Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Echtheit: auch etwas zu Gerhart Hauptmanns Geburtstag
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0291

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Iahrg.26 ZweitesNovemberheft 1912 Heft4

Mchtheit

Auch etwas zu GerharL Hauptmanns Geburtstag

^^-rinnern Sie sich, meine Leser, der Zeit, da man Stanniolringe
F^und „Diaphanien" ans Fenster klebte, auf daß es wie Butzen
^^und Glasgemälde aussähe, gepreßte Pappornamente an die
Möbel, damit sie beschnitzt schienen, und eine Art umgekehrten
Tortenbelags aus Papiermachs an die Zimmerdecken, auf daß man
dort Plastik grüßen glaube? Ich habe mich über diese Zeit später
sehr oft lustig, aber als ganz junger Mensch habe ich sie immerhin
ein Weilchen mitgemacht. Daher kann ich mir die Stimmung noch
heute zurückrufen, in der ich das mit den Hunderttausenden tat:
einen echten Stil hatte es nicht mehr um uns gegeben, damals in den
sechziger Iahren: man war halt gar so bescheiden gemacht, durste man
mit den Flügeln schlagen, so meinte man jetzt, man flöge. Wie ber der
Butzenscheibenlyrik, wie bei den „historischen Romanen«, wie bei den
„altdeutschen" Iungsräulein und Landsknechten der Zeit. Nur: uns
Lmpfindlicheren glückte das nicht lange. Die Wohnung war keine
Kulissenstube, man sah sie ja nicht nur an, man sollte drin hausen.
Hier stieß man nun an Nnzweckmäßiges, dort brach ab, was krast-
strotzend schien, dort verblaßte, was gestern geprangt: dem einen
früher, dem andern später ward handgreiflich das Nnzulängliche im
Lreignis klar. Und die altdeutsche Mode in Wort, Ton, Farbe, Bau
und Gerät gab neuen Hoffnungen und neuen Wirrungen, aber auch
neuen Erfahrungen des ästhetischen Erlebens Naum.

Aber neben allen Kunstmoden hin, nur streckenweise mit ihnen
befreundet, geht der Sinn für das Sachliche und der Sinn fürs Echte.
Wem's mit der Kunst ernst ist, dem wird ja in anderm Sinne
selbst die Bühnenstube keine Bühnenstube sein, denn wenn sein Leich-
nam auf dem Stuhl im Parterre sich an Pappe statt Holz da droben
nicht ärgert, sein Geist steigt auf die Szene mit hinauf und will
dort leben können. Dort, oder wohin Frau Kunst ihn ruft: auf den
Gefilden der Seligen zwischen vier Bilderrahmenbrettern oder im
Frühlingsweben auf Geigentönen oder im Hafseskampf hinter den
Worten des Buches dort. Nnd feine Forderungen sind besonderer
Art. Ls stört ihn nicht, daß das Bühnenzimmer nur drei Wände
hat, es stören ihn überhaupt (wenn er erst einmal wach ist) die gröb-
lichsten Nnzulänglichkeiten in körperweltlichen Dingen nicht, denn seine
Dienerin Phantasie wird mit der des Künstlers eines, um so stark
zu zaubern, daß er Anbetung fühlen mag vor einem Gemisch von
Temperafarben in Madonnenform, Mitleid mit einem Stück geknete-
ten Tons, und eine Fülle, wo ein Nichts, eine Paufe ist. — Aber kein
Erdbebenmesser, der ein Zittern von jenseit des Ozeans meldet, ist
empfindlicher, als die Seele des so Genießenden gegen Falsches.
Gegen Wort-, Ton-, Bild-Bewegungen, die ihr verraten, daß irgend-
wo im Wesentlichen, im Zentralen irgend etwas unecht ist. Daß dort

2. Novemberheft 25(
 
Annotationen