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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

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Schmarsow, August: Über die Grenze der Renaissance gegen die Gotik
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0219

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421

Bücherschau.

422

Italien als naheliegendes Vehikel für das erwachende
Streben, als willkommener Jungbrunnen zur Wieder-
geburt des ganzen Menschen. Die Völker diesseits
der Alpen sind nicht so glücklich daran. Die Lehr-
meisterin Antike fehlt. Aber sollen wir deshalb
leugnen, dass auch hier das Naturgefühl erwacht,
und den einzigen offenstehenden, wenn auch dornen-
vollen Weg entschlossen genug einschlägt, eben die
unmittelbare Rückkehr zur Natur, soweit sie möglich
ist. So wahr alle Kunst auf dem Können sich gründet,
muss auch hier die Tradition ihre Macht behaupten.
Nur Erlerntes kann weiter helfen, also die Technik
und Formensprache des gotischen Mittelalters zunächst,
wie in Italien auch (Ghiberti), und darüber hinaus
die Umgestaltung im Sinne der Wahrheit und Wirk-
lichkeit, oder Realismus und Individualismus wie die
Gelehrten sagen. Wir brauchen gar kein anderes
Prinzip als das Eine, aus dem sie beide hervor-
wachsen; denn es ist der künstlerische Ausdruck für
denselben Prozess, den wir im Süden beobachten,
für die Rückkehr zum echt Menschlichen, für die
Selbstbefreiung im Angesicht der Natur und die
Wiedergeburt des neuen Geschlechts in die ewigen
angestammten Rechte der irdischen Kreatur. Freilich
kein Zurückgreifen über die gotische Kunstlehre ins
Romanische und weiter ins Römische; aber auch hier
unverkennbar der neue Sinn. Und wie alle Formen-
sprache im Einzelnen nur eine variable Erscheinungs-
weise, ein Mittel zur Versinnlichung ist, — d. h. für
unsere Begriffsbestimmung nur ein Sekundäres be-
deutet, — so wundern wir uns nicht, wenn im sech-
zehnten Jahrhundert auch die Formensprache der
Italiener versucht, mehr oder minder adoptiert, d. h.
auch recht energisch adaptiert wird. Diese Schale
giebt uns das Verständnis nie, sondern nur der Kern;
auch diese »Verwälschung« sollte uns nicht täuschen.
Die Hauptsache bleibt hüben und drüben dieselbe:
das unausgesetzte Bemühen zu Gunsten der sinnlichen
Anschauung und der Darstellung wirklicher Werte
des Daseins, in den Dingen um uns her, wie in des
Menschen Gestalt selber. Damit erklärt sich nicht
allein die wachsende Bilderfreude im Norden, sondern
auch das Übergewicht der bildenden Künste vor den
übrigen überhaupt Das echt künstlerische Verlangen,
die höchsten Werte der Geisteswelt nicht minder in
die sinnlich geniessbarste Form zu kleiden, auch
ethischen Gehalt voll und ganz zur Anschauung zu
bringen, damit er so schon die Augen ergötze, er
erklärt auch die Hinwendung zu dem plastischen
Ideal der Italiener und der Antike in den Tagen
eines Dürer, eine Wahl, die wieder mit der fort-
schreitenden Schulung im Sinne des Humanismus
und der Ausbildung des Geschmacks für anschauliche
Schönheit zusammenhängt. Ich bitte, diese Winke,
die bei solcher Kürze natürlich die volle Mitwirkung
des Lesers beanspruchen, mit dem Stückwerk zu ver-
gleichen, was Dehio giebt, und selber zu urteilen,
wo mehr Zusammenhang und Einheitlichkeit der
Gedankenarbeit zu finden sei.

Weshalb soll es nun nicht gestattet sein, auf die
Erscheinungen im Norden die nämliche Bezeichnung

zu übertragen, die wir im Süden gebrauchen, und
von einer nordischen Renaissance zu reden? Der
letzte Einwurf Dehio's lautet: »Dass etwas ganz Neues,
ganz Eigenes, wie die van Eyck'sche Kunst auch
Renaissance heissen soll, wird der gesunde Menschen-
verstand niemals acceptieren.« Ich glaube, die Auf-
fassung als Wiedergeburt des natürlichen Menschen
beseitigt jeden Anstoss, den gesundes Denken an dem
Fremdwort nehmen könnte. Und der Verstand des
Historikers wird sich sagen, dass diese deutsche
Übersetzung besser dem Sachverhalt entspricht, um
den es sich auch bei der van Eyck'schen Kunst
handeln kann, als die Behauptung Dehio's, sie sei
»etwas ganz Neues, ganz Eigenes.« Diese Ausdrücke
sind doch auch wohl nur relativ gemeint, auch die
van Eycks nicht ohne die Erbschaft des Mittelalters
erklärbar und ihr Eigenstes wohl am ehesten als
Rückkehr und Selbstbefreiung eines angestammten
Volkscharakters zu begreifen, der höchstens unter
neuen Bedingungen bisher verschlossene Seiten seines
Wesens entfalten lernt.

Nur Eine, nach rückwärts wie nach vorwärts klar
begrenzte, Periode will ich mit dem Namen Renais-
sance belegt wissen. Alle übrige Verwendung des
französischen Wortes ist bei uns nur Geistreichelei
und führt zu Widersinn, wie die »zweite Renaissance«
für das Zeitalter Goethe's, der Dehio das Wort redet,
nachdem er schon eine andere zweite, aber frühere,
die »romanische Renaissance« gefunden, von der er
weiterzählen müsste bis zur letzten. Auch dies war
schon in meinem Barock und Rokoko S. 39 scharf
genug ausgesprochen

Durchgehends macht sich bei Dehio's Bedenken
ein Fehler bemerkbar, den ich nicht unberührt lassen
darf: er sondert nicht hinreichend die »Periode der
Kunstgeschichte«, als historische Einheit, auf deren
Charakteristik es mir ankommt, von dem »Stil«, in-
sonderheit dem Stil in den tektonischen Künsten,
dessen Formensprache seinen Blick befängt.1) Die
Verständigung über die »Periode« der Kunst und
Kultur mit den durchgehenden Eigenschaften des
Geisteslebens ist eigentlich allein eine Angelegenheit
der Geschichtsauffassung im Grossen. Deshalb habe
ich die Namengebung für den Stil zunächst als
irrelevant bezeichnet und bin weit entfernt, sie zur
Hauptsache zu machen, wie Dehio, bei dem die
Lösung des Problems selbst darüber zu kurz kommt.
Von einer Ablehnung der »Schmarsow'schen Renais-
sancetheorie« kann vollends bei seinem Verfahren in
Bausch und Bogen nicht die Rede sein.

1) Auf die Einwände Dehio's (II) gegen meine Auf-
fassung der Baudenkmäler der sog. Spätgotik komme ich
! bei andrer Gelegenheit zurück.

BÜCHERSCHAU

Kunsthistorische Gesellschaft für photogpaphisehe
Publikationen. Fünfter Jahrgang 1899. Der Magda-
lenenaltar des Lukas Moser von Weil vom Jahre 1431 in
der Kirche zu Tiefenbronn.

Hatte sich die Gesellschaft, deren Veröffentlichungen
 
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