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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 2.1908/​9

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270

Bürgerhause aber ist man — abgesehen vom
Portal — selten über eine sporadische Verwen-
dung des Hausteins hinausgegangen. Holländischer
Einfluß anderer Art zeigt sich vielleicht noch in
dem Hause Abbildung 99: Die schmale aufge-
reckte Gestalt, die durchlaufenden Pflaster, das
Giebeldreieck, die großen breiten Fensler, die
Reduktion des Giebels weisen von ferne auf das
Vorbild Ph. Vingboons, d. h. bei uns etwa auf die
Zeit um 1700; Struck setzt das übrigens sehr
ärmliche Haus 100 Jahre später an.

Im Zeitalter des Barock verändert sich die
Physiognomie des Treppengiebelhauses zum ersten-
mal in durchgreifender Weise: die scharfen Staf-
feln passen nicht mehr in das veränderte Form-
gefühl; schwere Voluten nisten sich ausgleichend
in den Winkeln ein, bis diese bald ganz ver-
schwinden und der hohe Lagergiebel immer mehr
zu Gunsten des Wohnbaus zusammensinkt.

Der Klassizismus endlich bringt auch den
letzten Rest des Staffelgiebels, den das Rokoko
noch geduldet hat, zu Fall. Um das Jahr 1800
ist die Rolle des alten lübschen Bürgerhauses
ausgespielt. —

Strucks Buch bietet einen wertvollen Beitrag
zu den Forschungen über die niederdeutsche
Backsteinbaukunst, und die gelegentlichen Aus-
stellungen, die hier gemacht sind, haben gegen-
über den vielen treffenden und scharfen Beobach-
tungen des Verfassers nur beiläufige Bedeutung.
Die Darstellung selber wird unterstützt durch ein
reiches Abbildungsmaterial, in dem die Gater-
mannschen Zeichnungen besondere Hervorhebung
verdienen. Alles in allem kann man nur wün-
schen, daß sich die folgenden «Veröffentlichungen
des Vereins für Heimatschutz in Lübeck» auf
dieser Höhe halten.

Nürnberg. Dr. H. Stierling.

Professor Dr. Paul Weber, Professor der
Kunstgeschichte an der Universität Jena: I. Bau-
geschichte der Wartburg und II. Alte und
neue Kunstwerke auf der Wartburg. (Son-
derabdrücke aus: Die Wartburg. Ein Denk-
mal deutscher Geschichte und Kunst. Dargestellt
in Monographien und in 706 authentischen Ab-
bildungen im Text und auf 54 Tafeln.) Berlin,
Historischer Verlag Baumgärte], 1907. Gr.-Fol.
S. 47-165 und 591—636.

Zu den köstlichsten und stattlichsten Resten

mittelalterlichen Profanbaues — insbesondere der
romanischen Epoche — zählt die nahezu zu einem
Nationalheiligtume gewordene Wartburg. Sage und
Legende umweben den fürstlichen Wohnsitz mit
erquickendem Dufte und pflanzen den vor ge-
schichtlicher Kritik nicht bestehenden Sängerkrieg
oder die rührend mildherzige Gestalt der from-
men Burgfrau, der heil. Elisabeth, ins Gedenken
der Generationen. Hier vollzieht in stiller Ein-
samkeit Martin Luther die große Geistestat der
Bibelübersetzung, hier loht 1817 in dem denk-
würdigen Wartburgfeste die Begeisterung der
deutschen Jugend für Volk und Vaterland opfer-
froh und hingebungsfreudig empor. So umrauscht
seit der Blütezeit ritterlicher Kultur geschichtliche
Weihe ganz besonderer Art die auch landschaft-
lich wundersam gelegene Stätte, an deren ewiger
Denksäule — um mit Ludwig Bechstein zu reden —
«ein Jahrhundert nach dem andern schmückende
Kränze aufgehangen».

Diesem Aufhängen geht das von dem Groß-
herzoge Karl Alexander von Sachsen-Weimar -
Eisenach dem deutschen Volke gewidmete Monu-
mentalwerk über die Wartburg nach, an dessen
Monographien außer dem genannten Fürsten
Richard Voß, Karl Wenck, Paul Weber, Ernst
Martin, Wilhelm Oncken, Max Baumgärtel, Otto
von Ritgen und August Trinius teilhaben. Ihre
tief eindringende Sachkenntnis behandelt alle
Fragen der Geschichte, Sage und Dichtung, den
Minnesang in Thüringen und. den Sängerkrieg,
die Gestalten der heiligen Landgräfin und des
großen Reformators und selbstverständlich gründ-
licher und zuverlässiger, als es bisher je geschehen,
die Geschichte des in seiner Art wirklich groß-
zügigen Baues, seiner Wiederherstellung und
künstlerischen Ausschmückung.

Die zuletzt umschriebene Aufgabe ist der eben
so bewährten als scharfsinnigen Darstellungskunst
Paul Webers zugefallen, der aus der genauesten
Kenntnis des Denkmälerbestandes und unter Her-
anziehung der aus Rechnungsbüchern und Bau-
akten fließenden urkundlichen Zeugnisse ein in
allen Einzelheiten verläßliches und zugleich un-
gemein anschauliches Bild der Baugeschichte der
großartigen Burganlage zu entwerfen weiß.

Nach Weber haben an der äußeren Erschei-
nung des Baues drei Epochen besonderen Anteil:
am Landgrafenhaus, dem wunderbaren Palas der
 
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