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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 20.1904

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Heft 10
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Haupt, Albrecht: Von germanischer Baukunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.44901#0083

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1904

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 10

Wandteppich in Gobelin-(Hautelisse-) Wirkerei Vertretung: Bureau Saßnitz-Trelleborg, Berlin,
von Fräulein Maria Sjöström. Unter den Linden 59.


Von germanischer Baukunst.
Von Professor Dr. Albrecht Haupt in Hannover.

ewaltige Umwälzungen in der Völkergruppierung hat
das Ende des 19. Jahrhunderts gebracht. Der ger-
manische Stamm hat im Wechsel der Ereignisse jenen
oberen Platz an der Tafel der Geschichte eingenommen, den
bisher andre südlichere Völker behaupteten. — Zuerst hat eng-
lische Macht den Erdball mit eisernen Armen umklammert;


Eckpfosten eines Bauern-
hauses aus Blankenloch
bei Karlsruhe. Etwal7C0.


der Franzosen gewaltiges Reich ist im Ring-
kampfe mit Deutschland unterlegen; die ein-
stige spanische Weltmacht ist in ihren letzten
Resten vor unsern Augen niedergebrochen,
nachdem längst schon Portugal und Italien
aus der Reihe der führenden Mächte ausge-
schieden sind, und gar von der Griechen
Herrlichkeit reden nur Steine und Bücher.
Schon einmal hat das Germanentum die
Welt zu seinen Füßen gesehen, als das römi-
sche Reich in traurigem Zusammenbruch
dem Ansturm der nordischen Völker erlag,
und die Ost- und Westgoten, später die
Langobarden, das Erbe der alten Kultur an-
traten.
Aber damals erwies sich die antike Kultur
in ihren Resten doch noch stärker als die
nordisch-germanische Jugendkraft, die in we-
nigen Jahrhunderten vom alten Süden völlig
aufgesogen wurde, scheinbar ohne Spuren
ihres Daseins zu hinterlassen, welche heute
gegenüber den Werken jener älteren Kultur
ins Auge fallen, — freilich den alten italischen
Kulturvölkern eine Auffrischung des Blutes
spendend.
Wie gegenwärtig der politische Schwer-
punkt der Welt nach Norden gerückt ist, so
sucht auch das geistige Leben der Gegenwart
für den neuen Inhalt entsprechenden Aus-
druck in Wort, Ton und Bild. Wie jede ver-
gangene Zeit sich in der Kunst ausgesprochen
hat, so ringt auch die Gegenwart danach,
unablässig und schwer, ihrem Wesen in der

Kunst ein Spiegelbild zu schaffen. Bis jetzt freilich kaum mit
dem gewünschten Erfolge.
Denn das, was die »neueste« Kunst bisher auszusprechen
gesucht hat, was sie vor allem zu sein strebt: die Kunst der
modernen Zeit, das zu erreichen ist ihr noch nicht gelungen.
Die Führer der neuen Bewegung glaubten ja bisher mit ver-
meintlich nie gesehenen neuen Formen und Ideen die Welt in
Erstaunen setzen zu müssen, nur mit der Ermöglichung des Un-
möglichen ihre Aufgabe erfüllen zu können; sie glaubten Führer
zu sein, wo sie doch nur an die Oberfläche getragene äußerliche
Erscheinungen einer ungeheueren tiefwühlenden Naturgewalt
sind, deren Notwendigkeit und Art sie selber nicht völlig erkennen.
Es ist nicht bloß die neue Zeit, das 20. Jahrhundert,
welches sich seinen künstlerischen Weg sucht. Denn dieses
20. Jahrhundert ist dem ganzen Erdball gleich eigen; und doch
ist der Trieb nicht überall ringsum der gleiche. Unsre ro-
manischen Nachbarn empfinden das Bedürfnis nach neuen
künstlerischen Werten, nach einem Spiegel der modernen Zeit
in der Kunst, keineswegs so lebhaft, wie die germanische
Welt; vielmehr würden sie ohne den auf sie geübten Zwang
sich in einer langsam fortschreitenden Weiterbildung der alten
Formen, die ja ihrem innersten Wesen durchaus verwandt
sind — weil ihm entsprungen —, wohl gerne völlig genügen
lassen. Vielleicht treiben nur der Tropfen germanischen Blutes
in ihren Adern und die Mode der Zeit sie zur Mitwirkung.
Nein, etwas
andres schreit
noch gefesselt
nach Erlösung:
der nordisch-ger¬
manische Geist,
der in den ver¬
gangenen andert¬
halb Jahrtausen¬
den unter der
Last fremder Ge¬
danken und For¬
men ein dunkles,
kaum bemerk- Giebel aus Buchsweiler, Elsaß. 17. Jahrhundert.


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