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Schluß zwingend, daß einerseits die große Last des Lehmdachs, andrerseits die Mauer-
dicke der vorspringenden Anten dazu führte, einen sehr starken Epistylbalken von Ante
zu Ante zu spannen, und daß sich hieraus eine entsprechend große Säulendicke ergab.
Die am Antentempel oder Pronaosbau erwachsenen und erprobten Verhältnisse wirkten
dann im Peripteralbau fort.
Wir kennen die dorische Säule aus dem Steinbau. Je früher sie auftritt, um so mäch-
tiger sind ihre Verhältnisse, um so stärker ist die Ausladung des Kapitells; erst nach Jahr-
hunderten verliert die dorische Säule ihre ursprüngliche Schwere. Aber dieser Steinsäule
ist eine hölzerne Säule voraufgegangen. Müßte sich nicht auch auf diese, und auf diese
zunächst, das beziehen, was in dem angeführten Aufsatz zur Geschichte der Entstehung
des dorischen Stils gesagt ist? Ging das Säulen Verhältnis aus der Konstruktion hervor,
muß nicht auch die Holzsäule schon hiervon beeinflußt gewesen sein?
Diese Betrachtung ist sehr geeignet, der Meinung Vorschub zu leisten, die Holz-
säule sei im wesentlichen ebenso gebildet gewesen wie die spätere Steinsäule, und von
dieser aus lasse sich auf die Gestalt der hölzernen Vorgängerin zurückschließen. Wie
irrig diese Meinung ist, wollen die folgenden Zeilen darzulegen versuchen.
Daß eine solche Vorstufe der dorischen Säule bestanden hat, wissen wir aus der
Baugeschichte des Heraions. An diesem Tempel wurden die alten Holzsäulen nach
und nach durch dorische Steinsäulen ersetzt. Es gab also eine Zeit, wo nebeneinander
Holzsäulen und dorische Steinsäulen unter demselben Holzgebälk als gute Nachbarinnen
standen. Wie sahen aber diese alten Holzsäulen aus, und hat es überhaupt eine so-
zusagen dorische Holzsäule gegeben, in deren Kapitellform das dorische Kapitell vor-
gebildet war? Ich stehe nicht an, die letzte Frage entschieden zu verneinen — ein
dorisches Kapitell in Holz hat, in jenen Anfangszeiten, nicht existiert, und die Holzsäulen,
die am Heraion durch Steinsäulen abgelöst wurden, haben sicherlich ganz anders aus-
gesehen als ihre steinernen Nachfolgerinnen. Mir scheint, daß Dürrn1 derselben Meinung
ist, wenn er von der Einführung der ägyptischen Steinsäule spricht, ohne Vermutungen
darüber zu äußern, wie die Holzsäule, die der Steinsäule vorausging, etwa gestaltet war.
Es könnte einem Techniker überhaupt müßig erscheinen, daß man dies negative Resultat
noch besonders begründet. Ich kann dies trotzdem nicht für überflüssig halten, da
viele, je mehr sie sich mit der zu Anfang angeführten Dörpfeldschen Auseinander-
setzung einverstanden wissen, um so geneigter sind, nun auch für die dorische Stein-
säule die Vorgängerin im Holzbau zu suchen. Ich bekenne, daß ich selber bei der
Rekonstruktion eines Tempels der «gemischten Bauweise» ein dorisches Holzkapitell in
der Zeichnung angedeutet habe2, und auch Choisy3 schreckt vor der Annahme einer
dorischen Holzsäule nicht zurück. Nein, das dorische Kapitell hat mit dem Holzbau
nicht das geringste zu tun. Die Natur des Baustoffes schließt eine solche Gestaltung
geradezu aus. Erst in Nachahmung des Steinbaus kann eine solche Form dem Holz
aufgezwungen werden, und auch dies erst, wenn die handwerkliche Fertigkeit auf hoher
Stufe steht, und wenn der Holzdrechsler sich in dies zunächst dem Zimmermann ge-
hörende Gebiet einmischt. Handelt es sich aber um Kapitelle sehr großen Maßstabes,
so ist die Herstellung in PIolz überhaupt unmöglich.
1 Handbuch der Architektur. II. Baustile. I. Bd. Baukunst der Griechen. 2. Aufl. 1892.
2 Antike Denkmäler herausgegeben vom Deutschen Archäologischen Institut II, Tat'. 49.
3 Histoire de l'architecture I, S. 300 ff.
Schluß zwingend, daß einerseits die große Last des Lehmdachs, andrerseits die Mauer-
dicke der vorspringenden Anten dazu führte, einen sehr starken Epistylbalken von Ante
zu Ante zu spannen, und daß sich hieraus eine entsprechend große Säulendicke ergab.
Die am Antentempel oder Pronaosbau erwachsenen und erprobten Verhältnisse wirkten
dann im Peripteralbau fort.
Wir kennen die dorische Säule aus dem Steinbau. Je früher sie auftritt, um so mäch-
tiger sind ihre Verhältnisse, um so stärker ist die Ausladung des Kapitells; erst nach Jahr-
hunderten verliert die dorische Säule ihre ursprüngliche Schwere. Aber dieser Steinsäule
ist eine hölzerne Säule voraufgegangen. Müßte sich nicht auch auf diese, und auf diese
zunächst, das beziehen, was in dem angeführten Aufsatz zur Geschichte der Entstehung
des dorischen Stils gesagt ist? Ging das Säulen Verhältnis aus der Konstruktion hervor,
muß nicht auch die Holzsäule schon hiervon beeinflußt gewesen sein?
Diese Betrachtung ist sehr geeignet, der Meinung Vorschub zu leisten, die Holz-
säule sei im wesentlichen ebenso gebildet gewesen wie die spätere Steinsäule, und von
dieser aus lasse sich auf die Gestalt der hölzernen Vorgängerin zurückschließen. Wie
irrig diese Meinung ist, wollen die folgenden Zeilen darzulegen versuchen.
Daß eine solche Vorstufe der dorischen Säule bestanden hat, wissen wir aus der
Baugeschichte des Heraions. An diesem Tempel wurden die alten Holzsäulen nach
und nach durch dorische Steinsäulen ersetzt. Es gab also eine Zeit, wo nebeneinander
Holzsäulen und dorische Steinsäulen unter demselben Holzgebälk als gute Nachbarinnen
standen. Wie sahen aber diese alten Holzsäulen aus, und hat es überhaupt eine so-
zusagen dorische Holzsäule gegeben, in deren Kapitellform das dorische Kapitell vor-
gebildet war? Ich stehe nicht an, die letzte Frage entschieden zu verneinen — ein
dorisches Kapitell in Holz hat, in jenen Anfangszeiten, nicht existiert, und die Holzsäulen,
die am Heraion durch Steinsäulen abgelöst wurden, haben sicherlich ganz anders aus-
gesehen als ihre steinernen Nachfolgerinnen. Mir scheint, daß Dürrn1 derselben Meinung
ist, wenn er von der Einführung der ägyptischen Steinsäule spricht, ohne Vermutungen
darüber zu äußern, wie die Holzsäule, die der Steinsäule vorausging, etwa gestaltet war.
Es könnte einem Techniker überhaupt müßig erscheinen, daß man dies negative Resultat
noch besonders begründet. Ich kann dies trotzdem nicht für überflüssig halten, da
viele, je mehr sie sich mit der zu Anfang angeführten Dörpfeldschen Auseinander-
setzung einverstanden wissen, um so geneigter sind, nun auch für die dorische Stein-
säule die Vorgängerin im Holzbau zu suchen. Ich bekenne, daß ich selber bei der
Rekonstruktion eines Tempels der «gemischten Bauweise» ein dorisches Holzkapitell in
der Zeichnung angedeutet habe2, und auch Choisy3 schreckt vor der Annahme einer
dorischen Holzsäule nicht zurück. Nein, das dorische Kapitell hat mit dem Holzbau
nicht das geringste zu tun. Die Natur des Baustoffes schließt eine solche Gestaltung
geradezu aus. Erst in Nachahmung des Steinbaus kann eine solche Form dem Holz
aufgezwungen werden, und auch dies erst, wenn die handwerkliche Fertigkeit auf hoher
Stufe steht, und wenn der Holzdrechsler sich in dies zunächst dem Zimmermann ge-
hörende Gebiet einmischt. Handelt es sich aber um Kapitelle sehr großen Maßstabes,
so ist die Herstellung in PIolz überhaupt unmöglich.
1 Handbuch der Architektur. II. Baustile. I. Bd. Baukunst der Griechen. 2. Aufl. 1892.
2 Antike Denkmäler herausgegeben vom Deutschen Archäologischen Institut II, Tat'. 49.
3 Histoire de l'architecture I, S. 300 ff.