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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 2.1908/​9

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https://doi.org/10.11588/diglit.19219#0281

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Literatur.

das Heilige Geist-Hospital und zwei ihm zugehö-
rige und angegliederte Wohnhäuser aus gotischer
Zeit, also sämtlich Häuser, die in engster Be-
ziehung zur Kirche stehen. Es drängt sich da-
her ungezwungen die Vermutung auf, diese Bau-
ten hätten absichtlich den reicheren Formen des
Bürgerhauses entsagt, um ihren geistlichen Cha-
rakter schon äußerlich zu dokumentieren. Struck
glaubt zwar, das Spital habe ehemals Staffeln ge-
habt; indessen sie müßten sehr früh wieder abge-
nommen sein, denn mit den heutigen, die Schiffe
flankierenden Türmen, die nicht viel jünger sind als
das Spital selber, können sie nicht gleichzeitig be-
standen haben. Zudem zeigt das Lübecker Hospital
eine kaum zufällige Ähnlichkeit mit dem ebenfalls
schulterlosen Poterie-Spital in Brügge (Berühmte
Kunststätten VII, 62), und auch das Genter Spital
der Biloque (Ber. Kunstst. XIV, 62) steht dem Lü-
becker nicht fern; wir werden es also wohl mit
einem feststehenden Typus zu tun haben, der wie
das ganze Bruderschaftswesen in Holland seine
erste und durchschlagende Ausbildung gefunden
hat. Merkwürdige Ähnlichkeit in der Giebelbil-
dung zeigte früher auch die in unmittelbarer Nähe
gelegene Jakobikirche; die Kapellendächer ihres
einen Seitenschiffes waren in fast der gleichen
Weise mit Türmen bewehrt. (Dehio macht im
Handbuch I noch auf Tounere in Burgund als
nahverwandt aufmerksam, er sagt aber nicht, ob
er Grundriß oder Fassade meint.)

Als dritte Form der alten Giebelhäuser sind
endlich diejenigen anzusprechen, deren Giebel
durch zwei tief einschwingende Linien begrenzt
wird. Diese Bogenform ist kaum, wie Struck
meint, aus verstümmelten Staffeln hervorgegangen,
sondern eine selbständige Gruppe, die auf dem
erwähnten Holzschnitt zahlreich vertreten ist.
Auch ist das abschließende Giebeldreieck nicht
erst im Klassizismus aufgesetzt, sondern schon
in der Benaissance.

Diese drei Gruppen — Staffel-, Spitz- und
Bogengiebel — charakterisieren in weit über-
wiegendem Maße das alte lübsche Bürgerhaus.
Daneben aber haben nach Ausweis des zitierten
Prospektes noch drei kleinere Gruppen bestanden,
die sich von den genannten grundlegend unter-
scheiden. Struck behandelt sie nur sehr nebenbei.
Es ist . daher notwendig, seine Darstellung hier
mit einigen dem Holzschnitt entnommenen Teil-
Zeitschrift für Geschichte; der Architektur. II.

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aufnahmen zu ergänzen. Zunächst kann von
einer «ähnlichen» Giebelform nicht die Bede sein,
denn das Gemeinsame dieser drei Gruppen ist,
daß sie keinen Giebel besitzen, sondern «wand-
artig» in der gleichen Breite aufsteigen.

Die einfachste Form ist die häufigste: Das
Haus, dessen Fassade im wesentlichen in einer
Ebene liegt, schließt mit einem Zinnenkranz ab.
Siehe Abbildungen 1—3.

Die zweite Gruppe ist im Holzschnitt nur von
hinten zu sehen. Die Fassade dürfte sich kaum
geändert haben, aber sie wird in ihrem oberen
Abschluß durch kleine Türmchen belebt. Siehe
Abbildungen 4 und 5.

Die dritte Gruppe gibt die in einer Ebene
liegende Fassade auf, indem sie diese durch drei
ein wenig vortretende, runde Türme gliedert (die
Gestalt des mittleren freigestellt). Die Türme
überragen die Front nur gering. Siehe Ab-
bildungen 6 und 7.

Von diesen Häusern hat sich keins erhalten;
waren sie schon anfangs in der Minderzahl, so
verschwanden sie wohl bald ganz. Die Zukunft
gehörte in Lübeck dem Treppengiebelhaus. In
diesem Typus vollzieht sich auch die weitere
Entwicklung.

In der Benaissance geht Lübeck seine eigenen
Wege. Während Hamburg, Bremen und Dan-
zig durch den mächtigen holländischen Einfluß
mehr oder weniger aus ihrer Entwicklung her-
ausgedrängt werden, baut Lübeck seine alten
Traditionen weiter aus: dem verfeinerten Wohn-
bedürfnis wird in Neubauten durch die Einlage
eines Zwischengeschosses zwischen Giebel und
Erdgeschoß entsprochen und dem Vertikalsystem
des Giebels ein stärkeres Widerspiel in den brei-
ten horizontalen Bändern gegeben, auf denen sich
in der Mitte des 16. Jahrhunderts öfter die Terra-
kottakunst des Statius von Düren ausbreitet. Ein
Hauptkennzeichen der Benaissance aber, die Glie-
derung der Fassade durch antike Säulen- und
Pilasterordnungen, fehlt in Lübeck so gut wie
ganz; nur Statius von Düren hat in gebranntem
Ton etwas Ähnliches versucht.

Ganz frei aber hat sich auch Lübeck vom
holländischen Einfluß nicht halten können ; ein-
zelne städtische Bauten wie das Zeughaus (1594)
oder der Vorbau (1570) und die Treppe (1594)
am Bathaus zeigen ihn in ausgeprägter Art; am

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