischen der
Wirkungsmacht des Rhythmus und der Wirkungsmacht der Eigenkräfte
jener Kunstarten jedesmal ein anderes ist. Ohne uns auf eine verglei-
chende Betrachtung einzulassen, dürfen wir im Groben als ausgemacht
annehmen, daß im Tanz die Wirkungsmacht des Rhythmus auf ihrem
Höhepunkt ist, demnächst in Musik und Baukunst noch überwiegt, in
der Dichtung schwebenden Ausgleich mit dem Gegenpol (Sinngehalt
und Naturvorbild) erreicht, um in der Bildkunst von diesem ein wenig
übertroffen zu werden.

Diese Stufenreihe der Geltung, die der Rhythmus im Kunstwerk
hat, hängt zweifellos zusammen mit der Rolle, die der lebendige
Leib in den verschiedenen Künsten spielt. Tanz ist wesentlich Be-
wegung des Leibes und besteht nicht ohne ihn. Musik und Baukunst
verlieren viel, wenn sie auf den atmenden, schreitenden oder tanzenden
Menschen verzichten und reißen ihn doch noch virtuell mit hinein in
ihre schwingende wortlose Gliederung. Tiefste Dichtung vermag noch
einem völlig ruhenden Leibe durch müde Augen still einzuschlüpfen
und räumliche Bewegung in weiter Ferne zu lassen. Bildkunst aber
vermag gar im Menschen- oder Naturbild so etwas wie reines un-
wandelbares Sein zu verkörpern und dabei die rhythmische Schwingung
von Stift, Pinsel und Meißel als Entwicklungsspur sozusagen kristalli-
siert zur Schau zu tragen.

Daß dieser endgültige Abschluß des Werdeprozesses erreicht wird,
macht beinahe das Wesen des Bildkunstwerkes aus. Noch die spiele-
rische Augenblickskurve, die ein Maler träumend aufs Papier wirft,
kann durch Aufwendung von etwas Fixatif, Gold und einem Passe-
partout eine Art Verewigung in den Sammelschränken eines Museums
finden. Rhythmische Kurve wie Millionen andere, Ausdruck träumen-
den Lebens, einer persönlichen Formwelt und einer vorübergleitenden
Stimmung — und durch das Allerweltsmittel: Papier und Stift, un-
sterblich! Seltsame Auslese historischer Gnadenwahl!

Und demgegenüber im Tanz: nicht nur die Spuren der Vorarbeit,
des Ringens, sondern noch die meisterhafte Skizze, ja — wer ermißt
das Grauen dieser einfachen Tatsache — noch das vollendete Werk,
noch jene vielleicht tausende tief aufwühlenden oder gar wandelnden
 
Annotationen