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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 2.1908/​9

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Dammann, Walter Heinrich: Der Ursprung des Haubenturmes
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https://doi.org/10.11588/diglit.19219#0204

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190 Walter H. Dammann.

Materialsicherheit, von der reinen, großzügigen Formenbildung, von der monumentalen
Beschränkung der Ausdrucksmittel, die die gleichzeitigen, ja auch die weit älteren
schlesischen und sächsischen Holzkupfertürme als so charakteristische, edle Kunstwerke
erscheinen läßt? Bei keinem einzigen dieser Türme zeigt sich der Gedanke des Holz-
kupfersystems zielbewußt durchgebildet: Steinglieder, in Holz oder Stein ausgeführt,
wechseln mit Zimmermanns- und Tischlerformen regellos durcheinander. Die Türme
machen nicht den einheitlichen Eindruck von Mauer- oder Zimmerkonstruktionen; sie
scheinen geschmiedet, gedrechselt, gepappt, geknetet, — kurz, sie entlehnen jeglichem
Handwerk ihren Zierrat. Kugeln, Pyramiden, Obelisken, Voluten, Galerien, Baluster,
Säulen und allerlei unnennbare Bildungen beliebiger Willkür machen den bunten Aufputz

eines solchen Turmes aus und erteilen
seiner Umrißlinie eine planlose, selten an-
mutige Zickzackbewegung. Jene gestelzte
Zwiebel, wohlweislich auf kleinen Maß-
stab zurückgeführt, bildet bisweilen den
obersten Abschluß; nicht selten wird sie
nur durch ein phantastisches Rippenge-
bilde angedeutet, so z. B. in Naarden,
Oudenaerde, Amersfort, Harlem und
Leyden.

Neigung zu allerlei spielerischem Auf-
wände solcher Art findet sich außerhalb
der Niederlande etwa in Kopenhagen, wo
der niederländische Einfluß besonders
stark war: man erinnere sich des Drachen-
turmes der Börse oder, aus jüngerer Zeit,
der absonderlichen Spirale der Erlöser-
kirche. Ganz im Sinne eines niederlän-
dischen Turmes ist der Hofturm von Fre-
Abbildung 9. Nikolai-Kirche in Greifswald. deriksborg mit seinen kugelfüßigen Eck-

obelisken gestaltet; besser, aber von eigen-
tümlich gezerrter Bildung der Hauptturm von Kronborg; trefflich, aber einfach: die
Türme von Rosenborg.

Wo aber hätte in Schlesien solches Unwesen auch nur die geringste Bedeutung
gewonnen? Schon um 1560 soll ein Italiener, der damit beschäftigt war, in ausgebreiteter
Tätigkeit den Barbaren die Kunst seines Volkes vorzuführen, bei weit dahergereisten,
als Künstler seinen Landsleuten zu jener Zeit noch entfernt nicht gleichgeachteten
Niederländern in die Schule zu gehen sich herbeigelassen haben? Solange diese Be-
hauptung nicht durch einen unanfechtbaren Nachweis gestützt ist, muß es erlaubt sein,
an ihrer Richtigkeit zu zweifeln. Weit besseres Verständnis für die fragliche Erscheinung
vermittelt der schlesische Wegweiser in jenem Abschnitte, den Lutsch betitelt: «Brieg
unter unmittelbarem italienischen Einflüsse».

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts gewinnt auch in Schlesien der niederländische
Kunsteinfluß an Bedeutung. Wenn man will, mag man ihn auch in der Turmgestaltung
jener Zeit nachweisen; in den teils derb-wulstigen, teils schematisch-trockenen Formen der
 
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