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Belvedere: Kunst und Kultur der Vergangenheit; Zeitschrift für Sammler und Kunstfreunde — 8.1925

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Schefold, Max: Mittelalterliche Plastik im Museum der Stadt Ulm
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https://doi.org/10.11588/diglit.52316#0050

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MITTELALTERLICHE PLASTIK IM MUSEUM
DER STADT ULM
VON MAX SCHEFOLD
Nachdem die vorhandenen Bestände im Laufe des verflossenen Jahres durch eine Reihe
bedeutungsvoller Neuerwerbungen ergänzt wurden, vermag nun das Museum der Stadt
Ulm einen guten Überblick über die oberdeutsche Plastik des 13. und 16. Jh. zu bieten.
Ein erst im vorigen Jahre erworbenes Vesperbild sei bei der Besprechung der einzelnen
Werke zuerst genannt. (Abb. 1.) Maria sitzt auf einer Bank, auf ihrem Schoß ruht fast
horizontal der Leichnam Christi, dessen Körper völlig ausgestreckt ist. Das Haupt fällt aus
der langen Geraden in den Nacken zurück. Marias Antlitz ist von weicher rundlicher
Form, im Gegensatz zu den vollen Wangen ist die Nase schmal und fein gebildet, die
Mundwinkel sind nach unten gerichtet. Das Haupt ist in ein am Rande ornamentiertes
Kopftuch gehüllt und ist leicht nach dem Haupte Christi zugewendet. Mit ausgebreiteten
Fingern stützt die Rechte Mariens den Leichnam im Nacken, während die Linke den
linken Unterarm des Sohnes hochhält; sein linker Oberarm und der ganze rechte Arm
liegt entlang dem hageren Körper. Die Gewandung ist weich fließend gegeben, am Ober-
körper ist sie in wenige große Faltenzüge gelegt, die ruhig niederfließen; auf den Boden
fallen Rock und Mantel in weichen runden Säumen herab, die sich undulierend auf der
ganzen Plinthe ausbreiten. Reste der ursprünglichen Bemalung sind noch in den tief-
liegenden Faltentälern der unteren Gewandpartien vorhanden. Die Gruppe stammt wie
das Vesperbild aus Ton der Sammlung Fuld in der Städtischen Galerie zu Frankfurt1, mit
dem es viel verwandte Züge hat, aus der Zeit um 1420—1430. In bezeichnender Weise
vertritt es den in Süd- und Südostdeutschland zu jener Zeit allgemein herrschenden Hori-
zontaltyp.
Aus dem dritten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts rührt ein Holzbildwerk der hl. Notburga2
her. Mit wenig nach vorne gebeugtem Haupt sitzt die Heilige auf einer Bank; in ihrem
Schoße birgt sie in den Falten des Mantels die ihrem Schutze anbefohlenen Seelen3. Ähn-
lich wie die weiblichen Heiligen vom Überlinger Chorgestühl vertritt sie mit ihren schnör-
keligen, niederfallenden Säumen des Kopftuches, dem sich schwer vom Schoß zu Boden
senkenden Stoff mit den tiefen Schüsselfalten den damals ausgeprägten weichen Stil. Sehen
wir über die Mängel der schlechten Erhaltung hinweg, so bleibt eine Gestalt voll zarter
Anmut.
Die Figuren des Kaisers Karl des Großen mit seinen Schildknappen und den fünf welt-
lichen und drei geistlichen Kurfürsten schmückten ursprünglich die Fensterleibungen der
1 Baum, Gotische Bildwerke Schwabens, Stuttgart 1921, Abb. 84. 2 Abgeb. bei J. L. Fischer, Ulm, Berühmte
Kunststätten, Bd. 56, Abb. 74. 3 Vgl. über die Ikonographie der Notburga den Aufsatz von Pfeffer im Archiv
für Christliche Kunst, 1915, Nr. 4, S. 99 ff.

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