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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 20.1904

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Heft 9
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Die neue Gare d'Orléans in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.44901#0081

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1904

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 9


Gare d’Orleans in Paris. Architekt: Laloux in Paris.
Vorderansicht am Quai d’Orsay.

Wächters oder dem Lied eines Singvogels gestört wurde, ist nun ver-
schwunden. Paris ist um ein seltsames Straßenbild ärmer, aber es hat
dafür ein prächtiges Bauwerk von höchstem Verkehrs- und Nutzwert er-
halten. Die Gare d’Orleans, die man früher nur in fast einstündiger Fahrt
von den belebteren Orten der Stadt aus erreichte, liegt nun im Herzen der
Weltstadt, im Mittelpunkt ihres wimmelnden Verkehrs.
Die Anordnung dieses Bahnhofes weicht von der sonst üblichen der
großen Bahnhöfe ab. Die Bahngeleise treten unterirdisch, durch Tunnels
in den Bahnhof ein, dessen Bahnsteige nur wenig höher liegen als der
Spiegel des Flusses, während der Fußboden der eigentlichen Bahnhofshalle
sich um Stockwerkshöhe höher, im Niveau der Straßen befindet. Breite
Treppen und Aufzüge dienen der Verbindung zwischen Halle und Bahn-
steigen und der Raum über diesen ist zum größten Teil, soweit sie unter
der Halle liegen, offen, so daß man aus dieser auf die Züge und den
Verkehr im unteren Stockwerk hinabsieht. Die Rauchplage der großen
Bahnhöfe ist in diesem Bahnhofe völlig beseitigt, da die Züge durch elek-
trische Lokomotiven von der Stadtgrenze nach dem Bahnhof geschafft werden.
Auch ist für die Lufterneuerung im Tunnel, der im wesentlichen unter der
Uferstraße des linken Seineufers liegt, durch Fensteröffnungen gesorgt,
die galerieartig nach dem Fluß hin offen stehen und der Sicherheit wegen
einen Meter über dem höchsten Wasserstand angebracht sind.
Die große Bahnhofshalle besteht aus einem weiten Mittelschiff und
zwei schmäleren Seitenschiffen; das Mittelschiff wird in einer einzigen
Bogenwölbung von der eisernen verglasten Eindeckung überspannt, die,
größtenteils kassettiert, fast wie ein Stück römischen Bades in einem Glas-
palast erscheint. In dieser stolzen Halle, die sich aus Eisen, Glas und
buntem Füllwerk aufbaut, ist alles Material offen und unverdeckt zur Schau
gestellt. An den eisernen Pfeilern, Gurtungen und Trägern treten die
Nietköpfe frei hervor; da der Rauch der Lokomotiven fehlt, bleibt das Glas
der Eindeckung rein und klar und eine Fülle von Licht durchflutet den
Raum, von den hellfarbigen Fayencen der Kassettenfüllungen und ihren
Rosetten zurückgeworfen und zerstreut. Die beiden Seitenwände sind durch
weite und hohe Bogenöffnungen mit den Seitenschiffen verbunden und die
kassettierten eisernen Rundbögen, die sich über den Pfeilern erheben, be-
tonen den Eindruck des Zusammenhaltens und der Stärke. Das Mittel-
schiff umfaßt die großen Öffnungen über den Bahnsteigen und die nach
diesen führenden Treppen, eine für jeden Bahnsteig. Die Bahnsteige er-
halten reichlich Licht durch diese großen Öffnungen und, soweit sie unter
den Seitenschiffen und unter dem Quai d’Orsay liegen, durch die Glas-
platten der Fußböden und der Bürgersteige.
Die beiden Seitenschiffe sind ungleich breit; das schmälere an der
Rue de Lille, dessen Bogenöffnungen durch Glaswände abgeschlossen sind,
enthält die Geschäfts- und Diensträume der Verwaltung. Das breitere,
mit den Ein- und Ausgängen nach dem Quai d’Orsay, enthält die Billett-
schalter, die Gepäckannahme- und -ausgaberäume, die Wartesäle und die
Erfrischungsräume. Alle diese Räume liegen zu ebener Erde und in gleicher
Höhe mit der Straße. Die Gepäckräume stehen mit den Bahnsteigen durch
eine selbstbewegliche Rampe, ein elektrisch angetriebenes breites Leder-
band ohne Ende, in Verbindung, so daß der störende Transport auf Ge-
päckkarren fortfällt. Das Gepäck wird aus den Gepäckwagen unmittelbar
auf das Lederband geladen und auf diesem nach der Gepäckausgabe be-
fördert oder umgekehrt. An der nach dem Invalidendom gerichteten
Seite steht ein Terminushotel mit Cafe — mit dem Bahnhofe in naher
Verbindung, von der großen Mittelhalle indessen durch eine Glaswand
getrennt, die den Lärm des Bahnverkehrs abhält. Da kein Rauch der
Lokomotiven die Hallen erfüllt, hat farbiger Wandschmuck, Gemälde in den
Paneelen und an den Enden der Arkaden, Darstellungen der schönsten Land-
schaften an den Ufern der Loire und der an der Bahnlinie liegenden Orte in
Gemälden von Cormon, zur Verzierung der Flächen verwandt werden können.

Die Architekten, Laloux als Leiter des Ganzen und ihm beigegeben
Lemaresquier und Mayeux, haben an reicher, von den Bildhauern Kulikowski
(unter deren Leitung auch die hier wiedergegebenen Aufnahmen gemacht
sind) ausgeführter Ausschmückung nicht gespart, ja fast zu viel getan.
Ausnahmlos sind alle Glieder des gewaltigen Bauwerks mit Zierat über-
deckt: mit den Wappen der Städte, mit Schildern, Blumen- und Frucht-
girlanden, mit Löwenköpfen, Eichenblättern und Lorbeerzweigen. Die
prächtige Fassade ist durch die beiden großen Eckpavillons mit ihren
monumentalen großen Uhren und den hohen Dächern, deren Formen
an die der Pavillons des Louvre anklingen, betont, wogegen die Fassade
des Terminushotels, des Chateau d’Orsay, in ihrer einfacheren Ausgestal-
tung dem Zweck des Gebäudes und seiner Bedeutung angepaßt ist.
Mit der neuen Gare d’Orleans hat Paris einen Bahnhof erhalten, der,
was vollendete Zweckmäßigkeit, Schönheit der Formen und Reichtum des
Zierwerks anlangt, als eine Musterleistung unter den großen Eisenglas-
bauten dasteht.

Denkmal für König Ludwig I. Architekt Professor Paul Pfann und Bildhauer
in Aschaffenburg. Professor Ernst Pfeifer in München.


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