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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 20.1904

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Heft 4
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Alte Bauten und neuer Stil
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Beschreibung der Abbildungen
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1904

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 4


Vorplatztüre in der Villa des Architekten: Th. Lehmann
Herrn Gentzsch in Halle a. S. & G. Wolff in Halle a. S.
Auch auf die Auffassung unsres Verhältnisses zu den Baudenkmälern
der Vergangenheit ist die Wandlung unsrer Anschauungen über die Be-
deutung der historischen Stile von weitgehendem Einfluß. Längst schon
werden ganz allgemein die unersetzlichen Opfer an Kunstwerken aller
Zeiten schmerzlich beklagt, welche der Fanatismus der »Stilreiniger« des
19. Jahrhunderts gefordert hat, und schon mehren sich die Stimmen gegen
das Zurückführen verfallener und veränderter Bauten auf ihren ursprüng-
lichen Zustand. Gewiß dürfen wir stolz sein auf unser umfangreiches
historisches Können, auf die Opferwilligkeit, mit der wir große Summen
dafür aufbringen, und auf den Fleiß, mit dem wir das Alte zu erhalten
streben. Blicken wir aber zurück auf die Vergangenheit, so finden wir
nur eine Zeit, die in ähnlicher Weise für die Erhaltung alter Denkmäler
eingetreten ist und gleiche Befähigung in der Nachbildung älterer Kunst-
werke gezeigt hat — die der Alexandriner. Die schöpferisch bedeutend-
sten Zeiten haben eine ähnliche Rücksichtnahme nicht gekannt. Raffael
und Bramante haben ohne Bedenken antike Bauwerke zerstört, um mit
deren Material ihre Bauten auszuführen. Ist nun die Hingabe an Restau-
rierungen ein Zeichen eigener Kraft und das Nichtrestaurieren eine Schwäche?
Unsre Architekten, die alte Bauten ganz im Sinne der alten Meister wieder-
herzustellen bemüht sind, glauben allen Ernstes befähigt zu sein, im Geiste
vergangener Zeiten zu schaffen. Und das ist, scheint es, der kolossale Irr-
tum unsrer Zeit! Wir müssen den Mut haben, die Vergänglichkeit alles
Irdischen anzuerkennen und uns mit deren Unabwendbarkeit abzufinden.
Davon gibt es keine Ausnahme, auch nicht für Bauwerke irgend welcher
Art. Zweifellos sind wir verpflichtet, alles zur Erhaltung der alten
Baudenkmäler zu tun, was die hohe Entwicklung unsrer Technik und die
gesamten Fortschritte auf allen wissenschaftlichen Gebieten zu tun gestattet.
Aber wir sollen das dem Geschick Verfallene, das unrettbar Zerstörte
nicht nachahmen, nicht wesentlich ergänzen, wiederholen oder kopieren.
Die Erfahrungen weniger Jahrzehnte hingebender Restau-
rierungstätigkeit haben uns zur Genüge bewiesen, daß die Er-
gänzung, die uns augenblicklich noch ganz im Einklang mit
dem Ursprünglichen, echten Alten zu stehen scheint, schon in
wenigen Jahren als neue Zutat erkannt wird. Aus Liebe zu
dem würdigen Erbe der Vergangenheit sollen wir deshalb davon
abstehen, uns und der Nachwelt den reinen Genuß davon
durch unsre, wenn auch noch so wohlgemeinten Zutaten zu
verkümmern.
Die Nutzanwendung dieser Lehre auf unser eigenes
Schaffen läßt keinen Zweifel, daß der Glaube an die Möglich¬
keit, Neu- und Umbauten wirklich im Stile einer vergangenen
Zeit ausführen und so die alten Städtebilder erhalten oder nach-
ahmen zu können, ebenfalls eine Täuschung ist. Auch die auf
gewissenhaftestes Studium der alten Vorbilder begründeten
Schöpfungen der Gegenwart können nicht den Geist der echten
alten atmen und tragen alle mehr oder weniger den Geist unsrer
Zeit und ihrer Erbauer in sich. Aus dieser Erkenntnis erhellt
zugleich die Nutzlosigkeit der Versuche, mit einem andern der
historischen Stile das zu erreichen, was mit dem einen nicht ge-
lungen ist, und damit werden wir von der »Stilhast befreit werden,
die unserm Schaffen in den letzten Jahrzehnten so viel Unsegen
gebracht hat. Was wir von den alten Vorbildern lernen können
und sollen, ist die Auffassung und die Behandlung der Auf-

gaben, besonders in ihrer Beziehung zur Umgebung. Die bisher im Vor-
dergrund gestandene Nachahmung der überlieferten Einzelformen aber
sollten wir in noch viel stärkerem Maße vernachlässigen, als es jetzt schon
zum Teil geschieht. Die Hauptsache ist doch immer äußerste Zweck-
erfüllung ohne ängstliches Suchen und Bedachtnehmen auf Motive. Nur
so kann unsrer Übersättigung an allen möglichen und unmöglichen Formen
gesteuert und die Gefahr vermieden werden, daß statt des berechtigten
Ausdrucks neuer Konstruktionen und Baugedanken in neuen Formen diese
als Selbstzweck, nur um dem Abwechslungsbedürfnis zu genügen, binnen
kurzem immer von neuem umgemodelt werden. So können wir wirklich
den modernen Bedürfnissen Rechnung tragen und über die augenblickliche
Stilnot und die fortwährenden Verwechslungen zwischen Mode und Stil
hinwegkommen.
Die Rückkehr zum Einzelwohnhaus wird die Betätigung eines selb-
ständigen und durchgeistigten Kunstschaffens fördern und zugleich den An-
stoß geben zur Besserung und Verschönerung der Wohnungen und ihrer
Einrichtung, von der allein — nicht aber von Kunstkommissionen und
-behörden — eine Besserung im Ungeschmack des Volkes zu erwarten ist.
Der Bau von Einzelwohnhäusern ist nicht nur in entlegenen Vor-
orten und kleineren Städten, sondern bei richtiger Aufteilung des Bodens
auch in der Großstadt sehr wohl möglich, und zwar ganz ohne Verteue-
rung. Es bedarf bloß der schon mehrfach geforderten Unterscheidung
zwischen großen Verkehrsstraßen und Wohnstraßen, deren Breite eben
nur dem geringen Verkehr ihrer Anwohner zu genügen braucht. In ihnen
wird der große Abstand der gegenüberstehenden Häuser dann nicht durch
die Straßenbreite, sondern durch Vorgärten erzielt. Für das Einzelwohn-
haus kann auch leichter eine natürliche Fassadenentwicklung Platz greifen,
als bei den vielstöckigen Mietkasernen, in deren langer, schnurgerader Front
eine die andre durch möglichsten Formenaufwand zu überschreien sucht.
Sobald erst wieder Ruhe und Übersichtlichkeit in die Straßenbilder
kommt und die Straßen nicht mehr bloß nach der Reißschiene in schnur-
geraden Linien rechtwinklig zu einander gebaut werden, lassen sich auch
wieder die künstlerischen Feinheiten anwenden, in denen die Alten so oft
ihre Meisterschaft bewiesen haben. Die gerade Straße hat eigentlich nur
dann künstlerische Berechtigung, wenn sie auf einen besondern point de vue
hinführt. Dabei kommt natürlich viel darauf an, daß Rahmen und Bild zu
einander passen, wie bei den köstlichen Bildern alter krummer Straßen mit
der Westfront einer Kirche im Hintergrund, wie die Hagenbrücke und die
Weberstraße in Braunschweig. Ohne wirksamen Abschluß dieser Art oder
in regelmäßiger Wiederholung wirken die geraden Straßen entsetzlich lang-
weilig, mögen sie auch von noch so schönen Gebäuden eingefaßt sein. Wie
oft liegt nicht der ganze Reiz alter Straßen lediglich in gewissen Verschie-
bungen, die immer neue Bilder geben und durchaus nicht in irgendwelcher
Schönheit der Gebäude. Dem müssen wir nachspüren und nacheifern,
wenn auch die Rücksichten auf den gesteigerten Verkehr, auf die Straßen-
bahnen u.s.w. manche malerische Lösung heute undurchführbar erscheinen
lassen, die früher möglich war. In den alten Straßen dagegen genügte oft
schon die abwechselnde Ausbildung der Ecken, die geschickte Einführung der
Seitengassen und Querstraßen zur harmonischen Belebung und Zusammen-
fassung des Bildes.
Beschreibung der Abbildungen.
Tafel 25. Villa des Herrn Ernst Schimpf in Eßlingen.
Architekt: Albert Benz in Eßlingen. — 2. Halle.
Siehe Tafel 24.
Tafel 26. Wohnhaus in Düsseldorf, Steinstraße 92. Archi-
tekt: Eritz Hofmeister in Düsseldorf.
Das im Jahre 1901 erbaute Wohnhaus enthält in jedem Stockwerk
eine Wohnung mit Speisekammer, Küchenbalkon, Bad, Wasserklosett und
je einer Fremdenstube und Dienstbotenkammer im Dachgeschoß. Die
Räume des Seitenflügels im 1. Stock dienen als Bureau des Besitzers und
sind vom Hofe aus durch eine besondere Nebentreppe zugänglich. Im Erd-
geschoß sind Säulen und Unterzüge so angeordnet, daß jederzeit leicht
ein das ganze Vorderhaus umfassender Laden hergerichtet werden kann.
Die Fassade ist in Putz ausgeführt, das Innere gediegen ausgestattet: im
Eingang Terrazzobelag, Marmorsockel und stuckierte, mit leichten Orna-
menten geschmückte und zum Teil mit Spiegelglas belegte Wände und

Architekt: H. Ooerke irt Düsseldorf.


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