Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 2.1908/​9

DOI Artikel:
Thiersch, Hermann: Antike Bauten für Musik, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19219#0094

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
80

wie heute. Vergl. Abert a. a. 0., S. 105—108, und E. Graf a. a. 0., S. 6 ff. Die ge-
fürchtete Verflachung trat auch tatsächlich ein. Ich zitiere nur einiges aus jener Schrift
des Aristoxenos (nach Westphal a. a. 0.):

«Krexos, Timotheos, Philoxenos und ihre Genossen streben in unwürdiger
Weise nach Neuem, indem sie sich dem Stile hingeben, der dem großen Publikum
gefällt.» «Wir aber wollen jetzt, wo die Theater in Barbarei versunken sind und diese
Musik des vulgären großen Publikums zu einer tiefen Stufe des Verderbnisses herab-
gekommen ist, hier in unserm nur Wenige umfassenden Kreise der alten Musik, wie
sie ehedem war, gedenken.» — Als ein Schüler fragt: «Aber was habe ich denn davon,
wenn ich den neuen Stil der Musik, der doch jetzt beliebt ist, ignoriere?*, antwortet
Aristoxenos bitter: «Dann wirst du seltener in den Theatern singen; denn es kann
nichts zugleich dem großen Publikum gefallen und alt sein». «Wo es nicht möglich
war, die Gesetze der Kunst festzuhalten und zugleich der Menge zu gefallen, da stellte
er die Kunst höher als den Beifall der Menschen.»

Ahnlich hatten andere schon vor ihm geklagt.1 Bei Pherekrates war die Musik
in Person aufgetreten, um sich über die unerträglichen Mißhandlungen durch die
Modernen laut und öffentlich zu beklagen. Aristophanes ist ihr Modulieren ebenfalls
unerträglich: man meint einem kribbelnden Ameisenhaufen ([topppual 6§oi) gegenüber
zu sein! Aus allen möglichen Einzelmotiven und Stimmungen ist diese raffinierte Ton-
malerei zusammengeschustert (mcaxö.p,ata). Es ist kein einheitlicher Zug mehr in dieser
rcalo^opät« und iroXocpiövia I Das kommt eben alles von der ftsatpoxpaua (Plato), es ist
nichts mit dieser axijvnt^ und ttocxiXt] \t.owixq!

Sparta, die alte Musikhauptstadt, ganz im Gegensatz zu Athen, der modernen,
wachte eifersüchtig über ihrem alten Erbteil: seine Ephoren wiesen Timotheos, den
gefährlichsten der Neuerer, den persönlichen Freund des Neuerers auf der Bühne,
Euripides, der z. B. drüben in Ephesos für ein einziges Lied mit 1000 Golddrachmen
honoriert worden war, als Geschmack und Charakter verderbend aus ihrer Stadt. Auch
Mantinea, eine andere wichtige Musikmetropole des Peloponnes, hielt sich um 340 v. Chr.
noch zur alten Weise. Damals lebte dort, wie schon erwähnt, Tyrtaios, ein eifriger Ver-
fechter der alten Art, und eben um dieselbe Zeit hielt sich auch Aristoxenos dort auf,
um den alten peloponnesischen Kanon genau kennen zu lernen. Später freilich aber
bekamen auch hier die Modernen, Timotheos und Philokles, die Oberhand (Plutarch, Poly-
bius; die Stellen zitiert bei Svoronos a. a. 0., S. 301 ff.). Vergl. oben S. 74 ff.

Das also ist der Standpunkt der älteren Zeit, das die Anschauung der Periode,
welche die kleinen Rundbauten für die alte heilige Musik schuf. Nichts verkehrter
also als sie verleugnen und verkennen in ihrer wahren Bestimmung, aus falscher,
anachronistischer Voreingenommenheit heraus, die sich antike Musik von vornherein
nicht anders als im Theater denken kann. Diese ältere Zeit rechnete keineswegs mit
großen Massen von Zuhörern, ihre Kunst galt einem auserlesenen kleinen Kreis und
ganz wie bei ihrer Schwester, der formal bildenden Kunst, vor allem dem Gott, nicht
den Menschen. Das ist der Grundunterschied zwischen der alten und der neuen Zeit. Die
Scheide zwischen der Strenge von vordem und dem Abflauen darnach liegt auch auf
diesem Kunstgebiet gerade rund um 400 v. Chr.

Die ganze ältere Musik der Griechen läßt sich vielleicht am ehesten unter den neueren

1 Vergl. E. Graf a. a. 0., S. 7 ff.
 
Annotationen