Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 2.1908/​9

DOI Artikel:
Ermers, Max: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Architekten Raffael
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19219#0149

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Architekten Raffael. 135

Im allgemeinen sind wir doch nicht gewöhnt, zu fragen, wer in die Gemälde großer
Künstler die Bauten hineingemalt habe. Bei Baffael liegt die Sache anders. Die nahen
Beziehungen zu Bramante, eine unklare, widerspruchsvolle Behauptung Vasaris, und die
Historiographen Raffaels im 19. Jahrhundert haben mehr Dunkel als Licht in diese
Frage gebracht, die — wenigstens vom architekturgeschichtlichen Standpunkte betrachtet
— keine bedeutungslose ist. Urkundliches darüber besitzen wir nicht.

Vielleicht kommen wir einen Sehritt weiter, wenn wir der Bedeutung dieses Bau-
werks ein wenig nachspüren; übrigens herrschen darüber keine allzugroßen Meinungs-
differenzen. Die meisten sind mehr oder weniger geneigt, diese Architektur, die vielfach
an Bramantes Entwürfe für St. Peter erinnert, damit in Zusammenhang zu bringen.
Doch sprechen sich gerade hierin die wenigsten Forscher präzise aus und ergehen sich
mehr in vagen Vermutungen, die fast durchweg auf Passavant zurückgehen. «So liegt
die Vermutung nahe», schreibt dieser auch heute noch nicht ganz veraltete und viel-
fach noch ausgeschriebene Autor1, «daß die prachtvollen hier dargestellten Hallen uns
einen Begriff von des großen Baumeisters Plan geben, wie er das Innere der Peters-
kirche zu bauen beabsichtigte.» Doch hat dieser Gedanke, wie wir- weiter unten sehen
werden, nur ganz approximativen Wert. Herman Grimm2, der im Bilde gar «die
Peterskirche in ihrer einstigen Vollendung» sieht, begründet seine recht irrige Meinung
nicht näher. Springer3, der sich bei weitem nicht so präzise ausdrückt, sieht hierin
bloß «das reine Urbild der Peterskirche versinnbildlicht». Dieser Gedanke gewinnt
schon viel mehr an Wahrscheinlichkeit.

Am 18. April 1506 war der Grundstein von Neu - St.-Peter am Veronikapfeiler
gelegt worden, am gleichen Tage gab ein Breve Julius II. dem König von England
und noch vierzig anderen großen Persönlichkeiten Nachricht von dem bedeutsamen
Ereignisse. Denkmünzen aller Art gaben nach allen Weltgegenden Kunde von der
Instauracio Templi Petri, von dem großen Bauherrn, von dem großen Baumeister.4 Am
16. April 1507 legte der Erzbischof von Tarent den Grundstein für die anderen drei
Kuppelpfeiler. Im Sommer des nächsten Jahres kommt Raffael nach Rom. Ein Geschehnis
von solch ungeheurer Tragweite wie der Bau der neuen Weltkirche konnte nicht ver-
fehlen, den tiefsten Eindruck auf den jungen Künstler zu machen ; und nun erst gar,
wenn der große Meister dieses Baues sein eigener Freund und Lehrer war. Auch daß
Bramante den Bau nicht nach seinen schönsten Intentionen ganz erstellen konnte,
sondern gezwungen war, die divergierenden Wünsche aller Beteiligten und Unbeteiligten
zu berücksichtigen, und oftmals seine besten Pläne, nicht zu Gunsten der allgemeinen
Bauharmonie, abändern mußte, konnte Raffael nicht unbekannt bleiben. Es wäre nicht
zu verwundern, wenn er in seiner angeborenen Pietät dem idealsten Entwürfe Bra-
mantes, dessen Ausführung die Ungunst der Umstände verhinderte, hier ein bleibendes
Denkmal zu setzen beabsichtigte. Oder sollte vielleicht Bramante hier gar selbst die
Rettung seines schönsten Entwurfes versucht haben?

Die früheste Notiz gibt uns Vasari, der diesmal mit doppelter Vorsicht zu lesen
ist, da er die Fresken der Camera della Segnatura sehr ungenau studiert hat und sie

1 Passavant, Raphael von Urbino, Bd. I, pag. 160.

2 Grimm, Raphael, pag. 364. — 3 Springer, Die Schule von Athen, pag. 53.

4 Sogar Dürer hat von dem Neubau gewußt und sich dessen Maße mitteilen lassen; auch hat er des-
sen Fassadenentwurf mehrmals in seinen Kompositionen verwendet. In einer späteren Arbeit davon mehr.
 
Annotationen