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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 29.1919

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Heft 3/4
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https://doi.org/10.11588/diglit.26487#0096

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eise, Norddeutsche Malerei.

Forschungen über die Hamburger Malerei des 15. Jahr-
hunderts boten den Anlaß zurEntstehung des umfangreichen
Werkes über Norddeutsche Malerei von Karl Georg Heise,
das im Verlag von Kurt Wolff in einer schon äußerlich höchsi
erfreulichen Gestalt erschienen ist. Die Erweiterung des Thcmas
schien dem Verfasser uncrläßlich, da die Aufgabe, die Hamburger
Kunst in die gleichzeitige Cntwicklung der weiteren Umgebung
systcmatisch einzustellen, bisher nur unvollkommen gelvst war.
2lus dicsem Gesichtspunkt erklärt sich die Ungleichmäßigkcit der
vier Abschnitte des Buches.

Am schmalsten kommt Köln weg. Die Cntwicklung, wie sie
seit Scheiblcr im wesentlichcn feststeht, wird knapp dargelegt;
auch in der Datierung von Lochners Weltgericht an den Anfang
seines Schaffens folgt der Verfasser dem Vorgehen Scheiblers,
obwohl eine andere Auffassung, die das Werk an das Lcbens-
ende Lochners verlegt, sehr viel für sich hat. Sachlich Neues konnte
und solltc in diescm Abschnitt ebensowenig wie in dem folgenden
über Westfalen gebracht werden. Trohdem waren sie notwendig
zur entwicklungsgeschichtlichen Verwertung des gesammeltcn Ma-
tcrials und zu einer engen Zusammenstellung der vielfachen
Wechselwirkungen von und nach außen.

Um so mehr Gelegenhcit zur Aufdeckung neuen Matcrinls
fand sich bei der Bearbeitung der Kunst Niedersachsens. Aus-
führlichere Literatur epistierte hier bisher nur über Hans Raphon,
der um 1500 arbeitete. Ausgehend von eincm zwcifellos nieder-
sächsischen Altarbild, dem Göttinger Altar von 1124, bei dem
Heise es unterninunt, aus den westfälischen, kölnischen, nieder-
ländischen, auch böhmischen und französischen Cinflüssen das typisch
Niedersächsische herauszuschälen, verfolgt er den Weg dieser Kunst
an Hand dcr so geschaffenen Charakteristik zurück bis ctwa 1400
und stellt so eine Entwicklungsreihe auf, die scharf begründend cin
klares Bild des Werdens und der Cigenart der Malerci Niedcr-
sachsens vermittelt, als dercn hauptsächliche Besonderheiten sich
ergeken: strähniger Farbauftrag, warmcr, dunkler Gesamtton,
Freude an dekorativer Bildwirkung, gcdrängtc, flächenhafte Kom-
position. Es folgt dann eine Charaktcristik der Werke Raphons,
bei denen sich im wesentlichen die gleichen Merkmale der natür-
lichen Begabung feststellen lasscn, wic bci den früheren Arbeiten
in dieser Gegcnd, wenn auch mit neuen Ausdrucksmittclu. —
Interessant ist der Iusammcnhang Raphons mit der Nürnbcrgcr
Schule durch Vcrmittlung eines thüringiscbcn Schülers von Wohl-
gemut und Schongauer, dessen Werke Thode aufzählt. (Die
Malerschule von Nürnberg. 1891. S. 196 ff.)

Mußte bei der bishcr wenig beachteten niedersächsischen
Malerei die Arbeit in einer Sichtuug und Ordnung des Materials
zunächst steckenbleibcn, so boten die besondercn Hamburger Ver-
hältnisse die Gelegenheit, einc Reihe von Künstlerpersönlichkeiten
festzustellen und so ein klares Bild des Kunstschaffens in der Hanse-
stadt des 15. Iahrhunderts zu geben und bisher unbckannte, abcr
wcrtvolle Künstler zu erschließen. In Hamburg finden sich näm-
lich in zahlrcichen gesammelten, größtcnteils publizierten llr-
kunden, Rechnungs-, Rcnte- und Erbcbüchern bcstimmte Künstler-
namcn vcrzeichnet. Heise ist es nuu durch geschickte historische
und stilkritische Kombinationcn geglückt, diese Namen mit den in
Hamburg und seiner llmgebung erhaltcnen qualitativ hochstehen-
den Altären derselben Zeit zusammenzubringen. Manches ncußte
natürlich dabei Hypothese bleiben; aber in solchen Fällen tritt
der Verfasser auch nicht mit höheren Ansprüchen auf und hütct
sich wohl, in vages Phantasicren zu vcrfallen. Einc Koutinuität
der Entwicklung allerdings, wie sie Lichtwark für die Frühzeit
in Hamburg annehmen wolltc, lehnt Heise striktc ab — und gewiß
mit Recht. Ieder Künstler steht für sich da, nicht bodenständig
auf einer Tradition fußend, sondcrn lcdiglich eine Stufe der all-
gemeinen Entwicklung in Deutschland widerspiegelnd und mehr
oder weniger selbständig ausbildend.

Der früheste in Hamburg arbeitende Tafelmaler, Meister
Bertram von Minden, wird nur kurz behandelt, da einige Spezial-
arbeitcn übcr ihn zu erwarten sind. Dagegen werden neue Be-
ziehungen des Meisters Francke aufgedeckt, die seine Identität
mit dcm Maler Henslin von Straheborch wahrscheinlich machen.
Conrad von Vechta mit dem Heiligenaltar in Lüneburg, Hans
Borneman mit seinem urkundlich gesicherten Altar für St. Lam-
bert in Lüneburg voll Drang nach monumentaler Flächenwirkung
und gewaltsamem Pathos wird man sich merken müssen. Künst-
lerisch weitaus am HLchsten steht aber Hinrik Fünhof, als dessen
Hauptwerk von Heise der Hochaltar der Lüneburger Iohannis-

kirche bezcichnet wird. Cngste Beziehungen zu den Niederländern
lossen sich schon aus den Abbildungen feststellen, besonders der
Name Dirk Bouts drängt sich sofort auf; Heise vermutet sogar
ein unmittelbares Schulverhältnis. Bei äußerlicher Anlehnung
an das Vorbild, bei manchen technischen Unzulänglichkeiten, zeigt
dieser Meister eine so feine innere Kultur, eine solche Fülle künst-
lerischer und geistiger Qualitäten, daß das lange Übersehenwcrden
seines Hauptwerkes ganz erstaunlich ist.

Die Darstellung ist sehr frisch und lebendig; sorgfältige, aus-
führliche Register und Anmcrkungen erleichtcrn die wissenschaft-
liche Benuhbarkcit, und zahlreiche ausgezeichnete Tafeln tun ein
Übriges, um das Buch zu einer Freude für viele zu gesialten.
(821) vr. Luise Straus-Ernst.

ax Picard. Expressionistische Bauernmalerei.

(Delphin-Verlag, München 1918.)

Zur Kritik und zum Verständnis des Eppressionismus ist
kaum etwas Besseres gesagt oder geschrieben worden, als die
Cinlcitung Map Picards zu den Wiedergabcn von Bauern-
malercien, die in dem musterhaft ausgestattctcn Band „Ex-
pressionistische Baucrmnalerci" cnthalten sind. Dicse Hinterglas-
mnlereien fränkischer und bayrischcr Bauern sind ja recht eigent-
lich vom Cxpressionismus entdeckt worden, Lhnlich wie dic japanische
Malerei und Holzschneidekunst von dcn Impressionisten ins Be-
wußtsein der europäischcn Mcnschheit gehoben wurden: Dic Ex-
pressionisten fanden in diesen naiven Bauernmalereicn etwas,
was ihnen Ähnlichkeit mit dcm eigenen Streben zu haben schien.
Picard zeigt, mustergültig klar in der Formulierung und präzis
im Gedanken, daß dieser Glaube des Erpressionisten eincn Jrr-
tum verbirgt. Jch zitiere:

„In dieser Wissensnot rufen die modernen Cxpressionistcn
Gott herbei. Aber nur dem Wissen verdankt man es, daß man
noch etwas von Gott weiß. Gott erscheint als vo> s ox maciiin-c
des Wissens. Das Herz ist eincm nicht voll von Gott, nur dcr
Kopf... Diese Bauernmaler aber sind von Anfang an bei Gott."
(S. 19.) In diesen Sähen ist allcs gesagt, was über echte Naivität
und Sehnsucht nach Naivität, was über Bauernmalerei und Ex-
pressionismus zu sagen ist. „Nur uns — nicht den Bauernmalern —
erscheinen diese Bilder expressionistisch, abstrahiert, aus einem
ZusaMmenhang gelöst. Nur wir rneinen, das Beziehungslose
sei nicht anders als durch Abstraktion zu gewinnen." (S. 23.)
Jn diesen Zeilen ist niedergelegt, was über den IrrtUm des Cx-
pressionismus in Hinsicht auf sich selbcr und die Bauernmalcrei
zu erklären ist.

Was aber ist nun dcr Cxpressionismus? Die Crgänzung des
Impressionismus und seine psychologische Konsequcnz. „Also nicbt
etwa, weil der moderne CxpressionisMus die objektive Welt nicht
besihcn will, gilt der subjektivc Ausdruck. Vielmehr, der Exprcssio-
nist besiht bereits die objektive Welt als Erbe des Imprcssionis-
mus, und nur durch diesen versteckten impressionistischcn Bcsitz be-
stcht die subjektive Souveränität des Expressionismus." (S. 1l>.)

Picards Buch ist wcit über den zufälligen Fall „Impressionis-
mus — Expressionismus" hinaus wichtig: das moderne Kunst-
denken überhaupt verdiente dic Reinigung, wclche Picard hicr
cinem Cinzelfall angedeihen läßt. Die Befreiung vom falschcn
Historismus, dic Loslösung von der Illusion dcr künstlerischen
Richtung, die Hinwendung zum einzig Wesentlichen in der Kunst,
zum gelungenen Werk — das ist es, was wir brauchen, denn
das bedeutet Selbsterkenntnis, Bescheidenheit und Sicherung un>
seres Instinkts, die ein für allemal andere sind, als die vergangener
Völker und Zeiten. Viclleicht leistet Picard der dcutschen Kunst-
kritik diesen Dienst und wendet sein scharfes Denken auf das wcitcre
Problcm, das schwierigere und wichtigere, auf das Problem der
Befreiung von der Illusion des Historischen und seiner Wiedcr-
holbarkeit. (827) v>. Werner Mahrholz.

wet Prosastüüe. Von Robert Walser.

1.

Das crste Gedicht.

Ciner stand im Raume stockstill, schaute bloß herum, tat sonst
nichts. War er von Gedanken gebanntl Dichtete er? Jn der
Tat kam er hierher, um sein erstes Gedicht hervorzubringen. Da
er sich dabei beeilt hatte, war er warm geworden. Nun war er
halb in Lust, halb in Furcht. In Lust, weil er schaffen wolltc;
in Furcht, weil er dachte, daß es ihm mißlingen könnte und er dann
verdammt, verkracht, zermalmt wäre.
 
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