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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 20.1904

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Heft 9
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Tettau, Wilhelm von: Die Brunnen Konstantinopels
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Gurlitt, Cornelius: Kirche und Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.44901#0078

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1904

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 9


Hamidie-Brunnen.

und aus hundert unmöglichen Öffnungen stürzenden Wassers?
Wie hohl muten doch diese großen Wasserkünste an im Ver-
gleich mit der feinsinnigen Auffassung des Orients.
Mit einem Wort: Mehr Kunst und weniger Wasser!
An geschütztem Ort ein schützendes Dach für Wasser und
Menschen zugleich, das wäre die Aufgabe, die monumental
zu lösen wäre.
Mit unseren Gebrauchsbrunnen steht es dabei nicht besser.
Dicht an der Bordschwelle des Bürgersteigs angelegt, gefährden
sie mit ihrer übermäßigen Wasserabgabe den Durstigen ebenso
wie die Passanten. Eine ungestörte Benützung aber ist bei
der Nähe des Fahrdammes ebenso ausgeschlossen wie die
Reinhaltung des Wassers und der Trinkgefäße.
Welch reizende Motive für das Straßenbild ließen sich
da nicht mit wenigen Mitteln schaffen, wenn man von der
schematischen Aufstellung und Durchbildung abginge! In
stillen Winkeln, an der Nordseite einer Kirche, einer Schule,
des Rathauses oder anderer öffentlicher Gebäude, vertieft in
einer Wandnische oder durch ein Dach vor den Sonnen-
strahlen geschützt, würden solche Straßenbrunnen ihren prakti-
schen Zweck besser erfüllen als in ihrer jetzigen willkürlichen
Disposition, und ihre schematischen, trivialen Formen würden
kleinen architektonischen Leistungen weichen, die jeder Bau-
künster gern in seine Fassadenentwürfe mit aufnehmen würde.


Brunnen der süßen Wässer Asiens.

Kirche und Kunst*).
Von Cornelius Gurlitt.
ie christliche Kirche ist ihrem innersten Wesen nach welt-
abgewandt, asketisch. Soweit sie ihre höchste Aufgabe darin
sieht, die Menschenseele von der Welt abzuziehen und auf Gott
zu lenken, widerspricht sie dem, was sie irdische Freuden nennt.
Sie fürchtet, sie bekämpft die Sinnlichkeit, das, was auf die äußeren Sinne
des Menschen sich bezieht. Sie ist geistig, wendet sich dem sinnlich nicht
Wahrnehmbaren zu. Es ist wohl noch nicht genug darauf hingewiesen, daß
fast alle großen, das kirchliche Leben bedingenden Kirchenmänner mehr oder
minder gegen die Kunst gleichgültig oder feindlich gesinnt waren, oder doch
in der Kunst eine Gefahr sahen. Das geht von Christus aus, der ohne Er-
regung dem herrlichen Herodianischen Tempel, dem größten Kunstwerk in
seinem irdischen Wirkungskreise, den Untergang voraussagte; das wieder-
holt sich bei den Kirchenvätern, bei den großen Gründern der Mönchsorden
bis auf Ignaz Loyola, bei Bernhard von Clairvaux und Savonarola, bei Luther
und Kalvin; das zeigt sich auch jetzt in der katholischen Kirche. Vergeb-
lich wird man in den Dekreten der römischen Ritus-Kongregation nach der
Forderung suchen, daß die Kirchen künstlerisch ausgestattet werden;
wohl aber mehren sich mit der wachsenden kirchlichen Strenge des Katho-
lizismus die Anzeichen, daß der alte Wunsch des Verzichtes auf die
Kunst neue Kraft erhält. Nur als Lehrerin und Anregerin des Volkes wird
sie gepflegt: um deswillen, was sie darstellt, nicht um ihres künstlerischen
Wertes willen. Die Frage, ob ein Bild schön sei, steht weit zurück gegen
die, ob es wahr sei, d. h. ob es kirchlich anerkannte Wahrheiten dem
Volke darstelle. Alle Versuche auf Besserung der Kirchenmusik sind gleich-
bedeutend mit dem Verzicht auf alles, was seit Palestrina oder seit dem
Gregorianischen Gesang an Tonkunst geschaffen wurde. Die Bestrebungen
auf rituelle Strenge bekämpfen den Altaraufsatz und haben durch weite
Gebiete bereits heute erreicht, daß die Altarbilder, diese Pflegstätte kirch-
licher Kunst, von den Tabernakelaltären verschwanden.
Die Kirche braucht die Kunst nicht, wenigstens nicht insofern, als sie
Gott darbietet. Der Kultus kann ohne sie abgehalten werden. Die
Missionen aller Konfessionen können unter den kunstlosesten Völkern
ebenso gut wirken, wie in den prachtvollsten Kathedralen. Dem katho-
lischen Priester genügt der Tragaltar, ein Partikel einer Reliquie, die Hostie,
um die Messe wirksam zu lesen. Luther sagte bei der Einweihung der
Torgauer Schloßkapelle, Gottes Wort könne ebensogut draußen unter einer
Linde verkündet werden. Kalvin strafte die, die statt des schlichten Kreuzes
den Kruzifixus in die Kirche brachten. Die eine Tatsache, daß nämlich
so oft die Kirchengebäude aufs künstlerischste geschmückt sind, widerspricht
der anderen nicht, daß dieser Schmuck eben nur Schmuck ist, nicht zum
Wesen der Kirche gehört; daß selbst das Kirchengebäude in allen seinen
Teilen nur geschaffen ist, nicht um Gottes, sondern um der es benutzenden
Menschen willen. Die Kunst ist nicht Erfordernis bei der Darbietung der
göttlichen Gaben durch die Kirche, sondern bei der Entgegennahme durch
die Gläubigen; der Priester braucht sie nicht, wohl aber der Laie. Das ist
entscheidend für den Protestantismus, der ein allgemeines Priestertum erstrebt.
Die Kunst ist sinnlich. Ihre Aufgabe ist, den menschlichen Sinnen
wahrnehmbare Darstellungen zu geben. Sie wird erst Kunst, wenn
sie innerlich Erschautes für andere sinnenfällig macht. Es gehört also
dreierlei zur Kunst: das Wahrnehmen, das innere Erschauen und das
äußere Darstellen. Wäre Rafael ohne Arme geboren, so hätte er kein
Künstler werden können: die Wiedergabe dessen, was das Auge sah, was
die Seele erfand, machte ihn dazu, nicht das Erfinden allein. So im Gegen-
satz zu Lessings Auffassung. Die Kunst liegt also darin, daß der Künstler
von dem innerlich Erschauten Rechenschaft gibt, indem er es den Sinnen
anderer vorlegt, sie zu gleichem Erschauen führt. Sie ist also eine Be-
tätigung der Sinne, deren letzter Zweck ist, jene Freude, die das Wahr-
nehmen und Erschauen erweckt, auf andere zu übertragen. Die eigene
Freude ist die unbedingte Vorbedingung. Wer lediglich darauf ausgeht,
anderen Freude zu bereiten, wer also nicht rein das wiedergibt, was
ihn erfreut; wer dem »Geschmack«, der »Schönheit« entgegenkommt,
wider das eigene Empfinden — der ist auf dem Wege zur Unkunst.
Daher kann die Kunst niemandem dienen, auch nicht der Kirche. Sie ist
in ihren höchsten Zielen Sinnenbetätigung, also Betätigung der eigenen,
menschlichen Sinne. Ihr Ziel ist Lust, eine weltliche, wenn auch reine
Lust; sie stirbt am Verzichten; sie lebt dem Vergnügen; sie ist aus
Freude geboren und will Freude bringen.
Und darum ist sie in ihrem letzten Wesen, wenn nicht eine Geg-
nerin der asketischen Kirche, so doch von anderer Art als diese. Darüber
muß man sich klar sein, will man das Verhältnis beider zu einander ver-
stehen. Die großen Asketen waren sich der Zwiespältigkeit zwischen Kirche
und Kunst jederzeit bewußt; die großen Künstler haben sie nur zu oft
aufs bitterste empfinden müssen.
Aber Tausende von Beispielen beweisen uns, daß Kunst und Kirche
eng verbundene Genossen sind, daß sie nebeneinander gehen, und daß
es lang währende, für Kirche und Kunst gleich glückliche Zeiten gab, in
denen nicht der geringste Zwiespalt zwischen ihnen bestand.
Leider leben wir nicht in einer solchen Zeit. Laute Vorwürfe er-
tönen von beiden Seiten. Die Kirchenmänner klagen über Verweltlichung
der Kunst; die Künstler über Unverständnis der Theologen. Die Kirche
verlangt, daß die Kunst sich ihr einordne, kirchlich werde. Die Künstler
verlangen Förderung von der Kirche, äußere sowohl wie innere; das heißt
nicht nur Aufträge, sondern auch Verständnis für das, was sie bieten; also
Unterordnung auch des kirchlichen Geschmackes unter ihr Schaffen, künst-
lerische Bestrebungen innerhalb der Kirche.
Die Frage wird laut, welche Forderung berechtigter, welche alleiniges
Recht sei. Wer soll dienen: Kirche oder Kunst?
Es ist Regel, daß der Niedere dem Vornehmeren dient. Wer ist also
der Vornehmere? Ich denke dabei nicht an die äußere Vornehmheit, jene
die Alter, Titel, Ämter, Einfluß geben, sondern an eine innere. Hier zu
*) Rede, gehalten bei Übernahme des Rektorats der Technischen Hochschule zu
Dresden am 1. März 1904.


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