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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

DOI Artikel:
Dehio, Georg: Über die Grenze der Renaissance gegen die Gotik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0145

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

herausgeber:
Professor Dr. Max Gq. Zimmermann

Verlag von e. a. seemann in Leipzig, Gartenstrasse 15

Neue Folge. XI. Jahrgang.

1899/1900.

Nr. 18. 15. März.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblalt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
hindlungkeine Oewähr. Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasen -
stein 81 Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

UBER DIE GRENZE DER RENAISSANCE GEGEN
DIE GOTIK
von G. Dehio

Das ablaufende Jahrhundert hat keinem Gebiet der
Kunstgeschichte mehr Liebe und Arbeitseifer zuge-
wandt als der Renaissance. Das Schlussergebnis aber
muss ein seltsames genannt werden. Es ist Infrage-
stellung des Grundbegriffes. Immer mehr Stimmen
werden laut, die ihn dringend der Reform für bedürftig
erklären; es sei ein unvollständiger Begriff gewesen,
womit wir uns bisher behalfen; er müsse inhaltlich
tiefer genommen und darum auch in seinen histori-
schen Grenzen weiter gefasst werden.1)

Der hiermit für überlebt erklärte Begriff war aus-
gegangen von der Umwälzung der Architektur unter
dem Einfluss der Antike; dann wurden die Schwester-
künste angeschlossen; endlich als gemeinsamer Unter-
grund eine spezifische Renaissancekultur entdeckt.
Alles dies Erzeugnis und Eigentum des modernen
italienischen Geistes, aber mannigfach gefärbt durch

1) Allein das verflossene Jahr hat drei hierauf bezüg-
liche Reformschriften gebracht: August Schmarsow, Reform-
vorschläge zur Geschichte der deutschen Renaissance (Be-
richte der k. sächsischen Gesellsch. d. Wissensch. 1899);
Erich Haenel, Spätgotik und Renaissance, Stuttgart 1899;
Kurt Moriz-Eichborn, Der Skulpturencyklus in der Vor-
halle des Freiburger Münsters, Strassburg 1899. — Die
folgende Erörterung beschäftigt sich nur mit dem allge-
meinen, allen drei Arbeiten gemeinsamen Problem. Auf
die Einzelheiten, auch wo sie zu kritischem Widerspruch
auffordern, gehe ich nicht ein. Ein viertes, ebenfalls 1899
erschienenes und in denselben Gedankenkreis gehörendes
Buch, das von Max Gg. Zimmermann über Giotto, habe
ich nicht herangezogen, da der entscheidende zweite Band
noch aussteht. Doch ist schon zu erkennen, dass Zimmer-
mann's Geschichtsauffassung eine prinzipiell andere ist, als
bei den obigen drei, mindestens für Italien; denn er will
(S. 2) den Nachweis führen, »dass Giotto und die Pisaner
Bildhauer nicht, wie die herrschende Meinung ist, eine Art
von Vorrenaissance bilden , sondern als höchste Blüte des
Mittelalters aufzufassen sind« — Sätze, denen ich durchaus
zustimme.

die »Wiedergeburt des Altertums«, was hier in Italien
jedoch nichts anderes war, als das Zurückgreifen auf
die nationale Vergangenheit. Später trat noch eine
deutsche, französische u. s. w. Renaissance hinzu, als
Umbildung der nordischen Kunst und Kultur unter
italienischem Einfluss. Wie mau sieht, lässt diese
Begriffsbildung an innerer Präzision und straffer,
konzentrischer Fügung nichts zu wünschen übrig.
Etwas ganz anderes ist diejenige -nordische Renais-
sance«, von der man seit zehn bis fünfzehn Jahren
bei uns zu sprechen begonnen hat. Sie soll gerade
das selbständige Erwachen des modernen Geistes in
der Kunst der germanischen Völker — von den van
Eycks an oder, wie neuestens behauptet wird,
noch früher bedeuten und die neugeschaffene
Gesamtrenaissance soll bis zum Beginn der »archäo-
logischen Renaissance«, d. h. bis zum Ende des 18.
Jahrhunderts dauern.')

Lassen wir die Benennungsfrage einstweilen bei-
seite. Sachlich enthält die These etwas unbestreitbar
wahres und einen wertvollen Fortschritt der historischen
Ansicht. Die Kunst des fünfzehnten Jahrhunderts ist
auch im Norden nicht mehr einfach Mittelalter, sie
befindet sich zum italienischen Quattrocento nicht im
Gegensatz, wie man es früher darzustellen liebte,
sondern in Parallele. Indem wir dieses SachVerhältnis
anerkennen und wer wird es nicht anerkennen?
geben wir auch das Bedürfnis zu, ihm in der stil-
geschichtlichen Terminologie einen passenden Aus-
druck zu verschaffen. Über die Problemstellung also
werden wir alle einig sein. Dass aber die vorge-
schlagene Übertragung des Namens Renaissance eine
gute Lösung sei, bestreite ich sehr entschieden.

Betrachten wir sie zuerst von der Zweckmässig-
keitsseite her. Da ist doch wohl eine der beherzigens-
wertesten Warnungen für jede wissenschaftliche Ter-
minologie: quieta non movere. Wenn einem stilisti-
schen Terminus, der lange Zeit unverändert im Gebrauch
gewesen ist — in unserem Falle so lange, als es eine
Kunstwissenschaft giebt — ein neuer Sachinhalt unter-

1) Schmarsow, a. o. O. S. 75.
 
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