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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 20.1904

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Heft 8
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Schwindrazheim, Oskar: Der äußere Schmuck des Sylter Bauernhauses
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https://doi.org/10.11588/diglit.44901#0067

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1904

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 8


Portal und Portierhaus in Rockland. Architekt: H. C. Wilkinson in Washington.
Aus »The American Architect«.

Der äußere Schmuck des Sylter Bauernhauses.
Von O. Schwindrazheim.

egen die Möglichkeit, beim Bau neuer Bauern-
häuser statt an das charakterlose vorstädtische
Fabrikarbeiterhaus oder an die Villa mit ihren
angeklebten Stuckornamenten oder vorgeb-
lichen Schweizerhausverzierungen wieder an
das alte heimische Bauernhaus der verschiedenen Gegenden
und seine Schmuckweisen anzuknüpfen, wird besonders gern
eingewendet, daß es, abgesehen von holzreichen Gegenden,
vielfach wegen der Kosten unmöglich sei, beim Neubau das
Fachwerk in gleichem Maße anzuwenden wie ehemals. Damit
falle, heißt’s dann gewöhnlich, die schöne Gliederung und
Belebung der Mauerflächen, die lustige Verzierung der Balken
durch Schnitzerei, der Schmuck der Gefache durch Ziegelmuster
oder Sgraffito, der bunte Wechsel der Farben u. a. m., kurz
alles, was die Schönheit, die Traulichkeit, die heimatliche
Eigenart der alten Bauernhäuser ausmache. Und mancher
Freund der alten Bauweise verzagt, wenn ihm Fachleute mit
dem Gewicht ihrer genauen Fachkenntnis diesen Gegengrund
— zusammen mit der Unmöglichkeit des Strohdaches — aus-
führlich darlegen und beweisen.
Und doch ist dieser Gegenbeweis nicht stichhaltig. Das
Fachwerk allein macht’s doch nicht!
Wenn wir uns mit volkstümlicher alter Kunst beschäftigen,
überrascht uns immer wieder von neuem ihre Unabhängigkeit
von einem bestimmten Material. Das Volk hat in seiner ele-
mentaren Gestaltungskraft, in seiner köstlichen Treffsicherheit
und echt künstlerischen Naivität ehemals überall und in jedem
Material, ob’s spröde oder willig war, sich ein besonderes, cha-
rakteristisches und charaktervolles Haus, ein eigenes, seine Seele,
sein Schönheitsgefühl getreulich wiederspiegelndes Heim zu ge-
stalten gewußt. Fehlte hier oder da ein sonst beliebtes Material,
so nahm man eben ein andres dafür — das Gewand des Hauses
wurde ein wenig anders, aber ein schönes trauliches, eigen-
artiges Haus blieb’s trotz des andern Gewandes. Wir haben
eine ganze Anzahl deutscher Bauernhäuser, die nur wenig Fach-
werk zeigen (Ditmarschen) oder gar keins (Friesland) — und sie
sind genau so deutsch, so heimatlich-traulich, so nachahmens-
wert wie die andern. Wir begegnen ferner in Gegenden, wo
früher reiches Fachwerk vorherrschte und die Bauernhäuser

kennzeichnete, späteren, aus dem Ende des 18. oder der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts stammenden, vom Volke selbst,
ohne Architektenhilfe gefundenen Lösungen, bei denen das
Fachwerk stark vermindert oder ganz fortgelassen oder über-
malt ist, ohne daß man sagen könnte, damit sei daselbst das
nationale Haus verschwunden — es hat sich etwas anders ge-
kleidet, die darin offenbarte Seele ist aber dieselbe wie früher.
So habe ich’s z. B. in den Vierlanden, wie in Hessen gefunden.
Im Vorjahre hatte ich erwünschte Gelegenheit, ein solches
fachwerkloses nordfriesisches Bauernhaus, das der Insel Sylt,
etwas genauer kennen zu lernen. Fachwerkärmer kann kaum
ein Haus sein, und doch gehört das Sylter Haus zu den an-
mutigsten, die es überhaupt gibt.
Am bezeichnendsten ist der Eindruck des alleinliegenden
Hauses der kleinen Ortschaften Sylts — einsam auf baumloser
ebener Heidefläche wie eine Festung aus völlig rasiertem Ge-
lände aufragend. Eine Festung ist das Sylter Haus ja auch,
stark verschanzt insbesondere gegen den Weststurm, der trotz
der Dünen, welche die Insel gegen die See schützen, gewaltig
über die kahle Fläche braust. Das kündet die Gestalt der spär-
lichen Bäume, wie der Schutzvorrichtungen, die nötig sind, um
in den Gärten das Gedeihen des Gemüses und der Blumen zu
sichern (s. Abb. 1), darauf deuten auch die nur niedrige Form
und die Anlage des Hauses.
Da steht z. B. vor einem Hause eine Reihe von vier Bäumen —
wir können an ihrer Gestalt fast so genau wie nach dem
Kompaß die Himmelsrichtungen feststellen. Der westlichste
ist von niedriger, verkrüppelter, stark nach Osten geneigter

Fig. 1. Einfluß des Westwindes auf die Vegetation Sylts,
i. Bäume vor einem Hause in Keitum. 2. Hecke (Alt Westerland).



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