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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 20.1904

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Heft 3
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Högg, Emil: Moderne Rathäuser
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https://doi.org/10.11588/diglit.44901#0030

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1904

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 3

geht schon daraus hervor, daß ein
direkter persönlicher Verkehr der Be-
amten nur in Ausnahmefällen stattfinden
wird. Daß die Übersichtlichkeit in
solchen Riesenbauten mit ihren großen
und kleinen Lichthöfen, verzweigten
Korridoren, Haupt- und Nebentreppen
nichts weniger als mustergültig ist
und daß auch die Beleuchtungsver-
hältnisse nicht immer ideale sein
können, zeigt ein Gang durch die
ausgeführten Gebäude oder ein Blick
auf die preisgekrönten Grundrisse.
Warum also teilt man das Rat-
haus nicht in einen Repräsentationsbau
einerseits, welcher die Festsäle und
Sitzungssäle und den Bürgermeister
mit seinem Stab, meinethalb auch den
Ratskeller enthält, und in eine Anzahl



den praktischen Gebrauch
Baumassen nichts verlieren,
Licht und Übersichtlichkeit

würden wir durch Teilung
sondern wahrscheinlich nur
gewinnen; für den äußeren

Architekt: Stadtbaurat Ludwig Winter
in Braunschweig.

für
der
viel
Aufbau aber wäre dem Architekten ein erfolgverheißender
Ausweg geboten. Wir sehen ja, wie weder die strenge sym-
metrische noch die malerisch unsymmetrische Bauweise im
stände ist, ein einheitliches Ganzes von solchem Umfang zu
schaffen. Wir können nicht vier Fronten von je 200 m Länge
im Monumentalstil ertragen, es sei denn an einem Bau von
der gesteigerten Monumentalität unsres Reichshauses. Wir
können aber auch nicht vier Fronten von je 200 m Länge in
malerischer Gruppierung sehen ohne an eine Ausstellung »Alt-
Frankfurt« oder dergleichen erinnert zu werden. Das eine
Mittel schießt über das Ziel hinaus, das andre erreicht es
nicht. So gebietet uns auch hier die Überlegung: »Teile die
Massen, um sie zu beherrschen.«
Nun aber kommt die Großmannssucht unsrer Zeit und
sagt: »Das Rathaus muß ein Kolossalbau werden; man muß
ihm ansehen wie reich wir sind, wie viel Arbeit wir zu be-
wältigen haben, wir müssen mit dem Rathaus über die fünf-
stöckigen Häuser der Einwohner hinausragen!« Das aber ist
ein sehr falscher Gedankengang. Um uns davon zu über-
zeugen, brauchen wir ihn nur auf die Spitze zu treiben und
vom Rathaus in New York zu verlangen, daß es die Wolken-
kratzer übertrumpfe; und dann brauchen wir nur in scharfer
Wendung auf die Baukunst unsrer Väter zurückzugehen und
zu sehen, wie das kleine Rathaus in Bremen oder das in Sten-
dal oder das in Halberstadt so stolz neben den viel größeren
Bauten rings um und vor und hinter ihnen dasteht, jeder Zoll
ein Rathaus, jeder Stein ein Beweis starken Bürgertums. Der
Bürgermeister braucht doch auch nicht der längste Mann der
Stadt zu sein, er braucht nicht einmal das Soldatenmaß zu
haben und kann sich doch durch ein paar Worte als würdiger
Vertreter seiner Bürgerschaft dokumentieren. Nein, auf die
Größe des Bauwerks kommt es nicht an, auch nicht auf die
Höhe und Dicke seines Turmes, sondern auf die Sprache,
welche seine Steine zu uns reden.
Als zweiten Fehler haben wir die Situation der neuen
Rathäuser genannt. Meist liegen sie ringsum frei und bloß,
losgelöst vom alten Stadtbild in einem modern zugeschnittenen
Stadtteil, sie stehen da wie auf dem Präsentierteller, frierend
und schutzlos. Auch im Innern der Stadt ergeht es ihnen
selten besser als unsern ehrwürdigen freigelegten Domen, als
unsern öffentlichen modernen Gebäuden aller Art. Vergleichen
wir bloß, wie unsre alten Rathäuser so organisch ins Städte-
bild hineingewachsen sind, wie Plätze verschiedener Größe
die Hauptpartieen des Bauwerks in ihrer Wirkung steigern
und mitleidige Häusergruppen die unbedeutenden Neben-
partieen zudecken, so wird der sehnliche Wunsch in uns auf-
steigen, unser neues Rathaus, wenn nicht am alten Marktplatz
selbst, so doch unter ähnlich günstigen Verhältnissen aufge-

Das neue Rathaus in Braunschweig. Architekt: Stadtbaurat Ludwig
2. Winter in Braunschweig.

Kanzleibauten anderseits? Ersterer Bau
würde dann mit Turm und Giebeln, mit
Altanen und Lauben und aller erdenkbaren Kunstverschwendung
das Sinnbild der aufblühenden Stadt sein. Das übrige wären
schlichte Nutzbauten, von außen und innen als das gekenn-
zeichnet, was sie sind, Arbeitsstätten anspruchsloser Beamten.
»Verwaltungsgebäude« heißt man ja heute schon vielfach die
Ergänzungsbauten zu den alten Rathäusern, welche den ge-
steigerten Bedürfnissen nicht mehr genügen; den Mut aber
hat man nicht, die Folgerung zu ziehen und im Gegensatz zum
»Rathaus« richtige »Verwaltungsgebäude« wirklich auch zu bauen.
Die Lage der Kanzleibauten zum Repräsentationshaus
könnte ganz unabhängig sein. Trotzdem liegt einer Ver-
einigung aller dieser Bauwerke z. B. um einen Hof oder Platz
herum ein ästhetisches Bedenken gewiß nicht im Wege. Denken
wir nur zur leichteren Vorstellung des Bildes, das so ent-
stehen würde, an alte Klosteranlagen oder an den Zwinger in
Dresden. Auch könnten brückenartige Übergänge die einzelnen
Gebäude verbinden, wie beim Rathaus in Hannover. Also

Das neue Rathaus in Braunschweig.
1.

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