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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 20.1904

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Heft 5
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Leixner, Othmar von: Kirchenbau und Stimmungsarchitektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.44901#0048

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1904

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 5


Konsole vom Zentraltheater in Chemnitz.
Architekten: Lossow & Viehweger
in Dresden.
Bildhauer: Ernst Hottenroth daselbst.

wissen Dunkels vermehre die
Stimmung. Ganz ähnlich äußert
sich auch Savonarola, der von
einem Verhältnis der dunklen
Straßenhallen zur andächtigen
Stimmung spricht. Die Hoch-
renaissance denkt nicht mehr
an solche Stimmungen, schon
Pius II. rühmt die große Hellig-
keit in seiner Kirche zu Pienza,
— schon ein moderner Mensch.
Eine prächtige Innenwir-
kung zeigt uns S. Zaccaria in
Venedig; forschen wir nach
dem Grund, so finden wir, daß
hier der eingebaute gotische
Chor die Stimmung bringt. Auch
S. Maria miracola in Venedig
gibt uns noch ein Stimmungs¬

bild im kleinen. In Florenz sind es S. Lorenzo und S. Spirito,
teilweise auch die Badia, die noch tiefe Grundstimmungen
zeigen. Gewaltig wirkt auf uns ein die Certosa bei Pavia,

alterlichen Bauten in so großem
Maße eigen ist. Die Wiener
Schule mit Otto Wagner dagegen
befreit sich vollkommen von dem
Gedanken der Stimmung; Licht
und Luft gilt als oberster Grund-
satz, aber wohl sehr mit Un-
recht. Die Kirche soll ja der Ort
sein, wo der moderne Mensch,
der durch den schweren Kampf
ums tägliche Brot, durch Schick-
salsschläge zum Zweifler ge-
worden, das findet, was er am
notwendigsten braucht, innere
Ruhe und Frieden. Möge der
Künstler nie vergessen, daß der
Kirchenbau die schwierigste
Aufgabe für den Architekten ist,
gleichzeitig aber auch die er-
habenste vorausgesetzt, daß


Konsole vom Zentraltheater in Chemnitz.
Architekten: Lossow & Viehweger
in Dresden.
Bildhauer: Ernst Hottenroth daselbst.

er die erhabenen Werke alter

Kunst studiert und ihre Stimmungsbilder in sich aufgenommen
hat, um sie dann für seinen eigenen künstlerischen Ausdruck

Architektur, Malerei und Plastik im Ver-
ein mit einer sehr mäßig verteilten Be-
leuchtungergeben ein zauberisches Bild
tiefsten Friedens. Eine Zahl kleinerer
Kapellenbauten der Frührenaissance
zeigen auch noch gute Stimmung. Den
Kirchen der Hoch- und Spätrenaissance
ist dieser Grundzug fremd. Nur die
Schönheit des Raumes und der Archi-
tektur wirkt mehr auf den Beschauer.
St. Peter, Montepulcione, Todi u. a. m.
zeigen dies deutlich. Betrachten wir die
Meisterwerke Palladios, II Redentore,
S. Giorgio Maggiore in Venedig: die
vollste Harmonie in der Kunst, die uns
aber nicht über die profane Grund-
stimmung hinweghelfen kann. Michel
Angelo hat noch ein herrliches Stim-
mungsbild in seiner Mediceischen Ka-
pelle geschaffen, eines der schönsten
aller Zeiten. Die Barocke und ihre wei-
tere Entwicklung steht der innerlichen
Stimmungsarchitekturfremd gegenüber.
Besonders die geistlose Manieriertheit
der Jesuitenkirchen läßt den Beschauer kalt. An Stelle der
Ruhe und Einfachheit sind sinnbetörende Theatereffekte ge-
treten; Malerei und Plastik sind mehr als profan geworden.
Religiöse Stimmung kann keine dieser Kirchen erwecken. Auch
hier spiegelt sich der Geist der Zeit in der Kunst, als Aus-
druck der freien Subjektivität. Für die Empirezeit gilt dasselbe.
Die Mitte des XIX. Jahrhunderts brachte wieder mittelalterliches
Kunstfühlen in die Architektenschaft, leichter war es wieder
geworden, Stimmungsbilder zu schaffen.
Wir selbst leben in einer Zeit, wo im Kirchenbau viel
Gutes geleistet wurde. Abgesehen von den vielen kleineren
Dorfkirchen, die wohl meist nicht von Künstlerhand herrühren

wieder auszubilden. Bei genauer Prü-
fung der alten Kirchenbauten auf die
Stimmung hin ergeben sich eine Reihe
wertvoller Motive, die bei neuen Kir-
chenbauten berücksichtigt werden
sollen und von ersten Künstlern auch
berücksichtigt werden: das Hauptschiff
mäßig beleuchtet, die Seitenschiffe im
tiefen Dunkel, zeitweise Beleuchtung
durch kleine Glasfenster in tiefer Farbe;
— bei kleineren Bauten wirken Em-
porenanlagen vorzüglich auf die Ge-
samtstimmung; — das Querschiff mit
großen Fenstern, die Apsis halbrund
und fensterlos; der Hintergrund des
Altars dunkel, Malereien in der Concha;
die Beleuchtung des Altars erfolgt durch
die Querschiffenster. Besonders die
großen Messen gewinnen ungemein
bei solchen Lichtanordnungen. Größte
Vorsicht erheischt der malerische
Schmuck der Wände und Fenster. Die
Farben können nicht tief, die figurale
Darstellung nicht streng genug sein.
Ein Beweis dafür sind die herrlichen Arbeiten alter Zeit, die un-
vergleichlichen Werke Giottos und seiner Schule. Die Glas-
malerei vermeide die wäßrigen Farben, die fade Ornamentik.
Besonders gefährlich zeigen sich in neuen Kirchen die modernen
Grisaillefenster in ihrer oft äußerst langweiligen Ornamentik.
An einen bestimmten Baustil ist der Kirchenbau nicht ge-
bunden, auch in moderner Kunst läßt sich bei Beibehaltung
dieser Stimmungsmotive Schönes erreichen. Leichter wird es
aber wohl dem Künstler werden, wenn er von den frühmittel-
alterlichen Stilen ausgeht und ihre Motive modern verarbeitet,
wie die Münchner Schule in vorzüglichster Art es macht, als
wenn die spätere Kunst in ihren Grundgedanken vorbildlich wird.

Detail von der Kreuzkirche Architekten: Schilling & Gräbner
in Dresden. in Dresden.
Bildhauer: Ernst Hottenroth daselbst.


Kapitäle. Architekten: Schilling & Gräbner in Dresden.
Bildhauer: Ernst Hottenroth daselbst.


und in ihrerfaden sog.
Ziegelgotik schema-
tisch durchgeführt
sind, finden wir ver-
einzelt prächtige Lei-
stungen. Voran gehen
hier die genialen
Münchner Künstler,
Th. Fischer, Grässel,
Hocheder u. a. m. In
ihren Werken spie-
gelt sich wieder jene
ernste Grundstim-
mung, die den mittel-

Fries. Bildhauer: H. Hasenohr in Dresden.


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