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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 20.1904

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Heft 12
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Pfeifer, Hermann: Die künstlerische Bedeutung des Fugenschnittes und der Steinbehandlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.44901#0105

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1904_ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 12

ästhetische Absicht,
aber gerade deswegen
in ihrer handwerklichen
Gediegenheit und sach-
lichen Zweckmäßigkeit
so überzeugend und
schön (vergl. Abbil-
dung 6: Quaderwerk
vom Bergfried der
Burg Rotteln, mit
Benützung der Auto-
typie und der vorzüg-
lichen Beschreibung
Durms in den »Kunst-
denkmälern des Groß-
herzogtums Baden, V«
wiedergegeben).
Die Ansichtsflä-
chen der rechteckigen
und Hakenquadern
sind hier alle verschie-
den groß, wie sie eben
mit geringstem Stein-
verlust aus den Bruch-
größen sich ergaben
— ein klares Beispiel vernünftiger Sparsamkeit in Arbeit und
Material — und zeigen in ungezwungener Weise die mannig-
faltigsten Bearbeitungsarten: die meisten haben einen Bossen
mit »Scherenloch« für die Kranschere und einen Saumschlag
von 3 cm Breite; die Bossen meist flach mit dem malerischen
Reiz des natürlichen muscheligen Bruches, andre bis 15 cm
ausladend; einige sind grob gespitzt, andre etwas feiner gestockt
Einzelne Bossen, namentlich an den Ecken des Turmes, zeigen
merkwürdige Rillen oder Furchen, welche mit dem Spitzeisen
in 4—8 cm Entfernung eingehauen sind.
Aber alle stimmen in der sorgfältigen Ausführung der
meisterhaft gearbeiteten Fugen überein und verwachsen da-
durch zu dem einheitlichen Bild eines festen, sturmsicheren
Burgmauerwerkes, wobei aber keine langweilige Eintönigkeit
entsteht, weil eben die ganze Mauerfläche belebt ist durch
den reizvollen Wechsel von Licht und Schatten an den ver-
schiedenartigen Quaderköpfen und durch das freie Linienspiel
der ungleichen Fugenteilung.
Unter den Baumeistern unsrer Zeit hat es wohl keiner
besser verstanden, die natürlichen Reize der Bossenquaderung
zu höchster künstlerischer Wirkung zu bringen, als Bruno
Schmitz in seinen Kaiserdenkmalbauten auf dem Kyffhäuser,
an der Porta Westphalica und in Koblenz*).
Von großer Bedeutung im Monumentalbau ist ferner das
absolute und relative Maß der Quaderschichten; es sei hier
nur an dem einen Beispiel der Ecktürme des deutschen
Reichstagsgebäudes von Wallot — Abb. 7 -- gezeigt, wie
günstig die gesetzmäßige Abnahme der Schichthöhen vom
Sockel bis zur obersten Attika von 70 bis 38 cm mit der Ab-
nahme der Breiten harmoniert und so perspektivisch den Höhen-
eindruck der herrlichen Ecktürme nicht unwesentlich steigert;
zudem entspricht es dem Wesen des Bauens, mit den größten
Quadern unten zu beginnen; die Schichthöhen von 70 cm im
Sockelgeschoß passen zu dem monumentalen Gepräge des
ganzen Gebäudes, würden aber im Wohnhausbau den Gesamt-
maßstab schädigen.
Die großen Maßstabsverschiedenheiten von Haustein und
Backstein erschweren das harmonische Zusammenstimmen
des gemischten Mauerwerkes, welches außerdem noch die
ästhetische Gefahr zu scharfer Farbengegensätze mit sich
bringt.
Bei vielen »modernen« Bauten wird ein möglichst knalliger
»Effekt« angestrebt durch den scharfen Gegensatz von ganz
hellen Sandstein- oder gar blendendweiß gestrichenen Zement-
gesimsen einerseits und tiefblutroten, schwarzgefugten Back-
*) Vergl. die schöne Veröffentlichung »Drei Kaiserdenkmäler«, aus-
geführte Bauwerke von Bruno Schmitz. Verlag von E. Wasmuth, Berlin.


steinflächen
andrerseits, wo¬
durch die ganze
Mauerfläche so
unruhig und
scheckig wird,
daß »die Pferde
scheu werden«
könnten. Durch
das Hervortre¬
tenlassen der
hellen Quader¬
steine wird die
Flächenwirkung
noch mehr zer¬
hackt, so daß
hier von einem
harmonischen
Verschmelzen
der Gegensätze
zu dem einheit¬
lichen Gebilde
der Mauer nicht
die Rede sein
kann. Eine allzu exakte »geleckte« Ausbildung der Fugen
zwischen den ausgewählten »tadellosen« Maschinensteinen läßt
einen schematisch fabrikmäßigen und deshalb kalten, leblosen
Eindruck entstehen. Und wenn dann schließlich die Natur,
die erhabene Künstlerin, vermittelnd eingreift und mit Staub
und Patina die feindlichen Gegensätze versöhnt, so wird ihr
Fingerzeig doch meistens nicht verstanden, sondern es muß
bei der »Renovierung« alles wieder mit ebenso knalligen Farben
neu aufgewichst werden. — Nun, ganz zum Schlüsse, wenn
sich dermaleinst Efeu um die Ruinen der menschlichen Be-
hausungen und Denkmäler schlingt, behält die versöhnende
Natur dennoch ihr Recht.
Wenn der Gegensatz von hellem Werkstein und rotem
Backsteinmauerwerk harmonisch sich verbinden soll, so müssen
beide Teile auf einen gemeinsamen Grundton gestimmt werden,
z. B. auf ein warmes Grau, weshalb eine schreiende blutrote
Farbe des Backsteins neben einem gelblichgrauen Sandstein zu
vermeiden ist. Ferner wird ein inniges Verwachsen des ge-
mischten Mauerwerkes durch »bündige« Behandlung — in
einer Fläche — begünstigt. Außerdem kommen die Back-
steinflächen durch helle saftige Mörtelbänder dem hellen Tone
des Hausteins noch näher, während selbst ein allzu heller Hau-
stein in der Regel sehr bald eine günstige Abtönung durch
die natürliche Patina erhält. Die leichten Farben- und
Formenunterschiede der gelblichroten Handziegel verleihen dem
Backsteinrohbau bei guter, aber nicht peinlicher Ausführung der
Fugen gerade durch gewisse Zufälligkeiten jenen belebenden
Reiz, welcher die Schöpfungen der Natur auszeichnet. Bei
aller Gesetzmäßigkeit in dem organischen Wachsen einer Eiche
z. B. finden wir doch eine große Freiheit in der Einzelbildung
der Zweige und Blätter; kein Eichenzweig, ja kein Eichenblatt
gleicht völlig dem andern!

6. Quaderwerk vom Bergfried der Burg Rotteln.


8. Gegensätze des Materials. Gegensatz von hellen und dunklen Mauerflächen im gemischten
Haustein- und Backsteinrohbau.
Schreiender Kontrast. Harmonischer Kontrast.


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